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Erst testen, dann urteilen

01.07.2016 06:00 Uhr
Erst testen, dann urteilen

Es tut sich was in der Stromer-Welt. E-Wald ist ein Carsharing- und Forschungsprojekt, das nicht nur in sechs Bundesländern E-Fahrzeuge vermietet, sondern auch Neuentwicklungen in den Markt bringt.

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_ Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie bei einem Gipfel zu Fragen der Elektromobilität eingeladen sind. Es soll eine Abstimmung geben, welche Maßnahmen der neuen Technik endlich zum Durchbruch verhelfen sollen. Hierzu sind hölzerne Stangen aufgestellt, auf die man Plastikringe stecken kann, die sich zu kleinen Türmchen aufsummieren. Die Abstimmung beginnt und der Stapel mit "Reichweiten vergrößern" wächst stetig, wie auch jener, der für "mehr Ladesäulen" steht. Nun greift sich Katrin Juds ihren Plastikring, geht zur letzten Stange in der Reihe, die die "neue Kaufprämie für E-Fahrzeuge" symbolisiert und lässt den Abstimmungsring nach unten gleiten.

Überraschenderweise bleibt dieser der einzige auf der Stange. "Elektrofahrzeuge haben trotz des staatlichen Zuschusses von 4.000 Euro immer noch einen höheren Anschaffungspreis, obwohl sie, über die gesamte Lebensdauer gerechnet, bereits günstiger sind als vergleichbare Verbrennerfahrzeuge. Die Prämie unterstützt da, wo bereits über den Kauf eines Elektrofahrzeugs nachgedacht wird", begründet sie ihre Wahl, denn sie weiß, dass momentan immer noch Forschungsgelder nötig sind, um die Autos mit Stecker in Deutschland populär zu machen.

Katrin Juds ist Koordinatorin des Projektes E-Wald - was für"Elektromobilität Bayerischer Wald" steht und auch so gemeint ist. Sechs Landkreise mit 7.000 Quadratkilometern Fläche bilden eines der größten Testgebiete für Fragen zu Stromer-Flotten in Deutschland.

Daten und Prognosen

Dabei steht die Arbeitsteilung im Mittelpunkt. Die Forschung findet an der Technischen Hochschule im niederbayerischen Deggendorf statt, die praktischen Versuchsreihen laufen über die E-Wald GmbH, einem Zusammenschluss von 105 öffentlichen und privatwirtschaftlichen Gesellschaftern. Damit zählt E-Wald zählt zu den deutschlandweit größten Systemanbietern für E-Mobilität. Der Sitz in Teisnach liegt unweit von Deggendorf. Auch hier fährt man zweigleisig. Zum einen betreibt man als Carsharinganbieter eine Flotte von gut 200 Fahrzeugen, die vom Tesla Model S über den VW E-Golf bis zum Renault Kangoo reicht. Zum anderen vertreiben die Niederbayern auch die nötige Ladetechnik - ob Eigenentwicklungen oder Fremdprodukte wie jene des australischen Herstellers Tritium.

26 Landkreise

Hier kommen die Flottenbetreiber als Kunden ins Spiel. "Zurzeit sind wir in 26 Landkreisen in sechs Bundesländern aktiv. Das Gros der Kunden sind Kommunen oder Energieversorger wie Stadtwerke", berichtet Ursula Achatz, Assistenz der Geschäftsleitung bei E-Wald. Bei ihr landen so gut wie alle Anfragen zu neuen oder laufenden Projekten, sodass sie weiß, wo immer noch der Schuh drückt, wenn Flotten von fossilen Kraftstoffen zum Strom wechseln. "Da fehlt es zum einen oft an der richtigen Beratung, was aufgrund des komplexen Systems aus Technik und Ladeinfrastruktur nicht immer von den Autoherstellern geleistet werden kann. Als Systemanbieter gehört dies zu unseren Stärken. Ganz oft herrscht zudem eine gewisse Scheu vor der Technik. Aber da hilft es, dass wir eine 24-Stunden-Hotline haben, so dass wir auf Fragen zum Auto oder zur Ladesäule sofort reagieren können."

Oft fragen Fuhrparks, die eine E-Flotte aufbauen wollen, zunächst Mietfahrzeuge an, um sich langsam an die Thematik heranzutasten. "Daraus entwickeln sich dann Geschäfte. In der Regel geht es um ein, zwei Fahrzeuge, aber es gibt auch Nachfragen wie vom Netzbetreiber Tennet nach größeren Mengen. In dem Fall haben wir zehn Fahrzeuge geliefert."

Mieten und Vermieten

Ein Erfolgsmodell ist dabei das sogenannte Bürgerauto, das auch zusammen mit den Bayernwerken vertrieben wird."Hier zahlt der Fuhrparkbetreiber, was in dem Fall meist eine Kommune ist, eine Full-Service-Monatsmiete an uns und die Beamten nutzen das Bürgerauto für ihre Dienstfahrten. Darüber hinaus können die Kommunen das Fahrzeug im lokalen Carsharing anbieten. Diese Erlöse fließen an die Fuhrparks, was die Kosten der Bürgerautos senken hilft." Das Ziel ist hier eine hohe Auslastung.

Diese erreicht man mit den Batteriefahrzeugen aber nur, wenn das Auffrischen der Energiepacks schnell vonstattengeht. Im E-Wald-Kerngebiet in Ostbayern gibt es 150 Standorte mit gut 750 Ladepunkten. Im Gesamtnetz sind es über 6.000 Ladestellen. Da E-Wald Mitglied bei Intercharge ist, einem Zusammenschluss von E-Mobilitätsanbietern, können die Kunden bequem per Smartphone-App die Ladesäule steuern und auch bezahlen. "Demnächst wird man einzelne Ladepunkte auch reservieren können. An der App-Lösung wird gerade gearbeitet ", erklärt Achatz. So wird das Fahren und Laden bald spürbar einfacher für den Nutzer.

Diese enge Vernetzung von Technik, Infrastruktur und Forschung ist sicherlich ein wesentlicher Punkt, weshalb sich Kommunen und andere Fuhrparkbetreiber den Niederbayern anschließen. Und es sollen noch deutlich mehr werden, wie Ursula Achatz bestätigt: "Die Angebote für Flotten und die Infrastruktur stehen so weit, nun planen wir in der Fläche zu wachsen und unser Einzugsgebiet zu erweitern, bundesweit und auch grenzübergreifend."

Neue Features

Gute Argumente dafür liefert der Forschungszweig an der Technischen Hochschule in Deggendorf."Wir befragen kontinuierlich die mittlerweile über 3.300 Kunden von E-Wald-Carsharing. Dabei gibt es immer wieder die gleichen Kritikpunkte. Neben der Reichweite ist dies die lange Ladedauer der Fahrzeuge. Beides führt zu hohen Betriebskosten. Denn wenn ich das Auto lange laden muss, kann ich es nicht an Fahrer vermieten", beschreibt Juds die Ausgangslage und ergänzt gleich die Lösungen dafür: "Zum Thema Laden haben wir einen Prototyp einer intelligenten Ladebox entwickelt, der nicht nur Gleich- und Wechselstrom handhabt, sondern auch eine sichere Lastverteilung zwischen verschieden ladenden Fahrzeugen gewährleistet." Bis Jahresende soll diese Multi-Ladebox in Serie gehen.

"Darüber hinaus haben wir beim induktiven Schnellladen Fortschritte gemacht. Bislang ist induktives, also berührungsfreies Laden nur mit gut sechs Kilowatt Leistung möglich. Wir haben nun einen Nissan Leaf und einen Citroën Berlingo so umgebaut, dass diese mit dreißig Kilowatt, also fünfmal so schnell, geladen werden können", so Juds. Ab August wird dies an zunächst zwei Standorten im E-Wald-Reich möglich sein. Bliebe noch ein Kritikpunkt: die Reichweite. Die Batterie als Energieträger ist natürlich kein Hoheitsgebiet eines Carsharing-Anbieters, dennoch forschen momentan 23 Mitarbeiter an der Technischen Hochschule Deggendorf auch in dieser Richtung."Hier geht es darum, dem Fahrer eines E-Autos eine zuverlässige Reichweitenangabe präsentieren zu können. Davon unabhängig, ob er sich in der Stadt, in den Bergen, im warmen Süden oder im kalten Norden befindet", bekräftigt Juds.

Dazu wird im Moment eine eigene Bedienoberfläche entwickelt, die, mit Navi-Daten von Tom Tom verbunden, den Fahrer ruhigen Gewissens touren lassen soll."Ziel ist es, dass die unterschiedlichen Nutzergruppen ihre Präferenzen eingeben können. Zum Beispiel kann ein Pendler, der den Weg sehr gut kennt, seinen Energievorrat statt für zahlreiche Navi-Berechnungen lieber für andere Verbraucher wie die Heizung einsetzen. Ein Tourist wiederum ist auf das Navi angewiesen und kommt bei voller Heizleistung und dem Navi-Einsatz nicht ganz an die Reichweite des Pendlers heran. Die Energie wird also bedarfsgerecht verteilt."

Datenschatz

Den Kern der ausgefeilten Technik bildet der Schatz an Fahrdaten der E-Wald-Nutzer. Nur mit diesen anonymisierten Werten aus der Praxis können exakte Prognosen getroffen werden, sodass die Reichweitenanzeige im Fahrbetrieb keine großen Sprünge macht, welche Stromer-Neulinge irritieren könnten. "So kommen wir dem Ziel wieder einen Schritt näher, dass jeder einmal erleben sollte, wie einfach das Fahren und Laden eines E-Fahrzeuges ist", freut sich Juds. Schließlich ist dies eines der Ziele des geförderten Projektes. Am Ende sollen sich so viele Nutzer wie möglich selbst ein Bild von den Möglichkeiten der Elektromobilität machen können. Sodass künftig auch zahlreiche Flottenbetreiber wüssten, wo sie bei einer neuerlichen Umfrage ihren Abstimmungsring fallen lassen würden.

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