Aktuell erlebt die Branche eine Gratwanderung zwischen Wettbewerb und Sanierungszwang. Noch stärker steht das Flottengeschäft unter Druck. Ein neuer Player mit starken Partnern im Hintergrund will es revolutionieren. Bisher reagieren die übrigen Flottenversicherer entspannt, wie eine Blitzumfrage zeigt.
Die Autoversicherer müssen 2024 die Prämien massiv erhöhen, um die Inflation auszugleichen. "Zum Jahresbeginn 2023 wurden die Prämien in der Kfz-Versicherung im Durchschnitt lediglich um 2,3 Prozent marktweit angepasst", sagt Marco Morawetz, Head of Consulting bei der General Reinsurance (Gen Re). Dabei haben die Versicherer, um im Wettbewerb keine Verluste zu erleiden, die Kraftfahrthaftpflichtversicherung (KH) insgesamt nur um zwei Prozent und die Vollkaskoversicherung um drei Prozent erhöht.
Die Teilkaskoversicherung blieb sogar unverändert. Gleichzeitig steigen die Kosten insgesamt, weil es wieder mehr Verkehrsunfälle gibt. Laut dem Statistischen Bundesamt stieg die Zahl der von der Polizei erfassten Crashs gegenüber den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 um fünf Prozent an. Das hat zu einem ersten Umdenken geführt. Die Assekuranzen haben nun wohl erkannt, was die Stunde geschlagen hat. So wurden laut Tarifanalysen (Nafi) der Gen Re die Neu- und Ersatzgeschäftstarife im ersten Halbjahr 2023 im Mittel um zehn Prozent erhöht.
Die aktuellen Prämienanpassungen in der Kfz-Versicherung reichen trotzdem auf keinen Fall aus. Denn die Verluste in der Kfz-Versicherung belaufen sich nach einer aktuellen Prognose des Gesamtverbandes der Versicherungen (GDV) für das gesamte Jahr auf mehr als 2,5 Milliarden Euro. "Die Autofahrer zahlen in diesem Jahr für die Absicherung ihrer Fahrzeuge rund 30,2 Milliarden Euro - aber die Versicherer müssen über 32,8 Milliarden Euro für Schäden und Verwaltung ausgeben. Unter dem Strich stehen jedem eingenommenen Euro Ausgaben von 1,09 Euro gegenüber", erläutert GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. "Sowohl die Ersatzteile als auch die Arbeit in den Kfz-Werkstätten werden immer teurer."
Dieser Trend zeige sich bereits seit Längerem. "Im vergangenen Jahr dürfte ein durchschnittlicher Sachschaden in der Kfz-Haftpflichtversicherung von Pkw mit rund 3.700 Euro zu Buche geschlagen haben - 2013 waren es noch 2.400 Euro", so Asmussen. Noch stärker müssten die Kfz-Versicherer die Prämien für Elektrofahrzeuge in der Kaskoversicherung erhöhen. Hier fährt der Markt derzeit durch eine starke Untertarifierung in der Vollkaskoversicherung ein Minus von über 19 Prozent ein und in der Teilkaskoversicherung von über sechs Prozent. Noch sei der Bestand von E-Fahrzeugen mit rund ein Prozent am Gesamtbestand aller Kfz relativ klein. "Er wächst aber stark und damit bekommen die Kfz-Versicherer in der Zukunft ein großes Problem", warnt Morawetz.
Viele Stimmen mahnen nun die Branche zur Preisdisziplin. Schon im April hatte Jörg Rheinländer, Vorstand beim größten Kfz-Versicherer Deutschlands, der HUK-Coburg Gruppe, festgestellt, dass "die Autoversicherung tiefrot" wird. Zum Umfang der Preiserhöhungen in der Kfz-Versicherer für das nächste Jahr wollte der GDV sich nicht äußern. "Aller Voraussicht muss die Prämienerhöhung in der Autoversicherung branchenweit 2024 wohl zweistellig ausfallen, um nur eine "schwarze Null" zu erreichen", sagte hingegen Morawetz.
Gleichzeitig brechen den Kfz-Versicherern ihre Direktkontakte weg. Seit Jahren werden vor allem Neufahrzeuge direkt im Autohaus versichert. "Die Kunden haben sich mittlerweile an den Komfort von ganzheitlichen Services und Ökosystemen gewöhnt", sagt HUK-Coburg-Manager Rheinländer. One-Stop-Shop wird zum Standard und von Versicherern erwartet.
Daher trommelt Deutschlands größter Kfz-Versicherer für eine digitale Plattform, über die Kfz-Versicherer gemeinsam Mehrwertdienste rund um die Mobilität organisieren können. "Die Versicherer müssen für die Kunden sichtbar bleiben. Die onpier-Plattform ist die gemeinsame Lösung dafür", warb Klaus-Jürgen Heitmann, Vorstandssprecher der HUK-Coburg im Juli 2023 anlässlich eines Branchentreffens in Hamburg vor 30 Führungskräften aus der Assekuranz. Onpier erlaubt den teilnehmenden Versicherern, jeweils individuell die Mehrwertdienste über Vermittler, Makler oder die Homepage laufen zu lassen.
Damit bündeln erstmals Autoversicherer gemeinsam ihre Nachfragemacht. Doch über die Teilhaber der Plattform hi-naus, die HUK-Coburg und die LVM-Versicherung sowie die Kooperationspartner, den HDI und die WGV - die insgesamt rund 18 Millionen Kunden repräsentieren - gibt es bisher keine Mitstreiter.
Möglich, dass die Aktivitäten des Marktführers in der Autoversicherung von den Wettbewerbern kritisch verfolgt werden. So hat die HUK-Coburg mit der Neodigital Autoversicherung ein Joint Venture begründet, das eigene Produkte entwickeln soll, "die Versicherungsunternehmen, Vermittlerinnen und Vermittlern sowie Beraterinnen und Beratern offenstehen", wie HUK-Coburg-Chef Heitmann betont. Mit Neodigital steigt somit die HUK-Coburg indirekt in den Maklervertrieb ein. Dazu sollen aus dem Haus Neodigital White-Label-Produkte angeboten werden, wie der fränkische Versicherer bestätigt.
"Vielleicht zeigen auch große Makler Interesse, die für ihre riesigen Bestände etwas bauen wollen, das für sie besser ist als das Angebot von allen anderen Risikoträgern", erläutert ein HUK-Coburg-Sprecher. Zudem sollen Versicherer angesprochen werden, die die Autoversicherung nicht mehr betreiben oder betreiben wollen. Doch das Joint Venture könnte auch in eine ganz andere Richtung laufen und Internetgiganten wie Google, Amazon oder Facebook einen Weg in den deutschen Versicherungsvertrieb ebnen. Das schließt die HUK-Coburg jedenfalls nicht aus. "Diese Digitalgiganten brauchen extrem automatisierte Prozesse", so der Sprecher.
Nun will die Neodigital Autoversicherung einen Telematik-Tarif für jedermann und für die Kfz-Flotte entwickeln. So sollen für den Gewerbetarif Fahr- und Bewegungsdaten der Firmen- und Dienstwagen mit einer Schadenursachenanalyse kombiniert werden. Anonym wird dann ein Fahrer-Score, also eine Punktebewertung, ermittelt. Danach richtet sich die Flottenversicherungsprämie. Bisher konnten sich Telematik-Tarife im gewerblichen Flottengeschäft nicht durchsetzen. Der neue Player im Flottengeschäft, der die Zeitenwende anstoßen soll, heißt Hector digital und ist Mehrfachagent.
"Aktuell testen wir die Telematiktechnologie mit einigen Flottenkunden. Nach Abschluss dieser Test werden wir über eine breitere Einführung von Telematik entscheiden", sagt Hector digital Geschäftsführer Michael Grassée. In gewisser Weise rudert der Assekuradeur schon jetzt etwas zurück. So gehe es weniger um einen individuellen Fahrerscore, wie er bei den privaten Telematik-Tarifen die zentrale Rolle spielt, sondern "eher um die Ermittlung von Risikoprofilen in der Flotte". Momentan sei Telematik aber noch nicht Teil der Kalkulation. Zudem pocht er auf Eigenständigkeit. "Die HUK-Coburg ist bei Hector digital nicht aktiv", betont Grassée. Hector digital sei die Zeichnungsstelle der Neo-digital Autoversicherung für den Gewerbe- und Flottenbereich. Das Unternehmen soll aber einen "maßgeblichen Anteil am Flottenmarkt" erreichen. So die Prognose von Neodigital-Vorstand Stephen Voss.
Das Volumen des Flotten- und Brokermarktes beziffert der Manager auf fast elf Milliarden Euro. Tatsächlich nimmt der Flottenmarkt einen immer größeren Stellewert ein. Das zeigen Auswertungen des Beratungsunternehmens Dataforce.
"Der relevante Flottenmarkt legte auch im Juli wieder am stärksten von allen Kanälen zu. Der Anstieg von 32 Prozent mit absolutem Zuwachs von 21.378 Fahrzeugen ist enorm", kommentiert das Beratungsunternehmen die Neuzulassungen. Mit den fast 88.000 Neuzulassungen im Juli haben Flottenfahrzeuge schon einen Anteil von über 36 Prozent am Markt.
Die Bindungen zwischen der Talanx-Tochter HDI Gruppe und der HUK-Coburg Gruppe werden deutlich enger. So ist der HDI ein Investor der Neodigital Versicherung. Der neue Hector digital fungiert für HDI Global als Assekuradeur für gewerbliche Kfz-Flotten.
Hector digital arbeitet mit Plattformen der Fahrzeughersteller, Finanzierungsgesellschaften, Konsumerbanken, Leasingunternehmen und Maklern zusammen. Mithilfe digitaler und automatisierter Prozesse erstellt die Plattform Hector digital im Namen von HDI Angebote und Anträge für Kunden direkt am Point of Sale. Als Assekuradeur regelt Hector digital auch Schäden bis zu einer bestimmten Größenordnung im Namen von HDI. Im Bereich der Sachsparten bei HDI Deutschland arbeiten Neodigital und HDI an einer digitalen Schadenplattform.
Anfänglich war noch geplant, das Flottengeschäft über SG IFFOXX Assekuranzmaklergesellschaft, einer Tochter der internationalen Industriemaklergruppe Aon, aufzubauen. Doch nun hat man sich bei der Neodigital Autoversicherung für die Partnerschaft mit einem Versicherer entschieden. Wohl um die Wertschöpfungskette enger zu halten.
Der Moment ist günstig. Denn kein Segment der Kfz-Versicherung leidet so stark unter der Kostenexplosion wie der Flottenschutz. Dies zeigen Daten, die der Leasing-anbieter Leaseplan Deutschland veröffentlicht hat. So sind die Reparaturkosten in der Vollkaskoversicherung um knapp 25 Prozent und in der Teilkasko um mehr als acht Prozent von 2021 auf 2022 gestiegen. Ausgewertet wurden 46.000 Schäden.
Leaseplan arbeitet auch als produktakzessorischer Versicherungsmakler. "Wir sehen einen noch deutlicheren Anstieg bei den Reparaturkosten als in den Jahren zuvor", sagt Christopher Schmidt, Commercial Director bei Leaseplan. Grund ist nach Einschätzung des Unternehmens die zunehmende Zahl von Assistenzsystemen in den Fahrzeugen. Zwar würden die Autos so sicherer, doch wenn es zu einem Schadenfall komme, seien die Reparaturkosten entsprechend hoch.
Flottenfahrzeuge sind in der Regel aufgrund ihrer hohen Einsatzfrequenz überproportional von Unfallschäden betroffen. Die GDV-Marktübersicht zur Kfz-Versicherung zeigt auch, dass der Flottenversicherungsmarkt mit einer Schaden-KostenQuote nach Abwicklung mit 112 Prozent ganz tief in der Verlustzone steckt.
Fazit: "Der Markt muss deutlich nach oben gehen", so Pressesprecherin Sabrina Lauwaßer von den Badischen Versicherungen (BGV). "Auch eine Anhebung von bis zu 20 Prozent wird in Einzelfällen notwendig sein."
Flottenkunden und Flottenversicherungsmakler sollten daher frühzeitig gegensteuern. Das gilt vor allem für Unternehmen, die mit vielen Unfällen zu kämpfen haben. Sonst könnten die Versicherungskosten für den Fuhrpark regelrecht explodieren. Leaseplan schätzt, dass bis zu 15 Prozent der Gesamtbetriebskosten eines Fuhrparks auf den Versicherungsschutz entfallen. An dieser Stelle will nun Hector digital den Wettbewerb forcieren. "Wir werden in diesem Segment speziell den Vorteil im Verwaltungskostenbereich ausspielen und da-raus Vorteile für unsere Geschäftspartner generieren", erläutert Vorstand Voss.
Noch werden bei Hector digital aber "wenige Flotten" betreut, da das Flottengeschäft stark auf den Jahresanfang fixiert sei. "Allerdings bemerken wir im Rahmen der Neukundenanfragen ein erhebliches Interesse und ein hohes Anfragevolumen", sagt Chef Grassée. Die Konkurrenz gibt sich trotzdem gelassen. Auch wenn mit der Bayerischen aktuell gerade ein Versicherer aus dem Flottengeschäft ausgeschieden ist. "Aus unserer Erfahrung heraus steht bei Flottenversicherungen eine individualisierte Beratung im Vordergrund. Eine gute technische Plattform ist dabei sehr wichtig, um die operative Abwicklung zu erleichtern, sie ist aber nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg", betont Alexander Held, Manager Underwriting & Product beim Kfz-Versicherer Verti.
"Auch eine Anhebung von bis zu 20 Prozent wird in Einzelfällen notwendig sein."
Sabrina Lauwaßer, Pressesprecherin der Badischen Versicherungen
Bei der Ergo ist man nach eigener Einschätzung längst dort, wo Hector digital hinwill. "Wir realisieren eine ideale Symbiose aus persönlichen Kontakten in einer zunehmend digitalen Welt", erläutert Pressesprecherin Claudia Wagner. "Wir verstehen Versicherung als ein Beziehungsgeschäft und punkten insbesondere über unsere persönlichen Ansprechpartner vor Ort und werden diese erfolgreiche Aufstellung fortschreiben." Etwas vorsichtiger argumentiert Marktschwergewicht Allianz. Man habe den Launch von Hector digital als First-Mover in dem Bereich zur Kenntnis genommen und werde den Markt und neue Vertriebskanäle - nicht nur während der Abwerberunde - wie bisher auch, weiter beobachten. Zudem könne man auf Veränderungen kurzfristig reagieren.
Demgegenüber weist die Zurich da-raufhin, dass man schon seit einiger Zeit intensiv daran arbeite, "Admin, Claims und Underwriting digitaler zu gestalten." Eine weitere Digitalisierung plant auch die Signal-Iduna Gruppe im Bereich der Flottenversicherung. Der Weckruf steht im Flottengeschäft also auf Veränderung. Etwas beruhigen dürfte die Branche, dass Hector digital nicht mit Dumping in den Markt gehen will. "Wir planen mit unseren Partnern in den nächsten Jahren gemeinsam zu wachsen, allerdings generell immer unter Ertragsgesichtspunkten", bestätigt Manager Voss.