Von Annemarie Schneider/Autoflotte
Daten von Fahrern und Fahrzeugen aktiv generieren und daraus Versicherungen plus Services für Kunden sowie für neue Mobilitätsangebote entwickeln: Das macht die „Ergo Mobility Solutions“ als eigenständiges Geschäftsfeld der Ergo-Gruppe seit gut drei Jahren. Zu diesem Zweck hat sich der Versicherer unter anderem an den beiden US-amerikanischen Unternehmen Ride Cell, welcher die Software für den Car-Sharing-Dienstleister Reach Now stellt, und Fair.com beteiligt. Letzterer bietet sogenannte Car-Asset-Services via Smartphone, wie das direkte Leasen oder Finanzieren eines Autos. Jüngster Coup ist das Joint-Venture mit dem Automobilhersteller Great Wall Motors für den Verkauf von Versicherungen über deren Autohäuser und die Entwicklung von Mobilitätsdienstleistungen in China. Weitere Kooperationen sollen folgen. Welche Perspektiven sich daraus im deutschen Markt und für Flottenkunden auf längere Sicht eröffnen, skizziert Karsten Crede, Mitglied des Vorstands der Ergo Digital Ventures AG und CEO der Ergo Mobility Solutions.
Autoflotte: Die Flottenversicherung folgt mit der Tarifierung und den Rahmenverträgen je nach Risiken des jeweiligen Unternehmens im Gegensatz zum Privatmarkt eigenen Regeln. Wo setzen Sie hier mit Ihren Leistungen an?
Karsten Crede: In diesem Bereich finden zwei Entwicklungen statt. Zum einen gibt es das klassische Flottengeschäft, das mit seinen negativen Schaden-Kosten-Quoten für die Versicherer seit Jahren defizitär ist. In diesem Bereich müssen wir schlichtweg klüger werden, um die aktuelle Situation zu verbessern. Dazu brauchen wir vor allem mehr Daten für die versicherungstechnischen Tools, um das Risiko besser einschätzen zu können.
Zum anderen entstehen neue Geschäftsmodelle wie das Car- oder Ride-Sharing, für die wir beispielsweise mittels Daten zum Nutzungs- und Fahrverhalten intelligentere Versicherungen anbieten wollen, so dass wir kein Geld verbrennen und gleichzeitig dazu beitragen, dass die Kosten für die neue Mobilität so attraktiv wie möglich werden und diese in Verbindung mit der E-Mobilität schneller auf die Straße kommt.
Mit der Datengenerierung haben Sie in den USA und China via Beteiligungen und Joint-Ventures begonnen. Wie wirkt sich das auf Kfz-Versicherungen hierzulande aus?
K. Crede: Wir sind noch in einer sehr frühen Phase, haben aber bereits die Infrastruktur und arbeiten intensiv daran, auch Lösungen für den deutschen Markt zu entwickeln. Die Digitalisierung fungiert hier als Schlüssel zu den neuen Angeboten.
An welche neuen Versicherungslösungen denken Sie?
K. Crede: Die neuen Deckungskonzepte gehen über die bekannten Telematik-Lösungen und verhaltensbasierte Kalkulation hinaus. Wir sprechen von ‚Insurance on demand‘, also einer situativen Deckung, wenn sie benötigt wird. Wir wollen unseren Kunden zum Beispiel vor Fahrtantritt via Mobiltelefon oder integriert über das Auto nicht nur eine Kfz-Versicherung anbieten, sondern alles, was mit Mobilität zu tun hat. Das kann eine Reisegepäckversicherung sein genauso wie eine zusätzliche Unfall- oder Reisekrankenversicherung. Daran arbeiten wir. Mit Volvo haben wir beispielsweise eine solche Lösung im Mai vergangenen Jahres mit der ‚Car Protection‘-App schon auf den Markt gebracht. Auch das Abo-Modell ‚Care by Volvo‘ ist bei uns versichert.
Ein anderes On-demand-Angebot ist die sogenannte Rennstreckenversicherung, die voll digital in wenigen Schritten abgeschlossen wird und über einen bestimmten Zeitraum für Fahrten auf Rennstrecken den Schutz übernimmt. Des Weiteren verproben wir aktuell den Vertragsabschluss einer Versicherung direkt im Fahrzeug. Das sind technologische Durchbrüche, die wir erzielt haben.
Wie weit sind sie mit solchen Neuerungen im Flottensegment?
K. Crede: Wir stellen uns darauf ein, insbesondere Flotten der neuen Generation mit entsprechenden Versicherungen auszustatten. Hier gilt es noch viel stärker als in den klassischen Flotten intelligente Anreize zu setzen, damit die Leute vernünftiger mit den Fahrzeugen umgehen und der Versicherer eine faire Marge erzielen kann. Deshalb konzentrieren wir uns viel mehr auf Technologie und Datenmanagement als bisher üblich.
Welche Rolle kann beim Fuhrparkmanagement der Zukunft der Kfz-Versicherer überhaupt spielen?
K. Crede: Der Versicherer hat in der Vergangenheit immer darauf geschaut, seine Risikotragung zu optimieren. Ich meine, dass es als Versicherer künftig viel mehr darauf ankommt, eine holistische Dienstleistung anzubieten. Dafür brauchen sie die richtige IT.
Wir haben uns deshalb von Anfang an entschieden, im deutschen Markt auf eine Standardsoftwarelösung von SAP zu gehen, die dann stark auf den Bedarf des konkreten Kunden zugeschnitten wird. Das klingt banal, ist aber ein riesiger Unterschied zu den Systemen, die viele Versicherer derzeit im Betrieb haben. Diese sind oft komplex, langsam und teuer. Mit der SAP-Standardsoftwarelösung haben wir die Basis geschaffen für ein intelligentes Datenmanagement, so dass wir zum Beispiel Informationen an die Flottenbetreiber zur Fuhrpark- sowie Fahrverhaltensoptimierung zurückspielen und ein schnelleres und besseres Schadenmanagement leisten können.
Ein Baustein davon wird künftig auch sein, dass im Schadenfall die Schadenregulierung mit Bild- und Videoformaten unterstützt und teilweise auch anschließend bearbeitet werden kann. Dadurch können Schadenregulierung und Freigabe schneller erfolgen, die Werkstatt bekommt schneller das Geld und auch für den Kunden wird das Ganze deutlich schneller, als dies heute der Fall ist.
Welche Herausforderungen sind damit verbunden?
K. Crede: Der Flottenbetreiber sollte bereit sein, die zur Verfügung stehenden Daten mit dem Versicherer zu teilen, damit dieser seine Produkte entsprechend justieren kann. Denn es gibt viele Faktoren und Stellschrauben, die man aufeinander abgestimmt drehen muss und nicht die eine, die alles verbessert. Darüber hinaus ermöglicht die Digitalisierung nun auch, bei der Schadenprävention viel früher anzusetzen. Ein Schlüssel dazu sind unsere Entwicklungspartnerschaften mit der Autoindustrie. Hier arbeiten wir etwa gemeinsam an folgende Fragen: In welchen Fahrzeugen gibt es welche Assistenzsysteme? Und welche führen wirklich zu weniger Unfällen oder helfen, den Schweregrad von Verletzungen zu reduzieren? Hier gibt es große Unterschiede. Dieses Wissen lässt sich nur in engen Kooperationen aufbauen, wo auch auf Seiten des Versicherers Experten, wie Ingenieure und IT-Fachleute, eingebunden sind, die so etwas verstehen und in konkrete Versicherungslösungen umsetzen können.
Herr Crede, vielen Dank für das Gespräch!