_ In Deutschland gilt bei Ordnungswidrigkeiten der Grundsatz der Fahrerhaftung. Das bedeutet: Selbst wenn die Polizei alle Angaben des Halters hat, muss der Fahrer ausfindig gemacht werden, um von diesem das Bußgeld einzufordern oder Punkte und ein mögliches Fahrverbot verhängen zu können.
Allzu groß ist da oft das Bestreben, die Ermittlung des tatsächlichen Fahrers zu erschweren, um so das Verfahren zur Einstellung zu bringen. Als unangenehme Nebenfolge droht dann jedoch eine Fahrtenbuchauflage, die oft genug in ihrer Wirkung unterschätzt wird.
Rechtsgrundlage
Das Fahrtenbuch ist in § 31a StVZO geregelt. Danach kann die zuständige Behörde gegenüber dem Halter anordnen, ein solches für ein oder gleich mehrere auf ihn zugelassene Fahrzeuge zu führen. Diese Auflage kann auch auf zukünftig zuzulassende Autos ausgeweitet werden. Bei Firmenwagen besteht sogar das Risiko, dass gleich für den gesamten Fuhrpark ein Fahrtenbuch auferlegt wird, wenn sich etwa die Geschäftsführung weigert, den tatsächlichen Fahrer zum Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit zu benennen.
Voraussetzung dafür ist, dass die Feststellung des Fahrers nach einer Zuwiderhandlung im Straßenverkehr, also Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, nicht möglich war, er also nicht ausgemacht werden kann. Zweck des Ganzen ist, dass durch den Druck einer drohenden Fahrtenbuchauflage der tatsächliche Fahrer während der Verjährungszeit doch noch ausgemacht werden kann oder - im Fall der Anordnung eines Fahrtenbuchs - mit Fahrzeug zumindest keine weiteren Zuwiderhandlungen begangen beziehungsweise diese im Zweifel dann aufgeklärt werden können. Der Verordnungsgeber möchte also weitere Gefährdungen mit dem oder den Fahrzeugen ausschließen.
Dabei kann die Behörde eine Fahrtenbuchauflage auch bereits dann anordnen, wenn der Halter wegen der ihm zur Last gelegten Verstöße keine Angaben zum Fahrzeuglenker macht.
Wann ein Fahrtenbuch angemessen ist
Die Feststellung des Fahrers muss aus Sicht der Behörde innerhalb der Verjährungsfrist unmöglich sein. Für die Beurteilung, ob die behördlich betriebenen Aufklärungsmaßnahmen angemessen sind, kommt es wesentlich darauf an, ob die Polizei respektive die Bußgeldbehörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen diejenigen Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß auch Erfolg versprechen. Eine Umschreibung, die sich so stereotyp in vielen Entscheidungsgründen wiederfindet. Dies entspricht den seit langem geltenden Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zu behördlichen Ermittlungstätigkeiten.
Keine Unmöglichkeit, den Fahrer festzustellen, liegt demnach vor, wenn die Behörde ihre Ermittlungen unzureichend betrieben hat, etwa einmalig vor Ort in einem Unternehmen zur Unzeit respektive außerhalb der Dienstzeiten. Für die Annahme der Unmöglichkeit genügt, dass der Fahrer jedenfalls bis zum Eintritt der Verjährung nicht festgestellt werden kann. Ein einmaliges Ermitteln kann daher schon "zu Lasten" des Halters gehen.
Erklärt der Halter, keine Angaben zur Sache machen zu wollen, sind keine weiteren Ermittlungen der Behörde mehr erforderlich. Sie muss ihrerseits den weiteren als Fahrer in Frage kommenden Personenkreis ausdrücklich nicht mehr abfragen. Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage ist unter diesem Gesichtspunkt nicht angreifbar.
In der Regel erübrigen sich weitere Ermittlungstätigkeiten der Behörde auch dann, wenn der Halter von seinem Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter oder von seinem Zeugnisverweigerungsrecht als Zeuge Gebrauch macht. Sich auf diese prozessualen Rechte zu berufen führt nicht zum Verbot einer Fahrtenbuchauflage, denn sie treten hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr zurück. Das entspricht der langjährigen Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts.
Bereitschaft zur Mitwirkung
Ein entscheidender Aspekt bei einer Fahrtenbuchauflage ist daher die Bereitschaft des Halters, an der Aufklärung mitzuwirken. Die immer wieder angeführte Zweiwochenfrist, dass ein Fahrtenbuch nur dann angeordnet werden kann, wenn zwischen Ordnungswidrigkeit oder Straftat und der ersten Anhörung nicht mehr als zwei Wochen liegen, gilt nach der Rechtsprechung nur "regelmäßig". Sie ist keine eigene tatbestandliche Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit.
Diese Fristsetzung der Rechtsprechung beruht vielmehr auf dem richterlichen Erfahrungssatz, dass eine Person Vorgänge des persönlichen Lebensbereichs aus den letzten 14 Tagen im Regelfall in Erinnerung behalten oder zumindest rekonstruieren kann. Danach mutet man dem Halter eine solche Erinnerung nicht mehr zu.
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob dieser Gedankengang Bestand haben kann, wenn es um Ordnungswidrigkeiten geht, von deren Feststellung der Fahrer während der Fahrt oft überhaupt nichts bemerkt hat. So gilt die Zweiwochenfrist auch nicht für die abweichenden Fälle, in denen auch eine spätere Anhörung für die Rechtsverteidigung des Halters ausreicht - anders ausgedrückt: der klassische Fall des später erhaltenen Anhörungsbogens. Sich auf diese Frist zu berufen ist in den wenigstens Fällen erfolgversprechend. Sie ist auch nicht in Stein gemeißelt - es handelt sich nicht um eine allgemeingültige Verjährungsregel wie etwa bei einem Bußgeldbescheid.
Die Zuwiderhandlung, um deren Aufklärung es geht, muss "von einigem Gewicht" sein, damit das Fahrtenbuch als verhältnismäßig zu rechtfertigen ist. Also keine Auflage bei bloß unwesentlichen Verstößen.
Ein Punkt genügt
Bestes Indiz ist das alte Punktesystem - bereits ein Verstoß, der mit einem Punkt belegt ist, genügt. Anders ausgedrückt: Bei Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 20 km/h, Rotlichtverstößen oder unzulässigem Überholen ist jede Diskussion über eine mögliche Unverhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage zwecklos. Aber auch bereits bei geringeren Verstößen muss mit der Verhängung einer Fahrtenbuchauflage gerechnet werden, etwa bei wiederholten geringeren Verstößen, bis hin sogar zu wiederholtem Falschparken.
Dauer der Anordnung
Bei der erstmaligen Anordnung werden dem Halter sechs Monate vorgegeben. "Wiederholungstätern" droht eine Auflage für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten. Dies sollte vom Aufwand her nicht unterschätzt werden.
Aber Vorsicht: Pauschale Aussagen zur Dauer sind gefährlich. Die Rechtsprechung zeigt gänzlich andere Zeiträume auf. So zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht bereits aus 1978 (Entscheidung vom 13.10.1978, Az. VII C 77.74): Es ging um drei Geschwindigkeitsüberschreitungen von jeweils 16, 27 und 12 km/h. Die Folge: eine Fahrtenbuchauflage für zwei Jahre.
Ein weiteres interessantes Beispiel bietet eine Entscheidung des OVG Hamburg vom 27. Dezember 2016 (Az. 4 Bf 97/15.Z). Zugrunde lag eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn um 28 Stundenkilometer. Zulässige Höchstgeschwindigkeit waren 100 Stundenkilometer. Der Fahrer konnte nicht ermittelt werden.
Von Bedeutung sind die Ausführungen zu den widerstreitenden Interessen des Halters hinsichtlich seines Zeugnisverweigerungsrechtes und den Interessen des Staates an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes. Pikanterweise war der Halter nachweislich Beifahrer - auf dem Fahrersitz saß wohl ein Angehöriger. Er führte aus, dass § 31 a StVZO auf verfassungskonforme Fälle reduziert werden müsse, da ansonsten das Zeugnisverweigerungsrecht und mithin auch der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG unterlaufen würde. Das Fahrtenbuch werde von der Behörde zur "Aushebelung des Zeugnisverweigerungsrechts" eingesetzt.
Dem konnte sich das OVG nicht anschließen. Ein Unterlaufen drohe bereits deshalb nicht, da die Fahrtenbuchauflage ein "präventives Instrument im Rahmen der Gefahrenabwehr sei und eine Reaktion auf die unterbliebene Mitwirkung des Fahrzeughalters darstelle." Die Anordnung "habe keine Sanktionscharakter, sondern solle sicherstellen, dass der verantwortliche Fahrer in Zukunft bei Zuwiderhandlungen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften ermittelt werden könne. (...) Das Zeugnisverweigerungsrecht wird (...) nicht in Frage gestellt." Überdies sei die Fahrtenbuchauflage ein geringer Eingriff in die Handlungsfreiheit eines Kfz-Halters.
Pflichtinhalte des Fahrtenbuchs
Zu den ins Fahrtenbuch einzutragenden Daten gehören Name und Anschrift des Fahrers, das Kennzeichen, Datum und Uhrzeit der Fahrt sowie die Unterschrift des Fahrers. Selbstverständlich gehören auch die Kilometerstände dazu. Dies alles ist für jede Fahrt zu erfassen.
Wer als Halter oder dessen Beauftragter im Fahrtenbuch die erforderlichen Angaben nicht einträgt, das Fahrtenbuch berechtigten Personen nicht aushändigt oder es nicht ordnungsgemäß aufbewahrt, handelt ordnungswidrig und es droht ein Bußgeld.
Zu Streit führen immer wieder elektronische Fahrtenbücher, weil sie nicht einheitlich anerkannt werden. Grundsätzlich kommen sie nur dann in Frage, wenn sichergestellt ist, dass sie nicht nachträglich verändert werden können. Wer allem Ärger aus dem Weg gehen möchte, sollte ein handgeschriebenes Fahrtenbuch verwenden.
Waren Rechtsmittel vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Verwaltungsgericht erfolglos, wurde die Anordnung im zentralen Register in Flensburg eingetragen. So konnte sie von der Polizei bei einer Verkehrskontrolle vor Ort im Wege der Abfrage nachverfolgt werden.
Seit dem 1. Mai 2014 werden derartige Verstöße nicht mehr ins Fahrerlaubnisregister eingetragen und damit auch nicht mehr mit Punkten belegt. Es drohen aber 100 Euro Bußgeld.
- Ausgabe 10/2017 Seite 76 (362.1 KB, PDF)