Von Benjamin Bessinger
Boxengasse statt Büro, Mutkurve statt Meeting und Vollgas statt Vorstandsvorlage: Für Arbeitstage wie diesen würde Dirk Häcker wahrscheinlich auch Urlaub nehmen. Statt am Schreibtisch in Garching sitzt der Entwicklungschef der BMW M GmbH heute mal wieder am Steuer des kommenden M3 und prügelt seinen Prototypen für letzte Abstimmungsfahren über den Sachsenring. Drei Monate vor der Weltpremiere im September und ein halbes Jahr vor der Markteinführung ist er mit der Limousine und dem baugleichen M4 Coupé in der Provinz zwischen Leipzig und Zwickau unterwegs, um dem Gegner von Audi RS4 und Mercedes-AMG C 63 den letzten Schliff zu geben.
Und auch wenn die Karosserie noch getarnt ist und man deshalb nur spekulieren kann, ob der M3 die riesige Niere des neuen Vierers bekommt oder doch ein wenig dezenter auftritt, macht die Limousine aus ihrem Führungsanspruch keinen Hehl: "Wir wollen die Pole Position in diesem Fahrzeugsegment", gibt Häcker den Kurs vor und untermauert dies mit einem kräftigen Gasstoß, als er den Erlkönig eilig aus der Boxengasse treibt.
Wer ihm im zweiten Prototypen folgt, erlebt den M3 als einen Sportler wie frisch aus dem Trainingslager. Denn es ist nicht allein das Plus an Leistung, das den Unterschied macht, obwohl das Grundmodell aus dem kräftig weiterentwickelten Dreiliter-Reihensechszylinder jetzt schon 480 PS statt bislang 460 PS schöpft und der "Competition" nun auf solide 510 PS kommt. Und es sind auch nicht die 650 Nm, die für einen Sprintwert deutlich unter vier Sekunden gut sein und die 250 km/h wieder zur reinen Formsache machen dürften.
BMW M3/M4 Prototypen
BildergalerieHäcker und sein Team haben dem Sportler vor allem die Sinne geschärft und ihn so noch präziser gemacht. Eine optimierte Fahrwerksgeometrie mit neuer Mischbereifung und veränderter Achskinematik, eine nachjustierte Lenkung, Bremsen mit mehr Biss und eine rundherum deutlich versteifte Karosserie lassen den Wagen mit einem solchen Tempo um den Kurs fliegen, dass man immer wieder verdutzt auf die digitalen Instrumente schaut und mit jeder Runde mehr Vertrauen in die unerschütterliche Geradlinigkeit des Kraftmeiers bekommt. Scharf, feinfühlig, gutmütig bis ganz nah an den Grenzbereich und danach noch immer absolut berechenbar – so lässt er den Vorgänger buchstäblich alt aussehen. Und schon der galt als Maßstab für Fahrdynamik in der Mittelklasse und wurde so nicht umsonst einer der erfolgreichsten Tourenwagen der Welt.
Dass man dabei im M3 trotzdem ein bisschen mehr Arbeiten muss als bei der Konkurrenz ist keine Frage der Präzision, sondern der Tradition. Denn als letzten seiner Art gibt es den M3 auch noch mit Handschaltung: "Die lassen wir uns nicht nehmen", sagt Häcker und prahlt vom einzigartigen Purismus – selbst wenn er dafür vermutlich lange mit den Kostenkillern in der Buchhaltung verhandeln musste. Dafür beugen sich die Bayern an anderer Stelle dem Trend: Genau wie Audi und Mercedes bieten sie ihren Kraftmeier künftig auch mit Allradantrieb an. "Allerdings nur als Option", schränkt der Entwicklungschef ein.
Variantenvielfalt bleibt groß
Zwei Motorvarianten, zwei Getriebe-Typen, Heck oder Allradantrieb und dann auch noch Limousine und Coupé – was für die Controller ein Fluch sein muss, das ist für Häcker ein Segen. Schließlich sind das noch mehr Varianten, die er zur Abstimmung über Kurse wie den Sachsenring treiben muss und die ihm Arbeitstage wie Urlaub erscheinen lassen. Doch so bereitwillig er dabei über die Finessen des Fahrwerks redet, die unterschiedlichen Fahrprogramme und die eigene Software, die sich deutlich von den Standards der AG-Modelle unterscheidet, so schmallippig wird der Ingenieur, wenn es nicht um Konstruktionen geht, sondern um Kosten. Die definieren er und seine Kollegen nämlich nicht auf der Rennstrecke, sondern im Büro. Und von der Geheimhaltung ein halbes Jahr vor der Markteinführung einmal abgesehen, hat Häcker auf den gerade so gar keine Lust. Dann doch lieber noch ein paar Runden Sachsenring statt Schreibtisch.