"Gut Ding will Weile haben", weiß der Volksmund. So gesehen, müssen der Audi Q6 e-tron und sein deutlich teurer Technikbruder, der Porsche Macan Electric, ein voller Erfolg werden. Schließlich kommen beide Stromer gut zwei Jahre später als geplant auf den Markt. Grund für die misslungene Punktlandung ist die Premium Platform Electric (PPE) des Volkswagen-Konzerns. Hinter vorgehaltener Hand erklärt ein Topmanager: "Es knirscht an allen Ecken und Enden und im Grunde ist die Architektur jetzt schon veraltet."
Eines der Hauptprobleme war die Infotainment-Software, die von der hauseigenen Bits-and-Bytes-Schmiede Cariad kommen sollte. Das Infotainment setzt auf die E3-Architektur, die auf Android Auto basiert. Im Klartext: Cariad hat es nicht hinbekommen. Auf Nachfrage bestehen die Audi-Techniker dennoch darauf, dass die entscheidenden Elemente aus dem eigenen Haus kommen. Zum Beispiel stammt das Kartenmaterial des Navigationssystems nicht von Google, sondern vom gemeinsam mit BMW und Mercedes erworbenen Kartenspezialisten Here.
Audi Q6 e-tron Quattro
BildergalerieAudi Q6 e-tron: Licht mit Zusatzfunktionen
Licht hat bei Audi seit jeher einen hohen Stellenwert. Jetzt erklimmen die Ingolstädter die nächste Stufe der Leucht-Effektleiter und schöpfen die OLED-Möglichkeiten aus. Bei den Matrix-Scheinwerfern kann aus acht Tagfahrlicht-Signaturen gewählt werden. Spannender sind die Heckleuchten, bei denen jeweils drei OLED-Panels mit 360 Segmenten zum Einsatz kommen. Die nutzen die Audi-Lichtdesigner, um das Auto bei Gefahren-Situationen mit der Umwelt kommunizieren zu lassen. Bei Betätigen des Alarmblinkers erscheint in den hinteren Leuchten ein rotes Warndreieck. Öffnet man die Türen und das Heckradar erkennt einen herannahenden Radfahrer, formen die Dioden ebenfalls diese geometrische Figur.
Beim Antrieb und der Fahrdynamik unterscheiden sich die Konzernverwandten. Während Porsche beim Macan Electric auf Permanentmagnet-Synchronmotoren (PSM) setzt, verwendet Audi an der Hinterachse eine PSM-Maschine und vorne einen Asynchron-Elektromotor (ASM). Der Grund liegt in der Effizienz, da ein ASM-Aggregat ohne Schleppverluste mitlaufen kann, sobald es sich vom Vortrieb verabschiedet. Allerdings kann sich die Maschine bei extremer Beanspruchung – etwa auf der Rennstrecke – erhitzen und die Leistung nachlassen. Im Alltag eher unwahrscheinlich. Also rollt der Q6 e-tron mit 190 PS vorne und 381 PS hinten an den Start, was eine Systemleistung von 387 PS ergibt. Damit sprintet der Stelzen-Stromer in 5,9 Sekunden von null auf 100 km/h und ist bis zu 210 km/h schnell.
Vor allem der Durchzug bei Überholvorgängen ist beeindruckend. Auch ohne ein Sperrdifferenzial, wie sie beim Macan verbaut sind, schlägt sich der Audi Q6 e-tron in engen Kurven beachtlich. Das liegt auch an der hecklastigen Auslegung des Allradantriebs. Die Kombination aus Luftfederung und adaptiven Dämpfern schafft aber den anspruchsvollen Spagat zwischen Sportlichkeit und Komfort. Selbst im Dynamik-Fahrmodus reagiert die Federung nicht „hoppelig“, obwohl die Karosserie spürbar besser angebunden ist als in den anderen Programmen. Die Lenkung passt sich diesem guten Eindruck an, ist präzise und nicht mit hohen Rückstellkräften auf scheinbare Sportlichkeit getrimmt. Damit ist das Ziel der Unterscheidung vom Zuffenhausener Verwandten erreicht. Auch der Verbrauch zeigt das gewünschte Ergebnis: Wir waren die meiste Zeit im Balanced-Fahrprogramm unterwegs und kamen auf 22,6 kWh/100 km, das sind 3 kWh/100 km mehr, als Audi angibt.
Audi Q6 e-tron mit 100-kWh-Akku
Die Batterie hat eine Kapazität von 100 Kilowattstunden (94,9 kWh netto), was für eine Distanz von 625 Kilometern reichen soll. Dank der 800-Volt-Technik laden die Akkus mit bis zu 270 kW und füllen die Energiespeicher so in 21 Minuten von zehn auf 80 Prozent. Wir sind mit einem Batteriestand (SoC) von vier Prozent bei der Schnellladesäule angekommen. Um Energie zu sparen, konnte die Batterie nicht auf die idealen 25 Grad heruntergekühlt werden und war rund 35 Grad warm. Deswegen tankte der Audi Q6 e-tron "nur" mit maximal 229 kW Strom, hielt dieses Niveau aber ziemlich lange und so flossen in 15 Minuten 55 kWh in die Energiespeicher. Eine überzeugende Vorstellung.
Bankladen im Audi Q6 e-tron
Für den Fall, dass lediglich eine 400-Volt-Stromtankstelle vorhanden ist, haben die Batterietüftler in Zuffenhausen und Ingolstadt das Bankladen ersonnen. Dabei werden die 800-Volt-Akkus in zwei Hälften geteilt und mit 400 Volt und maximal 135 kW gefüllt. Das Splitten geschieht mit Schaltern, dadurch spart man sich einen Inverter beziehungsweise Booster, der die Spannung angleichen muss, was die Effizienz und dadurch die Ladeleistung steigert. Dass bei einem Premium-Produkt zunächst nur eine AC-Ladeleistung von elf kW zur Verfügung steht, passt nicht zu dem Hightech-Anspruch. Beim Innenraum folgt Audi dem Trend der gekrümmten Bildschirme. Also ist das Display für die virtuellen Instrumente 11,9 Zoll groß, der Touchscreen bringt es auf 14,5 Zoll und der bei Audi neue Bildschirm für den Beifahrer auf 10,9 Zoll. Dass der Techniktransfer in beide Richtungen verläuft, merkt man an dem Head-up-Display mit Augmented Reality, die die Anzeige wie ein 88 Zoll großer Bildschirm quasi auf die Straße projiziert. Die Darstellung der Inhalte ist kontrastreicher als bisher und daher auch bei hellem Licht gut erkennbar. Das Interieur macht einen gelungenen Eindruck. Die Bildschirme fügen sich angenehm in die Umgebung ein. Das digitale Instrumentendisplay ist erst einmal überladen. Aber nach einer Weile kommt man mit der Informationsflut klar. Allerdings hat Audi die gestalterischen Freiheiten, die ein Elektroauto bietet, nicht optimal genutzt.
Während die Kollegen aus Zuffenhausen den Wählhebel für die Automatik nach oben in das Armaturenbrett hieven und so Raum in der Mitte zu schaffen, gibt es bei den Ingolstädtern nach wie vor eine klassische Mittelkonsole und damit ein beengteres Raumgefühl, als das beim Macan Electric der Fall ist. Auch hier unterscheiden sich die beiden. Und selbstverständlich beim Preis: Bei 68.800 Euro startet die Heckantriebs-Version (306 PS/94,4 kWh-Akku) und bleibt damit unter der 70.000-Euro-Brutto-Grenze (Stichwort 0,25-Prozent-Versteuerung). Das gefahrene Quattro-Modell beginnt bei 74.700 Euro (brutto) und damit rund 10.000 Euro unter dem Basispreis des Porsche Macan Electric. Wolfgang Gomoll