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Risiken bleiben

01.04.2016 06:00 Uhr
Risiken bleiben

Was hat die Europäische Union aus dem Abgasproblem bei Volkswagen gelernt und was bedeuten die Nachbesserungsangebote von Volkswagen für die Kunden?

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_ Mit dem Skandal um die Manipulation von Messwerten schädlicher Stickoxide bei Dieselfahrzeugen von Volkswagen ist auch die Debatte um Abgastests in Europa neu entbrannt. Seit Jahren ist bekannt, dass der Abgasausstoß im Straßenverkehr deutlich höher ist als bei den Labortests. Die diskutierten Maßnahmen sind jedoch alles andere als effizient. Hat die Europäische Union etwa nichts dazugelernt?

Ende 2015 hatte sich das Expertengremium des Technischen Ausschusses der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten auf neue Vorgaben für die Abgastests von Autos in der Gemeinschaft geeinigt. Ein neues Testverfahren sollte die tatsächlichen Emissionen unter realen Fahrbedingungen auf der Straße berücksichtigen. Es kam aber ganz anders - die Grenzwerte fallen nun nicht so streng aus wie von der EU-Kommission vorgeschlagen. Vor allem die Bundesregierung und deutsche Autohersteller hatten auf eine Abmilderung gedrängt.

Trotzdem plant die EU-Kommission, das europäische Typ-Genehmigungssystem zu überarbeiten. Dabei soll zunächst das Prüfverfahren unabhängiger als bisher gestaltet werden. Nationale Kfz-Zulassungs- und Prüfstellen sollen künftig nicht mehr allein die Einhaltung der Grenzwerte überprüfen und bescheinigen.

Bestreben nach mehr Transparenz

Der VW-Skandal hat gezeigt, dass alle bereits bestehenden Verbote von Abschalteinrichtungen in Autos, die die Emissionen und deren Kontrollsysteme im Fahrzeug steuern, offensichtlich nicht ausreichen, um Manipulationen wirksam zu verhindern. Nach Vorstellung der Kommission sollen die Hersteller den Prüfbehörden künftig die Softwareprotokolle der Fahrzeuge zugänglich machen. Die Hersteller sollen zudem verpflichtet werden, ihre Vorgaben zur Reduzierung von Abgasen offenzulegen. All dies sei in den USA bereits vorgeschrieben und man verspricht sich auch in Deutschland und Europa dadurch eine bessere Transparenz.

Stichprobenartige Überprüfungen von bereits auf dem Markt zugelassenen Fahrzeugen sollen demnächst auch in den Mitgliedstaaten der Union Standard werden. Man verspricht sich von diesen Maßnahmen mehr Möglichkeiten, etwaige Verstöße frühzeitiger erkennen zu können. Innerhalb der Staatengemeinschaft könnten so Überwachungsmaßnahmen des Marktes besser koordiniert und öffentlich gemacht werden.

Neue Forschungsstelle

Nachträgliche Prüfungen sollen letztlich von einer neuen gemeinsamen Forschungsstelle durchgeführt werden. Diese Stelle hätte sogar die Befugnis zu Rückrufen bei nicht eingehaltenen Grenzwerten. Als letztes Mittel sollen dann gegebenenfalls von der Kommission verhängte Bußgelder die Hersteller davon abhalten, vorschriftswidrige Fahrzeuge im Markt einzuführen.

Kernpunkt all dieser gut gemeinten Vorhaben und Ideen ist, dass die EU letztlich die Aufsicht über die jeweils nationalen Zulassungsbehörden - zum Beispiel das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) - der Mitgliedsländer bekommt. De facto könnte die EU damit das Recht bekommen, selbst Fahrzeuge vom Markt nehmen zu dürfen. Ob dies wirklich so gewollt und erforderlich ist, mag bezweifelt werden.

Konformitätsfaktor für Überschreitungen

Dies alles steht allerdings in einem deutlichen Widerspruch zu Nachrichten aus Brüssel. Am 3. Februar verabschiedete das Europaparlament mit der knappen Mehrheit von 323 zu 317 Stimmen neue Abgastests für Dieselautos. In diesem Zusammenhang hat man den Konformitätsfaktor entwickelt. Dieser regelt, um wie viel die Grenzwerte überschritten werden dürfen. Ein Dieselfahrzeug, das gilt für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, darf ab 2017 nur noch den beschlossenen Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxide ausstoßen. Eigentlich grundsätzlich ein fester Wert.

Aber dazu kommt noch die sogenannte Konformitätsklausel. Während einer Übergangsfrist gilt zunächst der Faktor 2,1 als konform - bedeutet: 2,1 x 80 Milligramm = 168 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. Ein höherer Ausstoß ab 2017 bedeutet das Risiko, die Typenzulassung für Neuentwicklungen zu verlieren.

Ab 2020 gilt der Korrekturfaktor 1,5 (1,5 x 80 Milligramm), der dann 120 Milligramm Stickoxid pro Kilometer bedeutet. Anders ausgedrückt: Neufahrzeuge dürfen den Wert von 80 Milligramm Stickoxid (der übrigens seit fast zehn Jahren feststeht) in einem ersten Schritt zunächst noch um mehr als das Doppelte überschreiten. Ab 2020 soll eine Überschreitung nur noch um die Hälfte toleriert werden.

Ziele vorübergehend verdoppelt

Schwer zu verstehen ist dabei, dass die Abgastests und die Überprüfung der Einhaltung von Grenzwerten verbessert werden sollen, aber gleichzeitig - zugegeben vorübergehend - die ehemaligen Emissionsziele verdoppelt werden. Europäische Logik, die nicht unbedingt den Schluss zulässt, man habe aus dem Abgasskandal von Volkswagen für die Umwelt harte Konsequenzen gezogen oder gar etwas gelernt. Aber immerhin, anderenfalls hätten die europäischen und nationalen Behörden die Zulassung von vielen Millionen Autos, die gegen geltende Abgasrichtlinien verstoßen, einkassieren und die Hersteller den Ausstoß drastisch senken müssen.

Ganz nebenbei ist auch noch streitig, ob die Kommission überhaupt rechtlich befugt ist, derart weitreichende Abweichungen von der Gesetzgebung des Parlaments vorzunehmen.

Software-Update bei VW

Und was unternimmt Volkswagen zur Lösung der Abgasproblematik konkret? Die 1,2- und 2,0-Liter-Aggregate erhalten ein Software-Update. Die Arbeitszeit für diese Maßnahme beträgt nach Herstellerangaben weniger als eine Stunde.

Beim 1,6-Liter EA 189-Motor wird laut VW direkt vor dem Luftmassenmesser ein sogenannter Strömungstransformator befestigt, der die Messgenauigkeit des Luftmassenmessers entscheidend verbessern soll. Der Luftmassenmesser ermittelt die aktuell durchgesetzte Luftmasse. Zudem wird an diesem Motorentyp ebenfalls ein Software-Update durchgeführt. Die Arbeitszeit für diese technischen Maßnahmen soll ebenfalls weniger als eine Stunde betragen.

Alle diese Maßnahmen sind nach Anordnung des KBA kostenlos für die Kunden durchzuführen. Zudem hat VW selbst erklärt, den Kunden während der Maßnahmen eine angemessene und kostenfreie Ersatzmobilität zur Verfügung zu stellen.

Ein Anspruch auf ein Leihfahrzeug besteht für die Kunden aber im Zweifel rechtlich nicht, da im Rahmen der Sachmängelhaftung der Verkäufer nur zur Bereitstellung eines Ersatzwagens verpflichtet sein kann, wenn ihn ein Verschulden am Mangel des gekauften Fahrzeugs trifft. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch die Herstellergarantie führt zu keiner Verpflichtung, da diese keinen Mobilitätsanspruch für Rückrufaktionen beinhalten dürfte.

Wegen der kostenlos durchgeführten Maßnahmen entstehen für den Kunden auch keine neuen Sachmängelhaftungsansprüche. Das wäre allenfalls denkbar, wenn die Nachrüstung dem Verkäufer als Nachbesserung zurechenbar wäre. Der Verkäufer müsste dann in dem Bewusstsein gehandelt haben, zur Mängelbeseitigung verpflichtet gewesen zu sein, und nicht nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung eines Streits - ein sehr komplizierter und umstrittener rechtlicher Lösungsansatz.

Rechtliche Schritte

Was aber, wenn trotz der durchgeführten Arbeiten Mängel am Fahrzeug verbleiben, etwa in Form des immer wieder diskutierten Mehrverbrauchs oder Leistungsverlusts? Spätestens nach einer zweiten erfolglosen Nachbesserung bestünde ein Anspruch auf Minderung des Kaufpreises. Nur wenn sich durch die Nachbesserung zur Einhaltung der Abgaswerte so gravierende Veränderungen im Verbrauch oder der Motorleistung ergeben würden, dass diese rechtlich als erheblich anzusehen sind, bestünde überhaupt ein Anspruch auf einen Rücktritt vom Kaufvertrag.

Ganz wichtig dabei und in der aktuellen Diskussion oft übersehen wird der Umstand, dass ein Rücktritt vom Kaufvertrag nur dann in Betracht kommt, wenn am Ende ein erheblicher Mangel vorliegt, was konkret verlangt, dass die Kosten der Nachbesserung mehr als fünf Prozent des Kaufpreises betragen, ein Mehrverbrauch an Kraftstoff von zehn Prozent und mehr vorliegt oder die Motorleistung um zehn Prozent (die Rechtsprechung ist hierzu nicht einheitlich) abgenommen hat. Bei allen anderen unerheblichen Mängeln muss sich der Kunde auf eine (bloße) Kaufpreisminderung verweisen lassen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein vor dem Landgericht in Bochum erstes anhängiges Verfahren, in dem der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag begehrt. Nach Mitteilungen in der Presse soll das Gericht im Rahmen von Vergleichsverhandlungen seinen Standpunkt dahingehend geäußert haben, dass ein Rücktritt vom Kaufvertrag wegen fehlender Erheblichkeit des Mangels wohl nicht in Betracht komme.

Es wird abzuwarten sein, wie der Streit ausgeht oder ob sich die Parteien einigen, damit es nicht zu einer Entscheidung des Gerichts kommt.

Aus alledem lässt sich der Schluss ziehen, dass die Politik und die Gesetzes- respektive Verordnungsgeber in Deutschland und Europa nicht mit letzter Konsequenz ihre Lehren aus dem VW-Fall gezogen haben und dass die betroffenen Kunden derzeit immer noch mit tatsächlichen und rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit dem "Nachbesserungsversprechen" von Volkswagen rechnen müssen.

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