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Absolute und relative Fahrunsicherheit: Verschwommene Grenzlinie

15.02.2016 11:00 Uhr
Sehvermögen
Dringender Handlungsbedarf: Angesichts der neuen Rechtsprechungen sollten die Dienstwagenüberlassungsverträge in puncto Alkoholkonsum überarbeitet werden.
© Foto: DVR

Auswirkungen der neuen Rechtsprechung in Bayern und Nordrhein-Westfalen zu Alkoholfahrten unter 1,6 Promille auf die Praxis bei Dienstwagenüberlassung.

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Von Dr. Michael Ludovisy Rechtsanwalt und Rechtsexperte von Autoflotte

_ Bisher wurde die zwingende Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) nur ab 1,6 Promille gemäß § 13 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vollzogen. Derzeit wird die zwingende MPU-Anordnung unterhalb des Schwellenwertes von 1,6 Promille ohne Zusatztatsachen - also auch bei folgenloser Alkoholfahrt - bereits in Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein vorgenommen - und dies durch Rechtsprechung bestätigt.

Nun hat sich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München mit seinem Urteil vom 17.11.2015 (Az. 11 BV 14.2738) erstmals der Meinung des VGH Baden-Württemberg in Mannheim (Urteil vom 07.07.2015, Az. 10 S 116/15, DAR 2015, 592) angeschlossen und ging sogar noch weiter.

In der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg wurde noch im Falle einer Alkoholisierung von 1,49 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) angenommen, dass es sich bei § 13 S. 1 Nr. 2a, 2. Alt. FeV um eine Auffangvorschrift dergestalt handelt, die auch dann in Betracht kommt, wenn der Schwellenwert von 1,6 Promille bei einer Alkoholfahrt knapp unterschritten wird. Soll heißen: Wenn deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung des Betroffenen vorliegen, ist eine zwingende MPU-Anordnung auch unterhalb von 1,6 Promille BAK vorzunehmen. Deutliche Indizien sind dabei fehlende Ausfallerscheinungen oder eine "Gesamtschau", die auf eine gravierende Alkoholproblematik schließen lässt. Dies alles lässt keine klare "Grenzlinie" mehr erkennen.

Entscheidung des Bayerischen VGH

Im zugrunde liegenden aktuellen Fall des VGH Bayern führte die Fahrerlaubnisinhaberin nach dem vormittäglichen Konsum von Melissengeist ein Kraftfahrzeug über eine Kurzstrecke mit 1,28 Promille ohne Ausfallerscheinungen. Das Strafgericht hatte nach § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen. Da die Betroffene der späteren MPU-Anordnung im Wiedererteilungsverfahren nicht nachkam, lehnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antrag ab. Das wurde vom Bayerischen VGH im Berufungsverfahren bestätigt.

Schon allein der Leitsatz der Entscheidung und einige Kernaussagen führen zu Irritationen: "Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsverfahren, unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen (Änderung der Rechtsprechung). (...) Das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 S. 1 Nr. 2d FeV besteht nicht nur dann, wenn die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wegen absoluter Fahrunsicherheit (ab einschließlich 1,1 Promille BAK) erfolgt ist, sondern auch im Falle der Entziehung wegen relativer Fahrunsicherheit (ab einschließlich 0,3 Promille BAK (...), verbunden mit alkoholbedingten Fahrfehlern). Das Fahrerlaubnisrecht enthält keinen Anhaltspunkt, bei relativer Fahrunsicherheit die strafgerichtliche Entscheidung, dass der Betreffende ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (...) ist, in Frage zu stellen."

Pflicht zur Anordnung der MPU

Wie ist die Formulierung "unabhängig von der BAK-Konzentration" zu verstehen beziehungsweise wie weit ist diese Formulierung auslegbar? Das Gericht führt dazu aus, die Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, eine MPU anzuordnen, ergebe sich aus § 13 S. 1 Nr. 2 d FeV, wenn die Fahrerlaubnis aus einem unter den Buchstaben a bis c des § 13 FeV genannten Gründen entzogen war. Dies gelte auch bei einer strafgerichtlichen Entziehung.

Entscheidend ist hier nämlich die Variante des Buchstaben"b", der von"wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss" ausgeht, also auf eine Promillegrenze schlicht verzichtet. Bei einer Entziehung nach einer Trunkenheitsfahrt (§ 69 StGB) sei daher die MPU erforderlich. Auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration bei der Verkehrsteilnahme komme es nicht an. Allein durch den Sperrzeitablauf sei die Fahreignung nicht wiedergewonnen, Eignungszweifel bestehen weiter. Ein behördlicher Ermessenspielraum bestehe nicht.

Zwar hat der Bayerische VGH sicherlich die unterschiedlichen Wertungen von strafrechtlichen und verwaltungs- respektive fahrerlaubnisrechtlichen Vorschriften gesehen. Dennoch geht er davon aus, dass bei bestehender Rechtslage die strafgerichtliche Beurteilung Vorrang genießt. Und dies bedeutet, dass alle BAK-Werte ab 0,3 Promille grundsätzlich der Anordnung einer MPU zugänglich sind, da nach der Rechtsprechung ab diesem Wert von einer (strafrechtlich relevanten) alkoholbedingten Beeinflussung auszugehen ist. Wegen der erkannten grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage hat er aber zu Recht die Revision zugelassen.

Um die Verwirrung komplett zu machen, hat das Bayerische Staatsministerium des Innern ebenfalls eine Einschätzung abgegeben und gegenüber den bayerischen Fahrerlaubnisbehörden klargestellt, dass in Bayern "bis auf Weiteres" an der bisherigen Verwaltungspraxis festgehalten wird. Das bedeutet derzeit in Bayern:

- Bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr erfolgt stets die Anordnung einer MPU nach § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV.

- Bei einer BAK von mindestens 1,1 Promille (absolute Fahruntüchtigkeit) und weniger als 1,6 Promille ist die Beibringung einer MPU nach § 13 Satz 1 Nr. 2d FeV nur dann anzuordnen, wenn im Einzelfall aus der strafgerichtlichen Entscheidung über den Promillewert hinaus weitere Anhaltspunkte hinzutreten, welche die Annahme einer Alkoholproblematik begründen.

MPU ab 0,5 Promille in NRW

In Nordrhein-Westfalen geht man argumentativ einen noch anderen Weg. Dort ist ein MPU-Gutachten zwangsweise beizubringen, wenn nach einer Alkoholfahrt zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht.

Aus Sicht der dortigen Rechtsprechung stehen § 13 S. 1 Nr. 2b und c FeV (einer Ersttat mit 1,6 Promille oder mehr und wiederholt alkoholbedingte Zuwiderhandlungen mit 0,5 Promille) nicht entgegen. Also auch ist hier eine MPU-Anordnung schon ab 0,5 Promille möglich.

Verwaltungsrechtliche Eignungsfrage

Was bedeutet dies nun alles für die tägliche Praxis und die notwendige Trennung von Alkohol und Verkehrsteilnahme? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass nach diesen Ausführungen die Anordnung einer MPU mit Sicherheit nicht nur frühestens bei Erreichen des Schwellenwertes von 1,6 Promille angeordnet werden kann.

Es geht bei dieser Betrachtung nicht um die versicherungsrechtlichen Aspekte einer Trunkenheitsfahrt, sondern ausschließlich um die verwaltungsrechtliche Eignungsfrage, unter welchen Bedingungen Letztere von der Fahrerlaubnisbehörde in Frage zu stellen ist. Und eben dies wird derzeit in Deutschland von der Rechtsprechung nicht mehr einheitlich gehandhabt respektive gesehen.

Für den Autofahrer und damit auch für den Betreiber eines Fuhrparks zeigt sich aber ein deutlicher Trend, der zum Handeln zwingen sollte - nämlich weg von der Toleranz für Alkohol im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs, hin zu einer verlangten eindeutigen Trennung, und zwar unabhängig von festen Schwellenwerten mit der Gefahr des "Herantrinkens".

Es ist unwahrscheinlich, dass das Bundesverwaltungsgericht den Schwellenwert von 1,6 Promille für eine verwaltungsrechtliche Aufforderung zur Beibringung einer MPU gänzlich aufgeben wird. Es wird aber sehr wahrscheinlich die Ansichten der Vorinstanzen berücksichtigen und in bestimmten Ausnahmefällen eine zwangsweise MPU auch deutlich unter 1,6 Promille akzeptieren und eine klare Aussage dazu treffen, was vorgeht: die (allein strafrechtliche) Eignungsbewertung im Strafverfahren oder die verwaltungsrechtliche Eignungsbeurteilung.

Es spricht einiges dafür, dass die Tendenz in Richtung Strafrecht geht. Dies bedeutet dann, dass ab 0,3 Promille (ab diesem Wert kann von einer alkoholbedingten Wirkung ausgegangen werden) eben neben etwaigen versicherungs- und haftungsrechtlichen Aspekten auch Eignungsfragen relevant werden können.

Dienstwagenüberlassungsverträge

Für die Regelungen in Dienstwagenüberlassungsverträgen bietet es sich daher im Lichte der aktuellen Rechtsprechung mehr denn je an, unmissverständliche Regelungen zu treffen. In vielen Dienstwagenüberlassungsverträgen finden sich - wenn überhaupt - nur eher vage formulierte Aussagen zum Thema Alkohol. Dies geht so weit, dass ein Verbot etwa auf einige Stunden vor Fahrtantritt begrenzt wird. Dass dies angesichts der dabei völlig offenen Alkoholmenge keinen Sinn ergeben kann, leuchtet ein.

Ganz verbieten oder nur ab 0,3 Promille?

Einzig sinnvoll und in der Praxis auch durchsetzbar erscheint entweder ein völliges Alkoholverbot beim Führen eines Dienstwagens oder zumindest ein Verbot dahingehend, dass ein Führen des Dienstwagens "unter Alkoholeinfluss" strikt untersagt ist. Mit letzterer Regelung wäre alles über 0,3 Promille untersagt, weil man ab diesem Wert von einer alkoholbedingten Wirkung ausgehen muss.

Selbstverständlich sollten auch die internen Dienstanweisungen des Arbeitgebers entsprechende Regelungen enthalten. Eine solche sichert den Unternehmer auch vor den Unwägbarkeiten der Rechtsprechung des jeweils für den Tatort zuständigen Gerichts ab.

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