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Ein oder zwei Denkzettel?

01.09.2016 06:00 Uhr

Bedeuten zwei Ordnungswidrigkeiten auch zwei Fahrverbote und doch nur ein einheitliches Fahrverbot? Die Praxis zeigt, dass "Wiederholungstäter" bessergestellt werden.

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_ Kaum ein Thema beschäftigt die Autofahrer so sehr wie die behördliche und gerichtliche Handhabung von Fahrverboten. Immer wieder kommt auch die Frage auf, ob es stimmt, dass mehrere Fahrverbote, deren Geltungsdauer sich ganz oder teilweise überschneidet, nebeneinander und nicht nacheinander vollstreckt werden können.

Grundsätzliches zum Fahrverbot

Das Fahrverbot, das für ein bis drei Monate ausgesprochen werden kann, gilt für Kraftfahrzeuge jeder Art. Sofern nicht Ausnahmen zugelassen werden, können keinerlei während der Dauer des Fahrverbots geführt werden. Auch ein Mofa darf deshalb während des Fahrverbots nicht gefahren werden. Es kommt also nicht auf das etwaige Erfordernis einer Fahrerlaubnis an.

Das Fahrverbot beginnt grundsätzlich mit der Rechtskraft der Entscheidung. Die Frist beginnt jedoch erst mit der amtlichen Verwahrung des Führerscheins. Auch zusätzliche internationale Führerscheine müssen abgegeben werden. Nach Ablauf des Fahrverbots wird der Führerschein automatisch, ohne Antrag, zurückgegeben. Für Ersttäter gibt es seit dem 1. März 1998 eine wichtige Regelung: Ist in den letzten zwei Jahren vor dem Verkehrsverstoß kein Fahrverbot gegen den Kraftfahrer verhängt worden und wird auch bis zur Bußgeldentscheidung kein anderweitiges ausgesprochen, so bestimmt die Bußgeldstelle oder das Gericht, dass das Fahrverbot erst nach Ablauf einer Frist von vier Monaten, gerechnet ab Rechtskraft der Entscheidung, abzuleisten ist.

Zeitpunkt selbst bestimmen

Der Betroffene hat also in diesem Zeitfenster die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Ableistung des Fahrverbots selbst zu bestimmen. Spätestens nach Ablauf dieser Frist wird es wirksam.

Das Gericht hat im Urteil seine Erwägungen zur Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Betroffenen darzulegen, wenn sich dieser auf besondere Umstände der Tat oder Härtefälle (beispielsweise Taxifahrer als Alleinunternehmer mit Existenzbedrohung durch das Fahrverbot) beruft. Das Gericht muss ein Absehen vom Fahrverbot stets näher begründen. In einem solchen Fall ist die Geldbuße angemessen zu erhöhen. Bei den Gründen für ein Absehen vom Fahrverbot ist zu unterscheiden zwischen tatbezogenen Besonderheiten (wie die Verwechslung einer Ampelregelung bei mehreren Fahrspuren) und täterbezogenen Besonderheiten (wie Existenzbedrohung durch das Fahrverbot bei Berufskraftfahrern).

Warnfunktion

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers hat das Fahrverbotgemäß § 25 StVG in erster Linie Denkzettel- und Warnfunktion. Bei "verfassungskonformer Auslegung" kommt es als Nebenfolge nur bei groben oder beharrlichen Verstößen gegen § 24 StVG (also bei schwereren Verstößen gegen Verkehrsregeln) sowie Ordnungswidrigkeiten gemäß § 24a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StVG (also bei Fahrten unter Alkohol und/oder Drogeneinfluss) in Betracht. So weit die Theorie.

Eine Sekunde entscheidet

Tatsächlich aber bedeutet ein Fahrverbot für Berufskraftfahrer häufig eine Existenzgefährdung, vor deren Hintergrund es in der anwaltlichen Beratung nur schwer zu vermitteln ist, dass zum Beispiel bei einem Rotlichtverstoß die "Nichtbefolgung eines roten Wechsellichtzeichens" mit 90 Euro und einem Punkt geahndet wird, "bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens" dagegen 200 Euro, zwei Punkte und bereits ein Monat Fahrverbot drohen. Auf einer belebten Innenstadtkreuzung mit im Kreuzungsbereich rückstauendem Verkehr entscheidet also eine Sekunde über ein drohendes Fahrverbot und eine eventuelle Existenzgefährdung.

Dies alles muss der Autofahrer bei der Überquerung der Kreuzung bedenken, obwohl sich die Rechtsprechung bisweilen sogar über die Frage gestritten hatte, welcher Zeitpunkt für die Bemessung der "Sekundengrenze" überhaupt der richtige ist. Man hat sich dann schließlich obergerichtlich für den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie entschieden (so schon OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.4.1997, Az. 2 Ss 19/97 OWi, DAR 1997, 324).

Ebenfalls erst durch obergerichtliche Rechtsprechung musste vor vielen Jahren geklärt werden, dass eine polizeiliche Zeitmessung durch Zählen"21, 22" in der Regel nicht genügt, um einen qualifizierten Rotlichtverstoß (gemeint ist die Sekundengrenze) festzustellen. Der "Sekundendiskussion" wurde schließlich durch ein Urteil des Bayerischen Oberlandesgerichts die Krone aufgesetzt: "Wird bei der Missachtung eines roten Wechsellichtzeichens die Rotlichtzeit von einem Polizeibeamten mittels einer geeichten Stoppuhr gemessen, so genügt zum Ausgleich etwaiger Messfehler ein Abzug in Höhe der Verkehrsfehlergrenze der Stoppuhr zuzüglich eines Wertes von 0,3 Sek." (Entscheidung vom 6.3.1995, Az. 2 ObOWi 62/95, DAR 1995, 299). Diese Verkehrsfehlergrenze beträgt nach richterlicher Überzeugung und komplizierter sachverständiger Berechnung nach der Eichordnung 0,000795 Sekunden.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Wer in rücksichtloser Weise andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, verdient kein Bedauern, wenn ihn ein Fahrverbot trifft. Es erscheint aber bedenklich, wenn bei zunehmender beruflicher Bedeutung des Führerscheins aufgrund sachverständig errechneter Sekundenbruchteile von Gerichten fast schematisch für einen Monat Fahrverbote verhängt werden.

Abstandsverstöße

Ähnliche "Rechenbeispiele" finden sich bei den ebenfalls mit Fahrverbot sanktionierten Abstandsverstößen auf Autobahnen. Auch hierfür gilt, dass gefährdende Abstandsunterschreitungen streng geahndet werden müssen. Richtig ist auch, dass es "irgendwo" einen Grenzwert für Sanktionen geben muss. Nur gehen vielerorts Fahrverbotssanktionen aufgrund errechneter Sekundenwerte schlicht an den Möglichkeiten der Autofahrer und den tatsächlichen Verkehrsverhältnissen vorbei. Es ist Aufgabe der Rechtsprechung, diese Härtefälle angemessen zu berücksichtigen.

Mit seiner Entscheidung schon aus dem Jahr 1996 hat daher auch das Bundesverfassungsgericht (Entscheidung vom 24.3.1996, Az. 2 BvR 616/91, NJW 1996, 2284) nochmals die Verfassungsmäßigkeit von Regelfahrverboten betont und zugleich Grundsätze für deren Verhängung aufgestellt.

So ist bei jeder Verhängung eines Fahrverbots vorweg vom Gericht die Frage zu stellen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Betroffene aufgrund seiner Verkehrsverfehlungen einer Warnung (Denkzettelfunktion) in Form eines Fahrverbots bedarf. Die "Bindungswirkung", die dem Bußgeldkatalog zukommt (insbesondere bei Regelfahrverboten), führt keineswegs zu einer Pauschalierung dergestalt, dass die konkreten Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht gänzlich unberücksichtigt bleiben dürfen. In den Fällen, in denen der Bußgeldkatalog die Verhängung eines Regelfahrverbots vorsieht, muss das Gericht nicht ausdrücklich prüfen, ob anstelle des Fahrverbots auch eine verschärfte Geldbuße ausreichend sein kann. Es gilt allerdings zu beachten, dass die Anordnung eines Fahrverbots - gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - bei einem einmaligen Verstoß in der Mehrzahl der Fälle keine angemessene Sanktion darstellt.

Übermaßverbot

Der Bußgeldkatalog hat also bei vollständiger Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Gerichte eine Beschränkung des Begründungsaufwandes zur Folge, nicht dagegen eine Einschränkung der Einzelfallprüfung. Jedes Verhängen eines Fahrverbots ohne Berücksichtigung der näheren Umstände des Einzelfalles stellt daher einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar, wenn aufgrund der Einzelfallprüfung der mit dem Fahrverbot verfolgte Zweck auch mit weniger einschneidenden Mitteln hätte erreicht werden können.

Besonders hervorzuheben ist die Formulierung der Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1996: "Der Richter ist an die Indizwirkung des Regelbeispiels nicht gebunden. Ihm bleibt vielmehr Raum, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass ein Fahrverbot unangemessen wäre."

Diese Grundsätze scheinen jedoch vereinzelt an den Tatgerichten vorbeigegangen zu sein. Die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat nicht dazu geführt, dass sich die Sichtweise bezüglich der zahlreichen Rechtsprechungen zum Absehen vom Fahrverbot in Ausnahmefällen geändert hat. Wird ein Ausnahmefall festgestellt, also wenn gerade kein Regelfall eines Fahrverbotes vorliegt, kann (muss) von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen werden. Die zitierte Indizwirkung der Regelbeispiele "lässt den Gerichten hinreichend Raum und Entscheidungsfreiheit, um Verstößen im Straßenverkehr mit der nach den konkreten Umständen angemessenen Sanktion zu begegnen und unerträgliche Härten zu vermeiden" (BVerfG, DAR 1996, 196).

Genau betrachtet, leisten die Standpunkte des Bundesverfassungsgericht gute Argumentationshilfen bei der Frage nach einem möglichen Verzicht auf die Verhängung eines Fahrverbots. Das Abweichen von der Verhängung eines Regelfahrverbots nach dem Bußgeldkatalog unterliegt nach Ansicht des OLG Hamm der tatrichterlichen Würdigung, die von den Rechtsbeschwerdegerichten nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen und im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren" zu respektieren ist.

Kämpfen lohnt sich

Bedauerlich ist nur, dass von vielen Amtsrichtern diese Möglichkeiten, Fahrverbotsanordnungen verfassungskonform auszulegen, entweder verkannt oder aus Angst vor einer Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bewusst außer Acht gelassen werden. Wie anders soll der betroffene Autofahrer den allzu oft gehörten Satz des Amtsrichters verstehen, er könne nur dann auf ein Fahrverbot verzichten, wenn die Staatsanwaltschaft zustimme - oder andersherum: Der Amtsrichter behauptet gegenüber dem Betroffenen, er könne wegen der drohenden Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht auf ein Fahrverbot verzichten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass in den einzelnen Bundesländern eindeutig Unterschiede in der "Fahrverbotspraxis" festzustellen sind.

Fazit: Ein Fahrverbot sollte nicht ohne vorherige Rücksprache mit einem Anwalt akzeptiert werden. Die Beispiele in der Rechtsprechung, wann von einem Fahrverbot abgesehen wird, zeigen eindeutig: Kämpfen lohnt sich - erst recht, wenn durch das Fahrverbot die Existenz bedroht ist.

Entscheidungen zur Tatmehrheit

Umso erfreulicher ist es, dass nun Jahre später der Bundesgerichtshof (BGH, Entscheidung vom 16.12.2015, Az. 4 StR 227/15) zur Handhabung des Fahrverbots bei zwei Handlungen klar Stellung bezogen hat. Der BGH vertritt in seiner Entscheidung die Auffassung, dass trotz zweier Handlungen nicht auf zwei gesonderte Nebenfolgen, sondern nur auf ein Fahrverbot zu erkennen sei.

Dies ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 20 OWiG hinsichtlich der darin nicht ausdrücklich erwähnten Nebenfolgen. Die Regelung über die Tatmehrheit in § 20 sei nach ihrem Wortlaut auf die Festsetzung von Geldbußen beschränkt.

Darüber, wie im Fall der Tatmehrheit hinsichtlich der Nebenfolgen (Fahrverbot) zu verfahren ist, äußere sich der Gesetzeswortlaut des § 20 OWiG ("Tatmehrheit: Sind mehrere Geldbußen verwirkt, so wird jede gesondert festgesetzt.") nicht.

Wenn durch mehrere Handlungen (zwei Ordnungswidrigkeiten) ohne engen zeitlichen oder räumlichen Zusammenhang Verkehrsvorschriften verletzt werden, spricht man von Tatmehrheit. Gleiches gelte sinngemäß für den Wortlaut des § 25 StVG (Fahrverbot), der sich detailliert mit dem Fahrverbot befasst. Der Strafsenat des BGH erörtert in seiner Entscheidung sehr ausführlich die Entstehungsgeschichte des § 20 OWiG und des § 25 StVG, die einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers nahelege.

So spreche die Gesetzessystematik für die Verhängung nur eines Fahrverbotes. Bei der Vollstreckung sei anerkannt, dass mehrere Fahrverbote, deren Geltungsdauer sich ganz oder teilweise überschneidet, nebeneinander und nicht nacheinander vollstreckt werden. Es werden also gerade nicht sich überschneidende Fahrverbote addiert. Anders verhalte es sich nur im Fall des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG, dem besonderen Fall, in dem ein Ersttäter vier Monate Zeit hat, das Fahrverbot anzutreten.

Addition der Fahrverbotsfristen

Satz 2 bestimme, dass in diesen Fällen in Abweichung von der sonst gültigen Regelung ausnahmsweise die Fahrverbotsfristen addiert werden. Die dort nacheinander erfolgende Vollstreckung solle verhindern, dass der Betroffene mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote missbräuchlich "zusammenlegt".

Die Existenz dieser gesetzlichen Ausnahmevorschrift belege indes gerade, dass im Regelfall keine Fahrverbote nacheinander vollstreckt werden. Es wäre geradezu "sinnlos", mehrere Fahrverbote zu verhängen, wenn eines davon aufgrund der - auch vom OLG Hamm bestätigten - Parallelvollstreckung letztlich nicht zum Tragen käme. Dies würde jedenfalls für den Regelfall gelten, dass zwei Fahrverbote, die in demselben Verfahren angeordnet würden, auch gleichzeitig rechtskräftig werden.

Auch der Sinn und Zweck der Regelung über das Fahrverbot spreche dafür, dass bei mehreren Ordnungswidrigkeiten in demselben Verfahren nur auf ein Fahrverbot zu erkennen ist. Denn das Fahrverbot solle als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme spezialpräventiv wirken, was eine Gesamtbetrachtung aller abzuurteilenden Taten und eine Bemessung der Dauer des Fahrverbots entsprechend dem sich aus dieser Gesamtbetrachtung ergebenden Einwirkungsbedarf auf den Betroffenen verlange.

Redaktionelles Versehen?

In Wirklichkeit dürfte es sich hierbei schlicht um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers bei der Schaffung der Viermonatsfrist für Ersttäter gehandelt haben. Ersttäter werden also schlechter gestellt als Wiederholungstäter?

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