_ Kein Fuhrpark bleibt ohne Kratzer - erst recht nicht ohne klassische Steinschläge auf der Windschutzscheibe. Entsprechend gehört Glasbruch zum Tagesgeschäft des Flottenmanagers und ist in der Regel ein Fall für die Teilkasko. Je nachdem, ob eine kleine Reparatur noch geht oder doch die ganze Scheibe ersetzt werden muss, zahlt der Flottenbetreiber dann seine Selbstbeteiligung oder diese wird ihm bei geringen Summen von der Versicherung erlassen.
So häuft sich innerhalb eines Jahres eine immense Schadensumme auf. Nehmen wir einmal das Jahr 2013. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft zählte insgesamt 2,3 Millionen Glasbruchschäden, die sich zu Kosten von 1,2 Milliarden Euro summierten. Das sind etwas mehr als 520 Euro pro Schaden und damit ein gutes Geschäft für die Autoglas-Spezialisten. Aber dies scheint sich zu verändern.
Weniger Schäden
"In der Vergangenheit gab es immer Zyklen, sprich Richtung März und April zog das Geschäft an. Im Sommer gingen entsprechend die Glasbruchzahlen dann wieder runter", berichtet Marco Heistermann, Leiter Vertrieb Gewerbe & Großkunden bei Carglass." Seit zwei Jahren sehen wir nun aber, dass es diese Zyklen in der gewohnten Ausprägung nicht mehr gibt.
Nach jetzigem Stand wird der Glasbruchmarkt in Gänze rückläufig werden, also die Schadenfälle abnehmen." Dem pflichtet Hans-Peter Knierim, Leiter Bereich Autoglas bei Euromaster, bei: "Lag die Quote vor Jahren noch bei fast zehn Prozent, sind es heute zwischen sieben und fünf Prozent aller Fahrzeuge, die einmal im Jahr eine neue Scheibe brauchen."
Der Rückgang der Stückzahlen betraf laut Carglass-Manager Heistermann sowohl die Reparaturen als auch den Kompletttausch. "Auf der anderen Seite konnten wir von Carglass aber unser Geschäft weiter ausbauen. Speziell im Flottenmarkt haben wir uns sogar deutlich steigern können, so dass 2015 ein gutes Jahr für uns war", freut sich Heistermann und hat auch Positives für die Flottenverantwortlichen zu berichten: "Erfreulich für unsere Kunden ist, dass die sehr hohe Reparaturquote bei Carglass gehalten werden konnte. Damit können wir den Fuhrparkbetreiber im Bestreben der Kostenminimierung für Fahrzeugglas deutlich unterstützen."
Wann reicht Smart Repair?
Eine kleine Reparatur spart natürlich Geld und vor allem Zeit. Nur gibt es hierfür klare Regeln, wann genau die Scheibe repariert werden kann und wann getauscht werden muss, wie der TÜV Süd zeigt (siehe Grafik S. 20). Als Faustformel für die Reparatur gilt: Der Kratzer darf nicht größer sein als ein Daumennagel und sollte nicht zu tief sein. Entscheidend ist die Stelle des Steinschlags. Stört der Schaden die Sicht, muss komplett getauscht werden. Repariert werden darf deshalb nur im Bereich außerhalb des Wischerfeldes. Zu nah am Scheibenrand geht es aber auch nicht, da das Licht, das auf die nachgebesserten Stellen fällt, bisweilen sehr stark streut und damit die Sicht behindert.
Für den Fahrer heißt es, sobald er einen Kratzer auf der Scheibe entdeckt, sollte er diesen sauber und trocken halten. Sogenannte Scheibenpflaster, die wie die klassischen Pflaster direkt auf die offene Stelle kommen, sind hier wirksam. Ebenso reicht bisweilen auch ein normaler Klebestreifen, den man über den Steinschlag platziert.
Schnell-Kleber
Ist das Auto dann in der Werkstatt zum Smart Repair oder zum Austausch, wird schnell klar, wie viel sich beim Brot- und Buttergeschäft der Dienstleister technisch ändert. Euromaster beispielsweise ist seit einiger Zeit auch im Autoglasbereich präsent und will sich im hartumkämpften Markt als Innovationsträger etablieren.
Hierzu passt das neue Powercure Klebstoffsystem von Sika. Der hier verwendete Klebstoff erfüllt die Anforderungen der Autoindustrie und glänzt mit einer sehr schnellen Aushärtezeit. Zudem ist er nahezu witterungsunabhängig zu verarbeiten. Dürfen Autos mit den konventionellen Klebeverfahren in der Regel erst nach 60 Minuten wieder bewegt werden, ist es bei Powercure nur die halbe Zeit (sichere Wegfahrzeit). Komplett ausgehärtet und damit selbst waschstraßentauglich ist die Scheibe nach einer Stunde, somit bestehen keine Einschränkungen der Nutzung, denn der Klebstoff ist dann vollends ausgehärtet und das Fahrzeug voll belastbar. Knierim rechnet zwar damit, dass der Wettbewerb bald nachziehen wird, dennoch hat er bereits einen weiteren Pfeil im Köcher - die mobile Anwendung. Da die Scheiben nun deutlich schneller und aufgrund der Witterungsunabhängigkeit des Verklebungssystems auch zunehmend lokal unabhängig ersetzt werden können, kann man den Austausch künftig leichter beim Kunden handhaben. Das spart den Flotten vor allem eines - nämlich viel Zeit.
Wichtig dabei ist, dass die mobilen Teams neben der neuen Scheibe und dem Powercure Klebstoffsystem auch eine Achsmesstechnik im Gepäck haben. Im Normalfall sollte zwar der geometrische Fahrachswinkel passen, aber ungefähr reicht eben nicht. Den Grund liefern die Fahrerassistenzsysteme, die zum Beispiel den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug messen und stets die eigene Spur im Auge haben. Damit diese Daten valide sind, muss stets die Achsgeometrie des Autos stimmen. "Deshalb steht dieser Punkt, die Messung der Achsen, gleich zu Beginn in den Vorgaben der Hersteller - auch beim Scheibentausch", betont Knierim. Sollte dem nicht so sein, muss der Fahrachswinkel in der nächsten Werkstatt justiert werden. Denn ohne die richtig eingestellte Spur bringen die neu kalibrierten Kamerasysteme in der Frontscheibe wenig.
Kürzere Standzeiten
Die zahlreichen Assistenzsysteme, die für eine zunehmend sichere Fahrt und weniger Unfälle sorgen, wirken hier allerdings nicht kostensenkend, sondern preissteigernd. Laut Thomas Krieger, Technical Manager bei Carglass, haben sich zwar die Servicegeschwindigkeit und damit die Standzeiten - beispielsweise aufgrund des schnelleren Aushärtens des verwendeten Klebstoffes - verändert, dennoch kostet nach dem Scheibentausch das Rekalibrieren von Fahrerassistenzsystemen Zeit. Der profane Scheibentausch war also gestern. Explizit ausnehmen will Krieger hier den Glass-Medic-Bereich, sprich die klassichen Smart-Repair-Maßnahmen. Deren Zeitaufwendungen haben sich demnach nicht verlängert.
Helfer, die Hilfe brauchen
Aber zurück zu den Assistenzsystemen, die längst nicht mehr nur Status-Symbole in der Mittelklasse sind, sondern bereits im Kleinwagen verbaut werden. "Ein Markt, der nun schon beim VW Up oder beim Opel Corsa beginnt, hat Auswirkungen auf unser Geschäft. So mussten allein im vergangenen Jahr bei 5,1 Prozent aller Fahrzeuge, bei denen wir die Scheibe ausgetauscht haben, die Assistenzsysteme neu kalibriert werden. Dieser Trend setzt sich weiter fort", glaubt Fachmann Krieger.
Besonders betroffen sind hier die kamerabasierten wachsamen "Augen" des Fahrzeuges nach vorn. Für das Kalibrieren gibt es, je nach Herstellervorgaben, zwei Varianten: eine statische und eine dynamische. Die dynamische Version ist eine Kombination aus dem Einsatz des Diagnosegeräts am Auto und einer anschließenden Einmessfahrt. Dies wird unter anderem bei Modellen von BMW, Ford oder Volvo gefordert.
Anders sieht es für Fahrer von VW, Audi oder Mercedes-Benz aus, denn hier greift laut Krieger die statische Kalibrierung. Dies geschieht mit dem CSC-Tool (Kamera- Sensor-Kalibrierung), das ähnlich wie bei der Justierung von Scheinwerfern eine Testwand erfordert, an der sich die Systeme ausrichten. Carglass verfügt nach eigenen Angaben flächendeckend über die notwendige Technik. So kommen derzeit deutschlandweit knapp 200 CSC-Tools zum Einsatz. Dennoch wollen die Kölner hier nachbessern und weiter investieren - in Technik und in Schulungen der Monteure.
Die Kosten für den Fuhrparkbetreiber schlüsseln sich auf nach der Arbeitsleistung und dem Faktor Zeit. Der technische Mehraufwand soll laut Krieger minimal sein, sodass im Schnitt die Kalibrierung, abhängig von Fahrzeugmodell und Ausstattung, gut 35 Minuten dauern sollte - unabhängig von der vorgeschriebenen Prüf-Variante. Ein kompletter Scheibenaustausch dauert im Schnitt bei Carglass zwischen drei und vier Stunden.
Finanzielle Mehrkosten sollten auf die Flottenbetreiber aber nicht zukommen, denn laut Heistermann haben viele Autohersteller die Kalibrierung der einzelnen Fahrzeugmodelle schon über Audatex verpreist und die Werkstatt kann dies abrechnen. "Für Hersteller, die keinen Festpreis für die Kalibrierung angeben können, haben wir mit den Flottenkunden einen Pauschalpreis vereinbart", versichert der Carglass-Manager. Ist der Fuhrpark komplett rückversichert, dann trägt diese Kosten die Versicherung. Ist die Flotte nicht für solche Dienstleistungen versichert, dann wird individuell verhandelt. Wobei es hier vor allem auf die individuellen Automarken im Fuhrpark ankommt, da die einzelnen Scheiben hier stark im Preis variieren.
Preissteigerung
Dass es teurer wird, daran lässt auch Euromaster-Fachmann Knierim keinen Zweifel: "Die Branche erwartet eine Preissteigerung für den Scheibentausch um bis zu 30 Prozent, was mit den erwähnten Fahrerassistenzsystemen zusammenhängt." Die spannende Frage für die Flotten lautet, wie die Versicherungen auf solche Aufschläge reagieren werden.
Perspektivisch erwartet Heistermann indes, dass die Zahl der Glasreparaturen und der kompletten Austausche weiter zurückgehen werden, da beispielsweise die Fahrleistung in den Flotten sinke, Carsharing- Angebote und alternative Mobilitätskonzepte stärker nachgefragt würden und letztlich auch die Straßenbeschaffenheiten besser werden. Für die Fuhrparkbetreiber bedeutet dies tendenziell vielleicht weniger Glasbruchschäden, dennoch nicht unbedingt weniger Kosten."Die Komplexität nimmt eindeutig zu. Es werden künftig Scheiben mit mehr Sensoren verbaut, was die Reparatur oder den Austausch verteuern wird", betont Heistermann und zielt damit gerade auf Gewerbeflotten ab: "Nehmen wir allein die Autovermieter. Hier haben über 20 Prozent der Fahrzeuge einen Kameraassistenten an Bord. Auf der anderen Seite steht der Dienstwagenfahrer, der seinen Wagen als Arbeitsgerät natürlich umfänglich ausstatten möchte, und dies gerade mit Hilfe von Assistenzsystemen auch tut. Deshalb erwarten wir in diesem Jahr einen überproportionalen Zuwachs dieser Quoten für den Flottenbereich."
Ähnlich sieht es übrigens für die Region unterhalb der Frontscheibe - bei den Scheinwerfern - aus. Von LED bis Matrix zaubern diese immer beeindruckendere Lichtkegel auf die Straße, verlangen dafür aber nach absoluter Spurtreue. Wobei wir wieder beim Reparaturaufwand wären. Ein Teilbereich könnte hier aber bald günstiger werden. Denn es gibt für Polycarbonatscheinwerfer zum Beispiel von Opel seit Herbst ein zugelassenes Smart-Repair-Verfahren, das Vergilbungen (aufgrund von Umwelteinflüssen oder Sonnenlicht) und Kratzern auf den Leib rückt. Hier gilt nun das Gleiche wie für die Scheiben: Reparatur ist die erste Option, Tauschen die zweite - aber eines muss auch hier immer stimmen: die richtige Spur.
- Ausgabe 02/2016 Seite 16 (1.1 MB, PDF)