Der erste Griff geht zum Lichtschalter. Wir sitzen im sonnendurchfluteten, luftigen Besprechungsraum in der Vaude-Zentrale in Tettnang. Perfekt für ein Interview, noch etwas zu dunkel für gute Fotos. Für die gleichmäßigere Ausleuchtung braucht es zusätzliches Licht von oben, deshalb ist es hell erleuchtet, als Hilke Patzwall und Jan Lorch den Raum betreten. Der Griff geht dabei sofort zum Lichtschalter. Der Reflex, Energie zu sparen, ist schneller umgesetzt als unsere Erklärung, dass wir noch zehn Minuten auf die Lichtquelle zurückgreifen möchten. Verständnisvolles Nicken, dann ist das Licht wieder an und alle im Raum sind per Du – und so bleiben wir auch im Text bei den Vornamen unserer Gesprächspartner.
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Energie war deutschlandweit immer ein günstiges, stets verfügbares Gut. Bei Vaude ist das seit sehr langer Zeit bereits anders gewesen, denn man nannte sich nicht nur nachhaltiges Unternehmen in einer Zeit, in der dies kaum einer verstand, man agierte immer schon nah an der Umwelt und schonte die Ressourcen. Denn was es bei uns in Hülle und Fülle gab, musste damals schon woanders produziert werden und hinterließ dort eben Narben.
Vaude
BildergalerieNull Emissionen und Listenpreis
Pragmatische Flexibilität ist also gefragt – und das vermehrt, seit vor eineinhalb Jahren begonnen wurde, den Fuhrpark zu elektrifizieren. Leasingpartner ist die ALD, deshalb wirkt die Auswahl an Stromern, die an den firmeneigenen Ladepunkten stehen, recht bunt sortiert (Skoda Enya, VW ID.4, VW ID.Buzz, Audi E-Tron, Tesla Model X, BMW i4 etc.), auch ein Auto-Abo-Modell (Lynck & Co.) ist dabei. Den Grund dafür erklärt Hilke: „Wir haben, was die Fahrzeugwahl der Mitarbeiter betrifft, nur zwei Leitplanken: null Emissionen und die Höhe des Bruttolistenpreises. Wir wollen es den Mitarbeitenden so einfach wie möglich machen, ein E‑Fahrzeug nach ihren Präferenzen auszuwählen, um eine hohe Akzeptanz sicherzustellen.“
Im aktuellen Mix aus sich verkürzenden Lieferzeiten, aber unterschiedlichen Preissignalen aus dem Markt, gleichen für Jan die Fuhrparkkosten „eher einem Näherungswert“. Außerdem sei es wichtig, intern gut zu informieren und auch Überzeugungsarbeit zu leisten, denn nicht für jeden Einsatz ist ein Stromer gleichermaßen ideal. Schließlich reichen die Einsatzbereiche von den Dienstwagenberechtigten bis zu den Außendienstler*innen.
Also beginnt Jan, dies zu differenzieren: „E- Mobilität erfordert auch ein verändertes Fahrverhalten, weil ich die Ladestopps aktiv planen muss, da muss erst einmal umgedacht werden, was manchmal schwer fällt.“ Generell profitieren die Mitarbeitenden von der 0,25-Prozent-Regel bei Stromern. Allerdings gestaltet es die Autoindustrie auch schwierig, die Flotte umzustellen: Steigende Preise innerhalb kurzer Zeit, unsichere Liefertermine und ein nur langsam wachsendes Ladenetz verunsichern die Mitarbeitenden – insbesondere die Außendienstler*innen, die ja nach wie vor auf das Fahrzeug als „Arbeitsmittel“ angewiesen sind und bei denen das Fahrprofil schnell mal 60.000 bis 80.000 Jahreskilometer umfasst. Dennoch werden auch die Außendienstler*innen auf E-Pkw umgestellt.
Viele Jobräder bei Vaude
Zugleich will man in Tettnang nicht nur vom bisherigen Antrieb weg, sondern auch das Kilometeraufkommen weiter senken, denn auch die Art zu arbeiten hat sich in den vergangenen drei Jahren massiv verändert – Homeoffice und die Online-Kanäle für die Kontaktaufnahme sind fest verankert. 650 Menschen arbeiten vor Ort, davon gut 100 in der Manufaktur, in der vor allem hochwertige Fahrradtaschen und Rucksäcke hergestellt werden. Außerdem werden Restmaterialien wiederaufbereitet unter dem Label „Upcycling“ zu neuem Leben erweckt, wobei jedes Produkt der Linie ein Unikat ist.
Das eint sie mit den Mitarbeitenden, die eigene Wege zur Arbeit haben und diese auf unterschiedliche Weise zurücklegen. Die dritte Säule der Mitarbeitermobilität – das Pendeln – ist seit mehr als einer Dekade ein Mix aus Auto, ÖPNV und Fahrrad. Neben dem Jobrad (mehr als 280) als Finanzierungsmodell stellt Vaude eine recht umfangreiche Werkstatt für die Zweiräder zur Verfügung, inklusive Schlauch-Automat. Laden kann man die E-Bikes (das Gros der Jobräder) hier natürlich auch.
Mit dem Bus zur Bahn
Bis 2024 sollen 25 Prozent der Emissionen aus der Mitarbeitermobilität (gegenüber 2019) eingespart werden. Was auf drei Bereiche abzielt: Fuhrpark, Geschäftsreisen (Flüge und Bahn) und Pendler. Einen direkten Einfluss mittels einer entsprechenden Policy hat das Unternehmen bei der Flotte sowie bei den Reiserichtlinien. „So sind beispielsweise Flüge in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht erlaubt“, erklärt Hilke. Die Bahn-Business-Card ist deshalb für viele Mitarbeiter*innen der fixe Reisebegleiter.
Wo diese dann beginnt, ist unterschiedlich. Wer etwa von der Firmenzentrale zum Zug nach Meckenbeuren muss, kann den Bus nehmen, muss aber dessen festen Stundentakt einplanen. „Seit zehn Jahren haben wir den aktuellen Fahrplan, aber wir sprechen gerade mit dem Verkehrsverbund, um das noch flexibler gestalten zu können. Das geht momentan vielen Firmen in der Gegend so, deshalb wird es demnächst eine Fahrplankonferenz geben“, berichtet Hilke.
Vaude: Netzwerke fürs Grüne
Nachhaltige Mobilität lebt von den Netzwerken, die man nutzen kann oder erst knüpfen muss. Für Hilke sind das zum Beispiel das Nachhaltigkeitsnetzwerk B.A.U.M. e. V. – hier zählt sie selbst zu den Expertinnen und Experten des Interessenverbunds – und die Initiative „driversity“, die Anlaufstellen für Ideen und Mitgestalter*innen. Beim Letztgenannten zählt neben der Deutschen Bahn auch die GLS Bank, eine der Hausbanken von Vaude, zu den Partnern. Der dritte, lokale Ideen-Pool ist das Mobilitätsnetzwerk der örtlichen IHK, der gewachsen ist, denn ab einer gewissen Firmengröße und der damit einhergehenden Verpflichtung, das eigene nachhaltige Wirken zu dokumentieren (CSR-Report), sind gerade die Pendlerverkehre (Scop 3) ein wesentlicher Baustein, der allein viele Firmen überfordern würde, also tut man sich zusammen. Berichtspflichten gibt es derzeit bei Vaude keine, aber wer eine Bilanzierung macht, stößt zwangsläufig auf die Frage der Emissionen.
„Ideen wie Werksbusse erfahren dabei ein regelrechtes Revival, auch wenn die Umsetzung wegen der Konzessionspflicht noch schwierig ist“, berichtet Hilke. Bei Vaude sind es vor allem die jungen Mitarbeitenden, die in Ravensburg oder Friedrichshafen wohnen, die mit der Kombination aus Zug und Bus pendeln. „Das ist ein recht neues Phänomen und geht mit dem Ausbau der Homeoffice-Möglichkeiten einher“, unterstreicht die Managerin. Für das gemeinsame Pendeln mit dem Auto gab es früher bereits die Plattform Flinc, die es in dieser Form schon länger nicht mehr gibt. Der neueste Testballon in dieser Richtung ist die Pendla-App des Anbieters Fasterminds. „Pendla wurde vom Landkreis eingeführt, und wir – wie auch viele andere Unternehmen – promoten die App bei den Mitarbeitenden“, betont Hilke.
Vorbild & Mobilitäts-Lotto
Das Aktivieren und Incentivieren des CO2-armen Pendlerverkehrs läuft in Tettnang seit mehr als einer Dekade unter anderem über das eigens entwickelte Mobilitäts-Lotto sowie über die Vorbildwirkung der Geschäftsleitung und der Führungskräfte. Alle Mitarbeitenden, die als Fahrgemeinschaft, mit dem Fahrrad beziehungsweise mit dem ÖPNV zur Firma kommen, können sich in eine Excel-Liste eintragen. Alle zwei Wochen wird aus diesem Pool ein Sachpreis verlost.
„Das funktioniert gut und hilft uns dabei, Zahlen für den Nachhaltigkeitsbericht zu erheben“, unterstreicht Hilke. Aber klar ist auch: Bei Schneeregen wird die Radler-Quote sinken, im Sommer dafür steigen. Die E-Autofahrer wiederum können an den aktuell 29 Ladepunkten Strom beziehen, weitere zehn Zapfsäulen sollen folgen. Abgerechnet wird künftig über die GLS Bank.
Bis zum Jahresende werden 50 der 75 Flottenautos mit Strom betrieben sein. Dass man sich für die Beschaffung der Wallboxen etwa mit gleichgesinnten Firmen in der Nähe zusammentut, funktioniert im Moment noch nicht, aber Jan verweist in diesem Zusammenhang auf einen anderen wesentlichen Punkt der Infrastruktur, der partnerschaftliches Handeln geradezu erfordert: den Aufbau von Zwischenspeichern.
Vaude - Strompuffer für die Gemeinde
Bislang wird der eigenproduzierte Strom bei Vaude direkt verbraucht oder in E-Fahrzeuge gepackt oder eingespeist (der Großteil). Einen Puffer, etwa eine Großbatterie, gibt es nicht. „Mit einer künftigen Nutzung weiterer Dachflächen und Parkplatzüberdachung haben wir aber noch Potenzial für 1,5 bis zwei Megawatt Energie, welche wir in eine gemeinsame Infrastruktur hier in der Gemeinde in Form eines Quartierskonzepts einbringen könnten“, bekräftigen Hilke und Jan unisono. Wohlwissend, wie teuer eine solche Zukunftsinvestition wird.
„In allen Sphären der Nachhaltigkeit braucht es vernetztes Denken sowie eine hierarchie- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit“, beschreibt Hilke den Grundtakt bei Vaude. Um intern den Wandel umsetzen zu können, verkürzte man etwa die Leasingdauer von Fahrzeugen von vier auf zwei Jahre. „Das half uns dabei, dass wir vieles zur Elektrifizierung gleichzeitig anschieben konnten, allerdings muss es dann auch sofort laufen, sonst haben wir ein Problem“, meint Jan. Neue Stromer werden drei Jahre geleast. Poolfahrzeuge wiederum gibt es nur drei Stück, deshalb ist der Zug immer die erste Option.
Veganes aus der Kantine
Nachhaltigkeit ist hier in Tettnang mehr als ein wolkiges Wort, es zeigt sich in vielen verschiedenen Zuständen und Wirkkreisen. Etwa bei der Ernährung. Vegan und Vegetarisch gibt es seit sehr langer Zeit in der eigenen Kantine, Fleisch in der Regel nur am „Meatwoch“, also zur Wochenmitte. 1974 gründete Albrecht von Dewitz einen Steinwurf von der heutigen Zentrale in Obereisenbach das Unternehmen. Seit 2009 lenkt seine Tochter Antje die Geschicke, die das Unternehmen ganzheitlich nachhaltig ausrichtet.
Seit 2012 ist der Stammsitz bereits klimaneutral. Das globale Zulieferer-Netzwerk zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu bewegen, ist herausfordernder, aber seit dem vergangenen Jahr sind auch alle weltweit hergestellten Vaude-Produkte bilanziell treibhausgasneutral. Das heißt, die Emissionen aus Mobilität, Materialien, Herstellungsprozess und Versand werden ganzheitlich ermittelt und anhand ehrgeiziger Klimaziele systematisch reduziert. Aktuell nicht vermeidbare Emissionen werden vollständig über die unabhängige Non-Profit-Organisation „myclimate“ kompensiert. Mindestens derselbe Betrag, den Vaude jährlich für die Kompensation aufbringt, wird in die kontinuierliche Reduzierung der Emissionen investiert. Ziel ist es, den Kompensationsanteil immer weiter zu verringern.
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BildergalerieVaude: Wissenstransfer per Academy
Es gibt also immer Wege, auch ehrgeizige Ziele umzusetzen. Das ist das Mantra bei Vaude, und dieser Geist wandert mithilfe der eigenen „VAUDE Academy für Nachhaltiges Wirtschaften“ auch in andere Unternehmen. So entsteht ein grünes Netzwerk, das auch mit Rückschlägen klarkommt und Resilienz entwickelt. Das lehrt auch die eigene Firmengeschichte. Unmittelbar vor der Eröffnung des Neubaus 2015 zerstörte ein Brand durch einen Blitzeinschlag Teile des Produktionsgebäudes.
Vaude traf die Entscheidung, den „Made in Germany“-Standort zu stärken und eine neue, deutlich größere Produktionshalle zu bauen, die 2017 in Betrieb genommen wurde. Damals war es eine Katastrophe, heute reicht der dadurch entstandene zusätzliche Platz gerade so aus, um die Nachfrage zu bewältigen. Denn in den vergangenen Jahren wuchs bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten das Bewusstsein für nachhaltige Produkte, die damit immer mehr aus der Nische kommen und sich zunehmend durchsetzen. Wenn dies künftig auch für die Lösungen der Pendlerverkehre und vor allem auch für die Fuhrparke und Geschäftsreisen gelingt, wäre die Welt wieder ein Stück grüner.
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