Von Mario Hommen/SP-X
Auf die berüchtigte "freie Fahrt für freie Bürger" freuen sich deutsche Autofahrer vor allem auf Autobahnabschnitten, auf denen die Richtgeschwindigkeit gilt. Viele ignorieren dabei den eigentlich verbindlichen Charakter, der dieser Regelung innewohnt. Das ist nicht nur gefährlich, sondern kann auch teuer werden.
Offiziell eingeführt wurde die Richtgeschwindigkeit in Deutschland im Jahr 1978. Ihr Geltungsbereich wurde in der Vergangenheit durch blau unterlegte Schilder mit weißer Zahl gekennzeichnet. Auf deutschen Autobahnen gilt sie allerdings auch ohne entsprechende Beschilderung, sofern kein Tempolimit angezeigt wird. Der Gesetzgeber sagt, dass ein Überschreiten dieser Geschwindigkeit - auf Autobahnen gelten generell 130 km/h - nicht empfohlen wird. Praktisch wird diese Empfehlung in der Regel auf deutschen Autobahnen allerdings ignoriert, da deutlich höhere Tempi nicht als Straftat oder Ordnungswidrigkeit gewertet werden. Das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit gehört vielmehr fast zum guten Ton, wie etwa eine Messung zum Lärmaktionsplan 2008 der Stadt Gera an der A9 zeigte, bei der deutlich über 60 Prozent der Autos mit mehr als 130 km/h gemessen wurden.
Ganz unproblematisch ist das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit allerdings nicht, auch wenn dies per se keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht. Kritisch wird das Überschreiten bei einem Unfall, denn dann wird eine Mithaftung des schneller Fahrenden sehr wahrscheinlich. Hierzu hat der BGH schon 1992 festgestellt, dass man jenseits der 130 km/h in haftungsrelevanter Weise die Gefahr vergrößert. Eine Mithaftung jenseits von Tempo 130 ist also fast obligatorisch. Deutsche Autoversicherer kennen das Problem. So warnt der Kfz-Versicherungsexperte der CosmosDirekt, Frank Bärnhof: "Ist ein Fahrer schneller als 130 Stundenkilometer auf der Autobahn unterwegs und wird er unverschuldet in einen Unfall verwickelt, kann ihn dennoch eine Mithaftung treffen. Die Gerichte gehen in diesen Fällen davon aus, dass der Fahrer sich nicht wie ein 'Idealfahrer' verhalten hat, da dieser nicht schneller als die Richtgeschwindigkeit fährt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Fahrer nachweisen kann, dass der Unfall auch bei einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern oder weniger passiert wäre".
Diese Mithaftung – in der Regel werden mindestens 20 Prozent angerechnet – muss aber nicht immer eintreten. Wird der Unfall zum Beispiel durch einen besonders rücksichtslosen Spurwechsel provoziert, kann der Anteil der Mithaftung trotz einer zu hohen Geschwindigkeit gegen null tendieren.
Schlechte Karten hat man bei einem eigentlich unverschuldeten Unfall allerdings, wenn man mit über 200 km/h unterwegs ist und die Richtgeschwindigkeit damit um über 50 Prozent überschritten wird. In einem verhandelten Fall aus dem Jahr 2013 hat das Oberlandesgericht in Koblenz entschieden, dass ein besonders schnelles Tempo jenseits der 200 eigentlich keinen Unfallvermeidungsspielraum mehr lässt und trotz eines schwerwiegenden Verstoßes des Unfallgegners auch der Raser mithaften muss. Auf 40 Prozent wurde die Mithaftung festgelegt.