Von Michael Blumenstein/Autoflotte
Die Aussage von Britta Seeger, Vertriebsvorstand der Daimler AG, bei der Präsentation des GLB war eindeutig: "Mittlerweile ist jeder dritte Mercedes-Benz ein SUV, jeder vierte ein Kompaktwagen. Ein kompaktes SUV wie der GLB vereint also alle Erfolgsfaktoren unserer beiden volumenstärksten Segmente." Zudem wird der GLB als "intelligent wie ein Smartphone und praktisch wie ein Multitool" angepriesen. Puhhh, ganz schön perfekt also, das neue "kleine" SUV der Stuttgarter - zumindest theoretisch. Denn der Anspruch der Kunden dürfte in Zukunft nicht sinken, sondern eher steigen. So verkündete Daimler-Chef Ole Källenius unlängst, dass Mercedes sich (noch) in Richtung Premium entwickeln will.
Das ist nicht Premium
Fangen wir mal an: Ein unverkleideter Türrahmen innen, man blickt also von den Sitzplätzen auf die Lackierung des Fahrzeugs, ist nicht Premium. Das können teils Kleinwagen besser. Ebenso ist das Schließen der Türen keine Freude. Beim ersten Versuch klappt es eher selten. Ein Gepäckrollo, das sich bei der Siebensitzer-Konfiguration in den Gurten von Platz sechs und sieben verfängt, ist nicht Premium. Ein derart verwinkelt angebrachtes Cockpit, das mit seinem Ecken und Kanten (hinter dem Bildschirm) ein Staubfänger par Excellence ist, ist nicht Premium. Eine ab Tempo 190 flatternde Motorhaube ist, Sie ahnen es, nicht Premium. Da ist also noch Luft nach oben.
Die Aussage von Frau Seegers passt besser. Zwar ist der GLB mit 4,63 Metern Länge keineswegs mehr kompakt, doch rangiert unter ihm lediglich der GLA und darüber der GLB. Der GLA ist 22 Zentimeter kürzer, also kompakt. Der GLC ist mit 4,66 Metern lediglich drei Zentimeter länger und perfekt in der SUV-Mittelklasse verankert. Somit fragen sich geneigte Mercedes-Interessierte: Wo ist der Unterschied? In jedem Fall beim Preis: Der GLB ist gut 4.000 Euro günstiger als der GLC. Das interessiert jedoch viele User-Chooser nicht, um auf den Punkt "das fehlt noch zum Glück" zu kommen. Denn den GLB gibt es (noch) nicht als Plug-in-Hybrid (Phev). Gerade für die Dienstwagenfraktion mittlerweile ein No-Go. Denn die wählen verstärkt Phev, die sich beim richtigen Einsatz auch fürs Unternehmen rechnen. So kostet der GLC 300e (also der Benzinhybrid) zwar auf dem Papier ziemlich genau 9.000 Euro mehr (bei deutlich höherer Leistung) als der GLB 220 d 4Matic, abzüglich Bonus aber eigentlich nichts mehr und Dienstwagenfahrende freuen sich beim GLC über die Versteuerung zu A-Klasse Basispreisen. Der Preis kann es also aktuell nicht sein, was den GLB erfolgreich machen soll.
Markantes Design
Es ist eher das Design und das Platzangebot. Denn beides ist besonders - und viele würden sagen: gut. Beim Aussehen spielt der GLB eine Sonderrolle. Kastig wirkt er, ohne Kanten zu haben. Mercedes-Designer Gordon Wagener feilt die Kanten rund - das kommt auf jeden Fall an. Hochaufragend sticht der GLB aus der Masse und hat in der Minimalausstattung doch einen beachtlich guten CW-Wert von 0,30 gesichert. Somit differenziert sich das zweitkleinste Mercedes-SUV nicht nur firmenintern, er ist auch sonst ein Gesicht in der uniformen SUV-Welt. Recht kurze Überhänge sollen ihn zudem Geländefahrten erfolgreich absolvieren lassen. Immerhin haben die Ingenieure und Designer in dem Punkt zusammen agiert. Wie bei Land Rover-Modellen greift die Tür über die Seitenschweller, was Verschmutzungen an den Hosenbeinen verhindert - gerade beim durchaus komfortablen Einsteigen in den GLB ist das eine Bereicherung und nachahmenswert. Saab hatte das bereits Mitte der 1980er Jahre - aus Sicherheitsgründen. Um beim Dreckseinsatz zu bleiben: Die aufpreispflichtigen Multibeam-Scheinwerfer (Serie ist Halogen) haben sogar ein Offroad-Licht an Bord, sofern Allrad für 1.550 Euro geordert wurde. Das Matrixlicht leuchtet dann in unwegsamen Gelände breiter - falls das zur Kaufentscheidung beiträgt.
Ein triftiger Grund für den GLB könnten tatsächlich die Sitze ganz hinten sein. Gegen Zuzahlung von 1.000 Euro gibt es zwei Klappsitze im Kofferraum, die für Menschen bis 1,68 Metern Körperlänge passen. Für die kleine Oma oder den Opa sind sie in jedem Fall nichts, es sei denn, sie waren einst Akrobaten. Mit dem Siebensitz-Paket kommt die verschiebbare Rückbank. 14 Zentimeter in Summe lässt sie sich aus "Normal-Null" bewegen und gibt mehr Beinfreiheit oder mehr Gepäckraum frei. Platzmangel herrscht aber in der Tat nicht. Zu den Seiten, nach vorne und nach oben sind die Verhältnisse üppig. Sind die Sitze sechs und sieben umgeklappt, passen 500 Liter hinein. 1.680 sind es, wenn alles flach gelegt wurde. Das sind 70 bis 125 Liter weniger als beim Fünfsitzer. Damit dennoch alles gut eingeladen werden kann schwingt die Heckklappe auf Wunsch mit einem Fußtritt auf - weit auf. Selbst Menschen Ü-190 stehen kopfnußfrei unter der geöffneten Klappe.
Fahrbericht Mercedes GLB 220d
BildergalerieTolle (Langstrecken-) Sitze
Ganz vorne sitzt es sich hervorragend. Die Sitzposition kann sich – gerade auch mit den Multikontursitzen – in der Bestenliste weit vorne eintragen. Lediglich darf die Frage gestellt werden, wer bei den verstellbaren Seitenwangen die Stufe zehn benötigt? Selbst dürre Menschen werden in der Stellung in die Zange genommen.
Wer volles Ornat im Kombiinstrument und Infotainmentbereich bestellt, sprich: MBUX, kann vieles per Sprache bedienen. Das klappt mal perfekt, mal weniger. Es vereinfacht in jedem Fall viele Dinge, die beim Suchen in den Menüs deutlich länger dauern würden. Denn die Einstellmöglichkeiten sind "umfangreich". Dass ein Teil der Infotainmentanzeige - je nach persönlicher Sitzeinstellung - vom Lenkrad verdeckt wird, ist unschön. Ebenso, dass der Sprung von Apple Carplay beispielsweise zu den Radioeinstellungen nur umständlich über das Hauptmenü gelingt. Das "Kombiinstrument", also der linke Teil des Megadsiplays ist zudem so ungeschickt installiert, dass es am linken Ende eine Staubfalle hat und sich hinter dem Display ebenfalls ein Loch befindet, das geradezu als Schmutzsammelstelle fungiert. Das zu reinigen, bedeutet Pinselarbeit. An der Verarbeitung des im mexikanischen Aguascaliente ("heiße Wasser") - abgesehen vom Erwähnten - ist kaum etwas zu meckern.
Bei den Motoren gibt es eine breite Auswahl zwischen 116 Diesel-PS bis hin zu 306 AMG-Pferden. Der gefahrene GLB 220d 4Matic markiert aktuell das obere Ende der Diesel-Skala und passt gut zum knapp 1,8 Tonnen schweren Daimler. Nicht nur, dass zwei Tonnen an den Haken genommen werden dürfen. Die Kraft reicht eben auch sonst für die meisten Einsätze aus. 190 PS und 400 Newtonmeter zerren an den vier Rädern. Im Normalfall verteilt der Allradantrieb (4Matic) die Kraft zu 80 Prozent nach vorne. Wird beim (serienmäßig vorhandenen) "Dynamic Select"-Schalter auf Sport gestellt, gehen zehn Prozent mehr nach hinten und im Offroadmodus wird paritätisch verteilt.
Der Selbstzünder ist ein genügsamer Geselle. Wer rollt, kommt mit sechs Litern 100 Kilometer weit. Im Mittel haben wir 7,6 benötigt. 8,8 Liter gönnte er sich bei einer ausgeprägten Vollgasetappe. Dank des beim Allrad 60 Liter großen Tankinhalts geht die Reichweite in Ordnung. So hat Mercedes auch beim AdBlue-Tank in die Vollen gegriffen und 24 Liter spendiert. Auffällig ist, dass der 220er im Stadttempo und beim Ausdrehen durchaus klangstark zu Werke geht, was wiederum nicht so ganz zum Premiumanspruch passt. Die Achtgang-Doppelkupplung agiert dafür schnell und ruckfrei, ist jedoch nicht immer auf Anhieb überzeugend bei der Wahl der passenden Fahrstufe. Angenehm: Der achte Gang ist sehr lang übersetzt, was zum cruisenden Charakter des SUV passt. Da reiht sich auch das Fahrwerk ein. Adaptiv war es in unserem Fall, nötig ist es eher nicht. In Kombination mit den 19-Zoll-Rädern (Serie 17") ergibt sich eine satte Straßenlage im Eco- und Comfortmodus und eine fürs Fahrzeug zu straffe in der Sportstellung. Auch aus optische Gründen plädieren wir beim GLB für 17-Zoll-Felgen. Zudem erhöhen sie den Komfort, senken den Verbrauch und verzeihen Bordsteinkontakte, was sich wiederum bei der Fahrzeugrückgabe positiv auszahlt.
Ein Schritt zu weit voran
Mercedes ist bekannt dafür, Sicherheitsstandards zu setzen. Wir hoffen, dass Mercedes auch mal auf Stimmen hört, denen die Systeme zu früh, zu energisch und zu oft eingreifen. Pre-Safe tauften die Schwaben einst ein System, das Unfallgefahr erahnt und bereits vor dem Ernstfall die Gurte ruckartig strafft, parallel per Ton warnt und vorsorglich den Anker setzt. Das ergibt Sinn durchaus Sinn im Ernstfall. Dass jedoch der GLB auf den von uns gefahrenen 2.752 Kilometern sechs Mal sämtliche Insassen aufschreckte, sorgte bei zwei Redakteuren für wenig Amüsement. Es ergaben sich dadurch sogar gefährliche Situationen, bei denen der Hinterherfahrende glücklicherweise schnell und richtig gehandelt hat. Assistenzsysteme sollen helfen, Unfälle zu vermeiden, und keine provozieren. Wenngleich wir stets für Sicherheitssysteme sprechen, ist die aktuelle Entwicklung in vielen Fällen kontraproduktiv. Das ist nicht nur beim GLB so, auch andere Hersteller gehen hier einen Weg, der oft den Vorgaben des EuroNCAP (Crashtest) geschuldet und in der Theorie sicherlich sinnvoll sind. Im Alltag beweist er leider oft das Gegenteil und wiegt die Personen in vermeintlicher Sicherheit, die auch während der Fahrt meinen, am Smartphone hängen zu müssen. Ärgerlich, dass aufgrund eines standardisierten Crashtests viele dieser "Sicherheitssysteme" obligatorisch sind und bei jedem Motorneustart neu deaktiviert werden müssten. Das sind die Dinge, die aus einem GeLiebten Benz einen machen, der auch mal nerven kann.