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"Es hat keinen Sinn, mit 1.000 Kilowatt zu laden": Charging-Experte im Interview

16.12.2022 10:27 Uhr | Lesezeit: 3 min
Der Kia EV6 lädt besonders schnell.
© Foto: Kia

Die Ladegeschwindigkeit ist noch immer ein Hauptargument für oder gegen ein Elektrofahrzeug. Warum das die Experten von P3, die jährlich die Lademeister krönen, nicht unbedingt so sehen, klären wir im Gespräch.

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Die Stuttgarter Ingenieursberatung P3 Group erstellte 2022 zum dritten Mal den Charging-Index. Dieser zeigt, welche Elektroautos in welcher Zeit wie viel Energie laden, und wie weit sie damit kommen. Bislang lagen die Fahrzeuge der Premiumanbieter vorn. Doch 2022 machte Kia mit dem EV6 das Rennen. Warum der Koreaner so gut abgeschnitten hat und warum der fast baugleiche Hyundai Ioniq 5 es nicht so gut macht, erzählen uns die P3-Charging-Index-Verantwortlichen, Christian Daake, Technology Lead Interoperability Testing, und Marian Cammerer, der sich als Consultant bei P3 Group um Wettbewerbsanalysen kümmert und zudem Fuhrparkleiter ist. Cammerer stellt aktuell die P3-Flotte mit 75 Fahrzeugen auf elektro um.

2021 hatten die Premiummodelle beim P3-Charging-Index, der unter p3-group.com/blog/publikationen en détail zu finden ist, die Nase vorn. Das hat sich ja zum Teil geändert. Woran liegt das?

Christian Daake: Es ist ein Mix aus dem 800-Volt-Bordnetz und einem niedrigen Verbrauch. Wir sehen beim Hyundai Ioniq 5 und beim Kia EV6, wie vorteilhaft das 800-Volt-System sein kann. Der dritte P3-Charging-Index weist den Kia EV6 mit einer durchschnittlichen Ladeleistung von 203 kW oder 309 Kilometern Reichweite in den vorgegebenen 20 Minuten als Gewinner aus. Dass auch das 400-Volt-Bordnetz sehr gute Ergebnisse liefert, zeigt das Premium-Duo BMW iX und Mercedes-Benz EQS.

Wieso sind die Premiummodelle mit dem 400-Volt-Bordnetz teils besser als Fahrzeuge mit 800-Volt-Systemen?

C. Daake: Tatsächlich schaffen der Mercedes EQS und der BMW iX trotz 400 Volt durch ihre große Batteriekapazität mit der sogenannten C-Rate, dessen Faktor widerspiegelt, wie schnell die Batterie in Relation zu ihrer Kapazität geladen werden kann, mit dem Faktor 0,92 und 0,91 den Wert des Ioniq 5 mit 800-Volt-Netz, was aber natürlich auch mit dem geringeren Energieverbrauch zusammenhängt.

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Der EQS und der iX schneiden vor allem wegen ihrer großen Akkus, die mehr als 100 kWh Kapazität aufweisen, so gut ab. Je mehr Speicherkapazität, desto schneller kann auch geladen werden. Am Anfang, wenn der Akkustand, also der State of Charge (SoC), bei den von uns vorgegebenen zehn Prozent liegt, wird bei den meisten Autos mit den maximal möglichen Strömen geladen. Und dann gibt der CCS2-Ladestandard bei EQS und iX auch die maximal möglichen 500 Ampere her. Beim 400-Volt-Bordnetz, gepaart mit 500 Ampere, kommen die 200 kW Ladeleistung heraus, die die genannten Premiumhersteller auch schaffen.



Mit zunehmendem State of Charge nimmt die Spannung der Batterie zu, was auch über 400 Volt hinausgeht und so auch Ladeleistungen knapp über 200 kW ermöglicht. Tesla reizt es bis 250 kW aus, die gehen aber mit den Strömen über 500 Ampere hinaus und belasten damit den Akku stärker. Tesla startet beim Laden immer sehr stark und fällt schnell ab. Beim EQS und den i-Modelle ist die Ladekurve hingegen gleichmäßiger.

Warum haben der Kia EV6 und der technisch sehr ähnliche Hyundai Ioniq 5 unterschiedliche Ergebnisse?

C. Daake: Das liegt unter anderem am Akku der Autos. Der Hyundai Ioniq 5 hat einen 72,6-kWh-Akku und der EV6 besitzt 77,4 kWh Speicherkapazität. Hinzu kommt, dass der Verbrauch des Kia EV6 niedriger ist - hier nutzen wir die ADAC-Ecotest-Werte. Aber das sind auch unsere Erfahrungen aus der Realität, und das, obwohl der cw-Wert gleich ist. All das macht keinen Riesenunterschied, aber im Ergebnis eben doch die 37 Kilometer Reichweitendifferenz.

Das heißt aber in jedem Fall, dass bezahlbare E-Autos mit 800-Volt-Bordnetz im Vorteil sind?

C. Daake: 800 Volt bedeutet doppelte Spannung. Halbiert man den Strom hat man die halbe Ladeleistung und der Strom ist der maßgebliche Faktor fürs Derating, also die Strombelastbarkeitskurve. Die Modelle von Hyundai und Kia sowie der Porsche Taycan und der Audi e-tron GT nutzen dieses 800-Volt-Bordnetz und viele Hersteller werden jetzt auf 800 Volt umschwenken. Vor allem bei Fahrzeugen, die für den Langstreckeneinsatz angedacht sind.

Kommt noch eine Steigerung?

C. Daake: Theoretisch sind 800 Volt und 500 Ampere möglich. Rimac und Lucid sind Hersteller, die bei ihren Prototypen Werte von mehr als 300 Kilowatt Ladeleistung kommunizieren, aber das sind eben auch wahnsinnig teure Hypercars. Etwas plakativ gesagt hat es keinen Sinn, mit 1.000 Kilowatt zu laden.

Warum nicht?

C. Daake: Das Ziel ist es, den Akku von zehn auf 80 Prozent in rund zehn Minuten zu bekommen. Das entspricht in etwa der Tankzeit mit dem Bezahlvorgang beim Verbrenner. Natürlich kann und sollte die mögliche Ladeleistung weiter erhöht werden, jedoch nicht ins Unermessliche. Stattdessen sollte auch die Effizienz der Fahrzeuge weiter erhöht werden, was ebenfalls einen positiven Effekt auf die nachgeladene Reichweite hat.

Herr Cammerer, Sie sehen das Thema auch aus Sicht des Fuhrparkchefs. Was empfehlen Sie Fuhrparkverantwortlichen? Immer das Modell einflotten, das am schnellsten lädt oder hinsichtlich des Ladetempos entspannt sein?

Marian Cammerer: Ich empfehle eine realistische Betrachtung für die Beschaffung von Elektrofahrzeugen. Es gibt Fälle, da reicht ein Fahrzeug der Kompaktklasse mit langsamerer Ladeleistung völlig aus. Andererseits ist für Vielfahrer Reichweite und Ladetempo entscheidend. Es gibt aber auch Fälle, da sind 800 Volt auch nicht entscheidend. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise 70.000 Kilometer im Jahr fahren muss, wird er mit einem Elektroauto kaum glücklich werden. Egal, ob 400- oder 800-Volt-Bordnetz. Dann sollte man sich eher überlegen, ob nicht eine Bahncard 100 mehr Sinn ergibt.

Aus meiner Sicht müssen sich die Firmen auf die Elektromobilität einlassen. Das bedeutet auch, dass das Unternehmen das Laden @home, @work und @public ermöglichen muss. Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Jahren auch Laternenparker mehr und mehr versorgt werden. Da aber vermehrt DC-Ladepunkte in der Stadt aufgestellt werden, ist es bald kein Problem, beispielsweise zuverlässig während des Einkaufs zu laden. Zudem müssen die Leute das Mindset bekommen und das Ökosystem verstehen. Ich als fuhrparkverantwortliche Person muss die Themen richtig adressieren und im Gegenzug auch Ansprechpartner sein, der Fragen beantwortet.

Ist aus Ihrer Sicht die Zeit der Plug-in-Hybride in der Flotte abgelaufen?

M. Cammerer: Wir haben uns das Ziel gesetzt, nur noch Fahrzeuge mit Stecker einzuflotten. Der Phev stellt dabei eine Übergangslösung dar, was rund 40 Prozent unserer aktuellen Flotte ausmacht. Mit dem Ende der Bafa-Förderung werden Phevs in der Anschaffung oder im Leasing unfassbar teuer und unlukrativ. Es gibt genug Statistiken die belegen, wie viel Prozent der Strecken ein Phev tatsächlich elektrisch fährt und wie oft er extern aufgeladen wird. Nur weil ein Auto ein "E" auf dem Kennzeichen hat, führt es nicht dazu, dass es auch E fährt.

Mehr E-Autos, mehr Ladepunkte, mehr Superschnelllader bedeuten gleichzeitig, dass wir mehr Strom benötigen und diesen bereitstellen müssen. Ist das eine Chance für Unternehmen oder eher ein Problem?

M. Cammerer: Es geht beim E-Auto in naher Zukunft ja nicht nur ums Fahren. Denn für ein stabiles Energienetz kann das E-Auto vielfältig eingesetzt werden. Die Energiewende und die Mobilitätswende funktionieren nur gemeinsam. Unsere gesamte Infrastruktur und wir selbst müssen daher viel digitaler und intelligenter werden. Beim Auto angefangen, über das Büro, das Haus bis hin zum gesamten Stromnetz. Folgendes Beispiel: Eine Wallbox muss "wissen", dass der Nutzer des gerade angehängten E-Autos lediglich anderthalb Stunden zu Besuch ist und in dieser Zeit die maximale Menge an Strom aufnehmen sollte, damit die Batterie nach dem Termin möglichst gefüllt ist. Andersrum muss man nicht über Nacht mit voller Leistung laden, wenn es auch die Hälfte tun würde, damit die Batterie bei gewünschter Abfahrt ausreichend gefüllt ist.

Dazu kommt das Thema bidirektionales Laden, wo Elektrofahrzeuge in das Energienetz integriert werden und wir so regenerativ erzeugten Strom speichern können. Diesen kann man dann zukünftig wieder in das Netz zurückspeisen, um so fehlende Energiemengen in der Nacht oder bei Windstille auszugleichen, sodass die Elektrofahrzeuge letztendlich ihren Teil zur Energiewende beitragen. Ich sehe es daher als eindeutige Chance!

Herr Cammerer, Herr Daake, herzlichen Dank für das Gespräch.

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