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Anto Matosevic fackelt nicht lange: "Ich bereue es keine Sekunde - im Gegenteil." Der Pflegeteam-Chef fügt schmunzelnd hinzu, dass er weder mit einem Elektrofahrrad-Hersteller verwandt sei noch dazu neige, die Augen vor Problemen zu schließen. "Trotzdem kann ich keinen einzigen Nachteil sehen, vor fünf Jahren das Projekt E-Rad begonnen zu haben. Damals war das reine Pionierarbeit."
Stau, Strafzettel, Benzin
Er erinnert sich noch gut an die Situation, als er wieder einmal auf einer zentralen Verkehrsader in Bad Cannstatt eines warmen Sommernachmittags im Auto schwitzend im Stau stand. Mit Blick auf die Uhr und seinem in die Ferne rückenden Termin nahm er schließlich wahr, dass von Zeit zu Zeit mehrere Radler an der wartenden Blechschlange vorbeizogen. "Da traf es mich wie ein Blitz, welch naheliegende Zusatzmaßnahme auch für mein Team in Frage kommen könnte."
Die Voraussetzungen für ein E-Bike im M.A.I.-Pflegedienst hat er nach kurzer Recherche als ideal angesehen: Alle Patienten wohnen in einem Umkreis von rund fünf Kilometern, wobei gerade das leidige Thema Auto-Parkplatzsuche im Ballungsgebiet durch ein Rad auf gar nicht wundersame Weise verschwindet. Ebenfalls in Wohlgefallen aufgelöst hat sich damit ein ordentlicher Haufen Strafzettel, der einen nicht unwesentlichen finanziellen Faktor ausmacht. An Kraftstoffkosten kann er auch ein paar hundert Euro im Monat sparen.
Natürlich fragte Matosevic seine mehrheitlich weiblichen Mitarbeiter im Vorfeld, was sie von der Idee hielten - und erntete Zustimmung. Etwaige Zweifel bezüglich Wetterkapriolen, Transportgrenzen oder der Frage, wo man dann seine Pause machen soll, begegnete er mit einem praxisorientierten Konzept: Funktionskleidung einschließlich Handschuhe und Helme sind Ehrensache und werden gestellt. Die gängigen Utensilien für die jeweilige Schicht passen in die Satteltasche. Wenn für die Kunden etwas zusätzlich transportiert werden muss, wird das mit dem Auto gebracht."Wir organisieren das locker vom Hocker. Viele Pausen finden nun im nahegelegenen Park oder am Neckar statt." Klar ist zudem: Im Winter wird der elektrisierte Drahtesel eingemottet sowie für Wartungsarbeiten außer Haus gegeben. Rückblickend stellt Matosevic fest, dass sich nach ein paar Wochen alles eingespielt hatte und die Begeisterung überwog. So sagt eine Mitarbeiterin heute: "Das ist ein Supertraining, als ob man jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio geht. Als Zugabe bin ich auch noch an der Luft."
Eine Stunde schneller
Natürlich sei der Rad-Pionier anfangs belächelt worden, jedoch nicht im eigenen Umfeld und schon gar nicht von den Patienten. Da gebe es bis heute ungebrochenen Zuspruch für die gesundheitsfördernde Fortbewegung. Er erzählt lächelnd, dass manche Pflegeschwester von den Besuchten auch mal etwas Schokolade oder einen Apfel bekomme, um ihr Energie für ihre weitere Tour zuzuführen. Das alles sei sehr spielerisch und wohltuend.
Abgesehen davon kalkuliert der Boss aber auch messerscharf - wen wundert's, zum Wohle der Patienten und des Teams: Am Ende eines Rad-Tages kommt nach seinen Erkenntnissen unterm Strich gut eine Stunde Zeitgewinn zusammen. Man ist einfach schneller unterwegs und ohne Parkplatzsuche am Ziel. Dieser Puffer kann dafür genutzt werden, um aus der zeitgetriebenen Arbeit etwas Druck rauszunehmen. Diese Behauptung untermauert Matosevic mühelos, denn er hat die Patientenzahl im Verhältnis zur einzelnen Mitarbeiterin gleich gehalten.
Gewonnen werden konnte zudem eine Pflegekraft, die keinen Führerschein hatte - dies dürfte nach seinem Dafürhalten auch in Zukunft nicht zu unterschätzen sein, wenn es um neue Kolleginnen oder Kollegen geht."Gerade bei Jüngeren ist es nicht mehr selbstverständlich, eine Fahrerlaubnis zu erwerben. Abgesehen davon kann es sogar als erstrebenswert gelten, sich in seinem Beruf per Rad fortzubewegen. Warum sollte ich mir dieses Potenzial entgehen lassen?"
Ab März bis weit in den Herbst hinein ist das Fahrrad täglich unterwegs. Die Zeit zwischen zwei Schichten genügt zum Aufladen des Akkus in der Pflege-Zentrale, denn dafür werden nicht mal zwei Stunden benötigt. Glücklicherweise sei das erste E-Bike aus technischen Gründen niemals ausgefallen. Es verrichtete drei Jahre lang problemlos seinen Dienst. Eine Ablösung durch ein neues Exemplar wurde erst dann notwendig, als die Elektroreichweite zu schmelzen begann. Von anfänglich rund achtzig stromernden Kilometern blieben schlussendlich noch rund zwanzig Kilometer übrig.
Die Einzigen unter Vielen
Die Vorreiterrolle ist ihm bewusst, auch wenn er sich ob der zahlreichen Vorteile über diesen weiterhin recht einsamen Zustand wundert:"Unter den Pflegediensten, die ich kenne, sind wir immer noch die einzigen mit E-Bike." Die Projektphase ist längst abgeschlossen, alle Zeichen stehen auf stromerndem Nachwuchs, zwei weitere Elektro-Räder sind quasi im Anflug. Übrigens redet der zukunftsorientierte Chef, der gern selbst bei Gelegenheit Pflegetouren übernimmt, nicht nur über weitreichende Veränderungen in seinem Fuhrpark, er treibt sie auch voran. So stellt er demnächst seine Pkw-Flotte auf E-Autos um. "Wir sind mit 15 Mitarbeiterinnen, sechs Autos sowie einem Transporter und bald drei Elektrorädern ein überschaubares Unternehmen. Die Wirkung ist nicht riesig, aber es liegt mir am Herzen, dass wir unseren Beitrag zum verkehrs- und umweltschonenden sowie gesundheitsfördernden Umgang bei der Arbeit leisten."
Pedelecs und E-Autos
Die Entscheidung für eine Elektro-Pkw-Flotte sei natürlich eine ganz andere Nummer als das E-Rad. Allein die Installation einer Doppelladesäule vor der Tür würde im gesamten Entwicklungsprozess neben viel Zeit auch einige Nerven kosten. Statt wie geplant noch in diesem Jahr mit seinen vierrädrigen Mobilen ans Stromnetz zu gehen, sei dies nicht zuletzt wegen der derzeitigen Lieferfristen erst im nächsten Jahr realistisch.
Was sich der Pflegedienstleiter für die Zukunft wünscht? "Schön, dass immer mehr Radwege gebaut werden. Da ist aber das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Und die politische Unterstützung, die es mittlerweile für Elektro-Autos gibt, sollte auch massiv bei den Elektro-Rädern vorangetrieben werden."
- Ausgabe 05/2021 Seite 30 (327.6 KB, PDF)