Dass Nissan Geländewagen kann, ist ein alter Hut. Schon in den 50ern bot der Patrol Platzhirschen wie dem Landcruiser die Stirn, bevor in den 2000ern schließlich der erste X-Trail auf den Markt kam und die Geländeexpeditionen zum Familien-Happening machte. Nun kommt die vierte Generation des X-Trail zu den Händlern und vieles am neuen SUV wirkt zwischen den Welten. Neben der wuchtigen Karosserie sind es die hohen Radkästen, mit denen das Nissan-Designteam die Offroad-Ambitionen des X-Trail zu unterstreichen versucht. Ansonsten gibt sich der Nissan in Puncto Design lammfromm beziehungsweise aalglatt.
Die Plattform teilt sich der geländegängige Siebensitzer mit dem Qashqai, im Gegensatz zu diesem gibt’s beim X-Trail jedoch mehr Kofferraum: 585 Liter (Fünfsitzer) beziehungsweise 485 Liter (Siebensitzer). Im Fond scheint es so, als wären die Gebete von Eltern endlich erhört worden: Die Hintertüren lassen sich um bis zu 85 Grad öffnen, was den Zugang zum Kindersitz inklusive damit verbundener Hebefiguren merklich leichter gestalten dürfte. Wer dennoch lieber auf einen Anhänger zurückgreift, darf bei der Variante mit sieben Sitzen immerhin 1.650 Kilogramm in Schlepp nehmen.
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Den X-Trail gibt es in fünf verschiedenen Ausstattungslinien. Der Einstiegspreis für die günstigste „Visia“ genannte Variante liegt bei 35.500 Euro (brutto). Bei der günstigsten Ausstattungsvariante sind erfreulich viele Assistenzsysteme mit an Bord, vom autonomen Notbremsassistenten über die Müdigkeitserkennung bis hin zum Spurhalte-Assistenten mit korrigierendem Bremseingriff – alles da, Euro-NCAP will es ja auch so. Für 3.900 Euro mehr gibt es in der Ausstattungsvariante „Acenta“ komfortable Extras wie beispielsweise automatisch abblendende Innenspiegel oder eine einstellbare Lordosenstütze. Einen größeren Touchscreen sowie ein Navigationssystem und eine geteilte Rücksitzbank (60/40) gibt es ab der „N-Connecta-Linie“. Das Ende der Ausstattungs-Fahnenstange bildet der 50.730 Euro teure „Tekna+“. Neben einem Bose Soundsystem gibt es Sitzbezüge aus gestepptem Leder.
Beim Infotainment-System gibt sich der Nissan hingegen bräsig. Futuristisch anmutende Bedienelemente wie sie im Nissan Ariya oder wie sie derzeit von vielen Herstellern ins Cockpit verfrachtet werden, sucht man hier vergeblich. Stattdessen gibt es etwas drögen, aber dafür übersichtlichen Einheitsbrei. Genau gegenteilig verhält es sich mit den Sitzen, die mit „Diamond-Cuts“ versehen sind, wie man sie sonst nur in gänzlich anderen Preisklassen vorfindet, und auch bei Nissan gehören sie natürlich längst nicht zur Serienausstattung.
Ist es ein Elektroauto? Ist es ein Verbrenner? Es ist ein Hybrid! Ein serieller Hybrid, um genau zu sein. Den X-Trail gibt es zwar auch als Mild-Hybrid, den Löwenanteil des Absatzes erhofft man sich auf Seiten von Nissan allerdings vom seriellen Hybrid (ab 37.000 Euro). Was das genau ist? Eine kleine Hybrid-Kunde: Ein serieller Hybrid kommt nicht an die Steckdose, sondern bekommt den für den Antrieb nötigen Strom ausschließlich vom mitgeschleppten Verbrenner. Der Verbrenner selbst hat dabei laut Nissan keinerlei Verbindung zum Antriebsstrang, sondern dient einzig und allein der Stromproduktion. Das Konstrukt kennt man noch vom Opel Ampera anno 2011. Der hatte jedoch zusätzlich einen Stecker.
Als Strom-Puffer dient eine Mini-Traktionsbatterie (beim Nissan ist sie 2,1 kWh „groß“), die das E-Aggregat über einen Wechselrichter mit Strom versorgt. Kritiker werden sich jetzt völlig zurecht fragen, warum man zwei Antriebssysteme in ein Auto verfrachten muss. Die Antwort: Der Benzinmotor kann auf diese Weise deutlich effizienter arbeiten, und es gibt kein „Reichweitenproblem“, während man auf der anderen Seite die Vorteile des Elektroantriebs genießen kann. Und Vorteile hat der Elektroantrieb jede Menge, angefangen beim geschmeidig-kraftvollen Beschleunigungsverhalten bis hin zur Energierückgewinnung mittels Rekuperation. Soviel zur Theorie.
In der Praxis liefert ein Dreizylinder-Turbobenziner mit variabler Verdichtung, 1,5 Liter Hubraum und 158 PS Leistung den nötigen Strom. Völlig losgelöst vom Antriebsstrang und enorm leise verrichtet der kleine Benziner seinen Dienst, röhrt allerdings los wie ein Hirsch auf der Brunft, sobald man das Trum von Auto in den engen Serpentinen Sloweniens den Berg hinaufscheucht und vom Verbrennungsmotor entsprechend mehr Strom ordert. Abgesehen von solchen Leistungs-Peaks nimmt man den leise vor sich hin werkelnden Verbrenner jedoch während der Fahrt kaum wahr.
Je nach Ausstattungsvariante steht bei den Elektromotoren eine Single-Motor-Variante (204 PS) sowie die "e-4orce 4WD" genannte Allrad-Variante bestehend aus Verbrenner und je einem E-Motor an Vorder- und Hinterachse und einer kumulierten Leistung von 214 PS zur Wahl. Damit offenbart der Familien-SUV echte Sprinter-Qualitäten und beschleunigt in sieben Sekunden auf 100 km/h. Eine weitere Spezialität des Nissan sind Kurven. Der Grund: Torque Vectoring. Gemeint ist damit die unterschiedliche Verteilung des Drehmoments bei Kurvenfahrten (nur Bremsen, keine Verteilung von Antriebskräften). Allerdings: So spritzig und agil, wie der Nissan wirkt, so schnell geht ihm bei höheren Geschwindigkeiten die Puste aus, Überholmanöver jenseits der 130-km/h-Marke werden eher zur Geduldsprobe. Beim Verbrauch zeigte der Bordcomputer des Siebensitzer-Schlachtschiffes einen Durchschnittsverbrauch, der an der Sieben-Liter-Marke kratzte.
Das Fahrwerk kann man getrost in der Kategorie „Sänfte“ verorten. Wachsweich bügelt der Nissan über den Asphalt und verhält sich selbst auf Schotter angenehm ruhig. Schön, in der oft zu „harten“ Autowelt.
Angesichts des breiten Einsatzspektrums stellt man sich völlig zu Recht die Frage, für wen das Auto eigentlich gedacht ist. Familien, klar. Familien auf Abwegen, weniger klar – und dann wäre da noch eine ominöse Gruppe von Freizeitsportlern, die solch ein Vehikel mit Surfbrett, Kanu und Co. beladen. Die eierlegende Zielgruppen-Wollmilchsau auf vier Rädern sozusagen. Gemessen am dicken Katalog seiner Fähigkeiten, macht der Nissan diesen Job nicht schlecht.
Auf der einen Seite auf Berge kraxeln und um Kurven räubern, auf der anderen Seite um fast 90 Grad aufklappbare Hintertüren, um den Nachwuchs bequem ins Auto bugsieren zu können: Bei Nissan scheint man das Thema Zielgruppe zu Ende gedacht zu haben. Es bleibt zu erwarten, dass an die Erfolge der vorhergehenden Generationen angeknüpft werden kann.