Für die Geschichten dieser Autoflotte-Ausgabe bewegten wir uns in Gefilden, die wir bislang nicht ansteuerten: Simmern im Hunsrück (siehe ab Seite 14) und jetzt Ostwestfalen. Genauer: Bielefeld. Ja, das ist die Stadt, die es . blabla. Bielefeld ist sehr präsent. Ein sympathisches Städtchen mit rund 340.000 Einwohnern und immerhin so groß, dass Platz 18 im Einwohner-Ranking drin ist, hinter Wuppertal und vor Bonn. Das Wahrzeichen der Stadt ist angeblich die Sparrenburg, etwas südlich der Stadtmitte gelegen.
Patria: Epizentrum des Fahrradbaus
Wir befinden uns 15 Kilometer westlich, in Leopoldshöhe. Warum der Schlenker nach Bielefeld? Nunja, es verdeutlicht, warum wir überhaupt hier sind. In Ostwestfalen, einer Region mit gut zwei Millionen Einwohnern, dreht sich alles ums Fahrrad. Zumindest dann, wenn man in den Rückspiegel schaut und die Zeit von etwa 1885 bis Mitte des 20. Jahrhunderts betrachtet. Zwar war damals Opel der weltgrößte Fahrradhersteller - ja, richtig gelesen - und produzierte 1926 das millionste Fahrrad im eigenen Werk in Rüsselsheim, doch in Ostwestfalen hielt man mit mehr als 250 (kleinen) Fahrradherstellern dagegen. Hier befand sich das Epizen-trum des deutschen Fahrradbaus.
- Muli Cycles: Fokus auf lokale Herstellung
- Brompton: Faltrad mit 20-Zoll-Rädern und Scheibenbremsen
- Jobrad: "Wir haben eine volldigitalisierte Onboarding-Strecke"
Bereits 1898 entstand das erste Fahrrad der Marke Patria. Patria ist lateinisch und bedeutet Heimatland. Das Heimatland von Patria war damals aber noch nicht in Ostwestfalen, sondern in Solingen, wo alles begann. Der Fahrradbau bei Patria in Solingen entstand aus der Weiterentwicklung der Firma WKC, Weyersberg, Kirschbaum & Cie., die sich zuvor auf Stichwaffen spezialisiert hatten. Patria-Velos wurden dort bis Anfang der 1950er-Jahre produziert. Dann war für viele Jahre erst einmal Schluss.
Urwahn Fahrräder

Genau zu der Zeit hielt sich der Schlosser Ernst Kleinebenne in Bielfeld unter anderem mit dem Verkauf von handgemachten Reifen über Wasser. Er erkannte die Zeichen der Zeit und gründete kurz danach seine erste Firma und baute: Fahrradrahmen. Denn das Fahrrad galt als günstiges und gutes Fortbewegungs- und Arbeitsmittel. Der Kreis schloss sich 1971, als er zusammen mit seinen Söhnen Dieter und Fred die Markenrechte an Patria übernahm und damit die Basis für exzellenten Rahmenbau legte. Nun, mehr als 50 Jahre später, existiert Patria trotz aller Krisen, die das Velo seitdem durchlebte noch immer.
Und zwar noch immer am gleichen Ort und ist trotz aller "Pedeleci-sierung" gesund. Chef von Patria ist heute Jochen Kleinebenne, Enkel von Ernst. Im Familienbetrieb arbeiten derzeit 15 Mitarbeiter, die in alten Industriegemäuer nach wie vor maßgeschneiderte Stahlrahmen herstellen. Und genau das ist das Besondere an Patria: Fahrradbau, made in Germany, und zwar passgenau.
Patria: Kurze Wege
Patria ist ein Paradebeispiel für kurze Wege. Hier wird komplexer Rahmenbau erdacht, konstruiert, ausprobiert und an Kunden ausgeliefert. Und das Ergebnis macht Menschen glücklich - sehr lange. Die Garantiezeit von 15 Jahren auf den Rahmen spricht eine eigene Sprache, und man sieht die Überzeugung, mit der Patria die Stahlrohre zusammenbringt.
Die Auswahl des perfekten Fahrrads beginnt mit der Überlegung, welche Reifen für welches Terrain bei welcher Sitzposition am sinnvollsten sind.
Die meisten Stahlrohre kommen von Poppe + Potthoff, 22 Kilometer entfernt, und werden nach den Wünschen von Patria produziert. Aus Italien kommen noch die konifizierten, kaltgezogenen Columbus-Rohre, die silbergelötet werden müssen - alles feinstes Material. Eigene Muffen, patentierte Ausfallenden und spezielle Verstrebungen an besonders beanspruchten Stellen sind Markenzeichen von Patria.
Nach dem Schweißen und Löten der gemufften Spezialanfertigungen mit Wunschgeometrie werden die Rahmen in derselben Halle lackiert und zu kompletten Fahrrädern montiert. Die "Bielefelder" waren mit die Ersten, die die vielleicht genialste Schaltung der Welt, die Speedhub, in ihre Rahmen integrierten. Patentierte Ausfallenden waren eine Begleiterscheinung dieser Ehe, die gut die Hälfte aller Patria-Kunden freiwillig eingehen und es sich was kosten lassen: Mindestens 1.300 Euro werden für die 14-Gang-Nabenschaltung von Rohloff aus Fuldatal, 125 Kilometer östlich von Bielefeld, fällig. Generell sind die Fahrräder von Patria sehr hochwertig und vor allem langlebig. Nicht ohne Grund sind Extrem-Pedalisten, die die Welt umrunden, häufig mit Patria-Modellen unterwegs.
Solch eine Art der Fertigung ist in Deutschland mittlerweile selten, wenngleich es seit vielleicht gut 20 Jahren eine kleine Renaissance in dem Bereich gibt - im Hochpreissegment. Bei Patria beginnt die Preisliste für ein Komplettrad bei etwa 2.100 Euro, dann verständlicherweise ohne Rohloff-Schaltung. Nach oben gibt es keine Grenzen. Zum Vergleich: Der Durchschnittspreis aller in Deutschland im Jahr 2023 verkauften Fahrräder (rund 4 Millionen Stück) betrug laut Branchenverband ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) 470 Euro - und da sind die E-Bikes mit durchschnittlich 2.950 Euro enthalten. Bei Patria legen die meisten Kunden noch etwas drauf - auch ohne Elektromotor zwischen den Beinen.
Patria: Profilöter
Wir dürfen bei der Entstehung eines edlen Velos dabei sein. Bastiaan van Zweeden, für den Vertrieb und Händlersupport von Patria zuständig, macht zusätzlich gerade seinen Zweiradmechnanikermeister, führt uns durch die Manufaktur und hat bereits jetzt auf alle Fragen eine Antwort.
Die dünnwandigen, leichten und dennoch stabilen sowie komfortablen Stahlrohre (Stahl ist (mit Titan) das Rahmenmaterial mit den besten Komfortqualitäten und das "nachhaltigste" zudem) werden gekürzt und in die gewünschte Geometrie gebracht. Willi lötet mit einer passenden Temperatur für die niedrig schmelzenden Lote in konzentrierter Gelassenheit die Hauptrohre zusammen. Wenn alles glatt läuft, ist ein Rahmen in ein bis zwei Stunden gelötet - Profi halt, der seine Arbeit wohl auch mit verbundenen Augen erledigen könnte. Generell ist die Loyalität der Arbeitnehmer zu Patria sehr hoch. 45 Jahre "Mitgliedschaft" sind ein Beweis dessen und bei Patria zu finden.
Die richtigen Maße, um das perfekt sitzende Fahrrad zu bauen, kommen bei Patria vom "Velochecker", einer Patria-Erfindung, auf der die meisten der Kunden beim Zweiradhändler eine Zeit lang Platz nehmen - Patria gibt es ausschließlich bei 130 ausgewählten Händlern in Deutschland und einigen in Österreich und in der Schweiz. Direktvertrieb? Keine Chance. Zurück zum Velochecker. Denn Patrias Grundgedanke lautet: "Das Fahrrad soll an den Menschen angepasst werden und nicht umgekehrt. Denn ohne das richtige Maß ist alles nichts", weiß Bastiaan van Zweeden. Das Fahrrad soll wie ein guter Maßanzug passen und auch ebenso gewertschätzt werden. 90 Prozent der Kunden lassen auf Maß fertigen - Aufpreis: 224 Euro.
Patria: Konstrukteure und Innovatoren
Laut Jochen Kleinebenne fängt die Auswahl des perekten Fahrrads mit der Wahl der Reifen an - Breite, Höhe, Profil. Danach erst wird alles andere eruiert und ausgewählt. Also beispielsweise die Sitzhaltung und die bevorzugte Sitzposition, Einsatzzweck, Topografie etc.
Wenn sich Dinge in der Industrie ändern und Innovationen hinzukommen, passt sich Patria an und entwickelt Lösungen, die es teils bei anderen Herstellern nicht gibt, um stets das aus ihrer Sicht ideale Fahrrad anbieten zu können. Patria-Mitarbeiter sind nach eigenen Aussagen Tüftler, Konstrukteure und Innovatoren aus Leidenschaft. Passt etwas nicht, wird Besseres selbst konstruiert und fließt in die Serie ein. Bei den Maßanfertigungen wird jeder Kundenrahmen in einem selbst entwickelten CAD-Programm zuvor simuliert und dann geschaut, dass Geometrie, Steifigkeit und Rahmengewicht perfekt harmonieren.
Beim Gang durch die Halle merkt man das durchaus und selbst in den Ecken, in denen seit 45 Jahren "der gleiche Job" gemacht wird. Denn der ist auch beim Rahmenbau und bei der Montage von Zweirädern stets im Wandel. Elektrobikes, oder wie Sie eigentlich heißen, Pedelecs, spielen mittlerweile auch bei Patria eine Rolle, wenngleich die meisten verkauften Fahrräder bei Patria noch voll auf Muskelkraft der Pedaleure setzen - nur zwölf Prozent der Fahrräder sind elektrifiziert.
Laut ZIV gab es 2023 in Deutschland 84 Millionen Fahrräder (Bestand) - für jeden eins also. Elf Millionen davon besitzen einen Elektroantrieb. 2023 wurden, wie erwähnt, vier Millionen Räder in Deutschland verkauft und erstmals hatten mehr als die Hälfte (2,1 Millionen) einen E-Motor.
Bei Patria gilt: Kein Patria gleicht dem anderen. Und sei es nur die Lackierung, hier gibt es jede RAL-Farbe. Acht Wochen benötigt ein Patria von der Bestellung, bis das Fahrrad zum Kunden kommt. Gut 1.000 Enthusiasten mit Sinn für Ästhetik und Qualität entscheiden sich pro Jahr für ein Patria, made in Leopoldshöhe.