Im Jahr 2025 ein Fahrrad in Deutschland zu bauen, ist keine Selbstverständlichkeit. Bei den Lastenrädern von Muli war das von Anfang an so. Wieso habt ihr euch für diesen Weg entschieden?
Felix Schön: Das Fahrrad gilt als Verkehrsmittel der Zukunft - insbesondere in der Stadt. Wir haben von Beginn an jedoch nicht nur an einem zukunftsfähigen Produkt gearbeitet, welches einen echten Mehrwert schafft, sondern wollten diesen Ansatz auch für den gesamten Produktionsprozess etablieren. Eine ressourcenschonende und nachhaltige Produktion in Deutschland aufzubauen, hatte für uns von Beginn an den gleichen Stellenwert, wie ein sinnvolles Produkt zu erschaffen.
Die metallverarbeitende Industrie in Europa bietet die Möglichkeit, die für das Muli erforderlichen Rohre und Bauteile in höchster Qualität und zu absolut konkurrenzfähigen Preisen zu fertigen. Der Schlüssel liegt in einer Fahrradkonstruktion, die speziell auf die Fertigungskapazitäten der regionalen Betriebe abgestimmt ist. Genau diesen Ansatz verfolgen wir mit dem Muli.
Wird der Komplett-Rahmen nach wie vor von deutschen Partnern zugeliefert?
F. Schön: Zum Teil trifft das zu, wir arbeiten jedoch intensiv daran, die gesamte Rahmenproduktion in unserer eigenen Metallverarbeitung zu stemmen. Wir können mit unseren eigenen Werkzeugen generell bei vielen Schweißerei-Betrieben fertigen lassen und sind dadurch recht flexibel aufgestellt. Aktuell wird ein Großteil unserer Rahmen per Hand geschweißt, zum Teil bei uns in Köln, zum Teil bei Partnerbetrieben in der Region. In den kommenden Monaten erfolgt die Umstellung auf die automatisierte Rahmenproduktion und der überwiegende Teil der Rahmen wird fortan bei uns in der Muli-Factory entstehen. Das ist einzigartig und stellt für uns einen echten Meilenstein dar.
Auf der Messe Eurobike 2024 habt ihr das "Muli Motor eu" präsentiert, dessen Komponenten zu 90 Prozent aus EU-Herstellung stammen. Warum sind es nicht 100 Prozent?
F. Schön: Ein echtes Herzensprojekt! Durch unseren Fokus auf lokale Herstellung haben wir uns schon immer an der Tatsache gestört, dass die meisten Fahrradkomponenten, auf die auch wir zurückgreifen müssen, in Fernost produziert werden. Das wollten wir nicht einfach so hinnehmen, sondern eine gegenläufige Entwicklung einleiten und vorleben. Wir haben uns die Frage gestellt, ob ein seriengefertigtes Lastenfahrrad komplett in Europa entstehen kann. Diese Frage ist in einem zweijährigen Entwicklungsprozess gemündet, aus welchen letztlich ein Produkt entstanden ist: das Muli Motor eu.
Wir haben alle unsere verbauten Komponenten auf den Prüfstand gestellt und versucht, sie durch lokal hergestellte, qualitativ hochwertige, aber dennoch bezahlbare Produkte zu ersetzen. Dies ist uns zum überwiegenden Teil gelungen. Weiterhin aus nicht-europäischer Herstellung kommen beispielsweise die Reifen und Schläuche. Wir haben hierbei jedoch mit Schwalbe einen Partner, der sehr verantwortungsvoll produziert und uns glaubhaft versichern konnte, dass eine Produktion in der räumlichen Nähe zu den Kautschuk-Plantagen nachhaltig und sinnvoll ist.
Das Projekt "EU-Muli" endet jedoch keineswegs mit der Markteinführung des Muli Motor eu, sondern wird nun firmenintern als taktgebendes Zukunftsprojekt für die gesamte Produktfamilie angesehen. Wertvolle Erkenntnisse wurden als ,running change' in die Serienproduktion der anderen Modelle im Portfolio umgesetzt. Qualitativ ebenwürdige Komponenten werden fortlaufend implementiert, sofern höhere umwelt- und sozialverträgliche Produktionsbedingungen eingehalten werden.
Gibt es Kooperationen mit Fahrradherstellern wie Urwahn, die ebenfalls so lokal wie möglich produzieren möchten?
F. Schön: Wir sehen uns in einer Vorreiterrolle für lokale Fahrradproduktion und sind gut vernetzt mit Unternehmen, die ein ähnliches Werte-verständnis leben und anwenden. Wir können gemeinsam voneinander lernen und auch Synergien bündeln. Mit Urwahn sind wir schon seit einigen Jahren im guten Austausch und durften deren Team auch bereits bei uns in der Muli-Factory begrüßen.
Wir möchten uns ganz generell nach außen nicht verschließen, sondern sind offen für den Austausch und zeigen gerne, was wir hier in Köln auf die Beine gestellt haben. Wenn wir andere Unternehmen inspirieren können, einen ähnlichen Fokus auf konsequente, nachhaltige Produktionsprozesse zu legen, werden wir unserem Anspruch gerecht, einen gesellschaftlichen Mehrwert liefern zu wollen.
Eine weitere Messe-Neuheit: der Lastenaufsatz namens Box. Worin liegen die Besonderheiten?
F. Schön: Gewerbliche Anwender haben ein anderes Anforderungsprofil an ein leistungsfähiges Lastenfahrrad. Und genau dort setzen wir mit unserem alternativen Cargo-Aufbau, genannt Muli Box, an. Wir haben ein einzigartiges, modulares Ladekonzept entwickelt, welches auf der einen Seite ein möglichst großes Ladevolumen bietet, auf der anderen Seite aber die kompakte Muli-Bauform beibehält. Während unser klassisches Muli für ein Ladevolumen von bis zu 100 Litern konzipiert ist, kann das neue Muli Box bis zu 400 Liter Beladung auf zwei Ebenen unterbringen. Zum einen, in der unteren Ebene, welche komplett verschließbar ist. Zum anderen auf der mit Airline-Schienen ausgestatteten und für die Befestigung von Euroboxen und Systainern optimierten oberen Ladeplattform. Und das Ganze bei einer unveränderten Gesamtlänge von unter zwei Metern und einer guten Portion Muli-DNA.
- Ausgabe 1-2/2025 Seite 038 (558.4 KB, PDF)
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Bei Familien ist das Muli bereits ein beliebtes Verkehrsmittel. Wie können in Zukunft auch Unternehmen oder Handwerksbetriebe stärker von den Vorzügen profitieren? Wird es neben dem neuen Muli Box eine Variante mit höherer Nutzlast geben oder sind 70 Kilogramm genug?
F. Schön: Wir sind uns bei Muli Cycles einig, dass 70 Kilogramm Zuladung eine ganze Menge sind und die meisten Anwendungsfälle für Unternehmen, die Gastronomie oder Handwerksbetriebe abdeckt. Uns geht es bei der Entwicklung nicht darum, mit den höchsten Zahlen auftrumpfen zu können, sondern wir orientieren uns an den tatsächlichen Bedürfnissen unserer Zielgruppen. Mit dem Werkzeug auf der letzten Meile direkt zu den Kunden, Auslieferung der frischen Ware im Stadtzentrum, Kurierdienstleistungen in der Großstadt - dafür ist unser Konzept optimiert. Betriebe, die tagtäglich ein deutlich höheres Transportvolumen benötigen und viele, sehr schwere Dinge transportieren müssen, finden sicherlich andere Lösungen. Große, autoähnliche Lastenfahrräder gibt es viele. Gewerbliche Lastenfahrräder im Kompaktsegment sind jedoch rar gesät.
Wenn ihr die Wahl hättet: Würdet ihr in Zukunft eher ein noch kompakteres/faltbares Lastenrad oder eine größere Muli-Variante auf den Markt bringen? Und wie seht ihr die Chancen einer S-Pedelec-Version für ganz eilige Lieferungen?
F. Schön: Das Schöne ist ja: Wir haben die Wahl. Für uns ist es aber überhaupt nicht von Bedeutung, krampfhaft auf etwas Kleineres oder Größeres hinzuarbeiten. Wir nähern uns in den Entwicklungsprojekten immer über die Probleme an, welche wir erkennen und lösen wollen.
Ich kann nicht allzu viel verraten, aber natürlich ist es so, dass die Welt der Lastenfahrräder aus unserer Sicht noch nicht komplettiert ist und wir einige spannende Ideen haben, mit denen wir weitere Probleme in der urbanen Mobilität lösen können.