Die Ermittlungen zu möglichen Abgasmanipulationen beim Stuttgarter Autobauer Daimler betreffen laut Medienberichten weitaus mehr Diesel-Fahrzeuge als gedacht. Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR könnten bei mehr als einer Million Fahrzeugen Motoren eingebaut sein, bei denen die Abgasmessungen gefälscht wurden. Das gehe aus einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart hervor, den die Zeitung und die Sender einsehen konnten. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bestellte als Reaktion auf den Bericht Verantwortliche des Unternehmens ein.
Daimler selbst wollte die Vorwürfe mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen am Donnerstag nicht kommentieren. Auch die Staatsanwaltschaft äußerte sich nicht zu diesen Details.
Laut Bundesverkehrsministerium hat die Diesel-Untersuchungskommission Daimler-Vertreter für Donnerstagnachmittag zu einer Sondersitzung eingeladen, um den Vorwürfen nachzugehen. Die Kommission war nach dem VW-Skandal eingesetzt worden und hatte auch auffällige Abgaswerte bei anderen Herstellern - unter anderem bei Daimler - entdeckt. Zuletzt war für Audi ein Pflicht-Rückruf angeordnet worden.
Heimische Justiz ermittelt seit Ende März
Der Fall beschäftigt den Autobauer schon seit einiger Zeit - anfangs nur in den USA, seit Ende März dieses Jahres ermittelt aber die heimische Justiz wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung gegen Mitarbeiter. Zwei sind namentlich bekannt, hinzu kommen weitere unbekannte, wie die Ermittler am Donnerstag bestätigten. Im Mai wurden verschiedene Standorte durchsucht. Der entsprechende Gerichtsbeschluss ist Grundlage des Berichts von "SZ", WDR und NDR.
Demzufolge soll Daimler von 2008 bis 2016 in Europa und den USA Fahrzeuge mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben. Zwei bestimmte Motorenklassen hätten eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, mit der die Schadstoffreinigung nur auf dem Prüfstand ein- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet worden sein soll. Eine Daimler-Sprecherin wollte darauf nicht eingehen. "Wir kooperieren vollumfänglich mit den Behörden. Spekulationen kommentieren wir nicht", teilte sie mit.
Daimler hat immer betont, sich an geltendes Recht gehalten zu haben. Der Streitpunkt ist - wie bei den anderen Herstellern - ein sogenanntes Thermofenster, das die Abgasnachbereitung in bestimmten Temperaturbereichen herunterregelt - um Bauteile im Motor zu schützen, wie die Hersteller argumentieren. Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe hingegen kritisieren, dass die entsprechende EU-Verordnung zu weit ausgelegt werde.
Wie auch andere Hersteller hatte sich Daimler mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) darauf geeinigt, 247.000 Fahrzeuge "freiwillig" zurückzurufen, um die Technik anzupassen.
VW-Skandal war der Anfang
Unter den Autobauern ist seit langer Zeit vor allem Volkswagen im Fokus. Der Konzern hatte im September 2015 eingeräumt, bei Millionen von Dieselautos Abgastests manipuliert zu haben. Dies hatte den Konzern in eine schwere Krise gestürzt und Milliarden gekostet. Der VW-Skandal führte zu Abgas-Untersuchungen auch bei anderen Herstellern. Das Diesel-Image hat seitdem generell schwer gelitten - gerade auch in der Daimler-Heimat Stuttgart, wo wegen der schlechten Luft Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge im Raum stehen.
Abgas-Manipulationen sind Daimler bisher nicht nachgewiesen worden, auch wenn Umweltorganisationen sowie US-Anwälte diesen Vorwurf erheben. Autobesitzer haben in den USA eine Sammelklage angestrengt und dem Hersteller manipulierte Werte des Schadstoffs Stickoxid sowie irreführende Werbung vorgeworfen.
Das zuständige Gericht in Newark (Bundesstaat New Jersey) wies die Klage zunächst ab. Darüber hinaus leitete die Umweltbehörde EPA im Zuge der Klage eine Untersuchung ein. Das Justizministerium in Washington hatte den Hersteller aufgefordert, das Zustandekommen der offiziellen Werte in den USA selbst und unter Einbeziehung der Aufseher zu prüfen. Diese Untersuchung läuft allerdings noch. (dpa)