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Das Urteil und die Folgen

03.04.2018 06:00 Uhr

Bundesweite Auswirkungen wird die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Luftreinhalteplänen in Düsseldorf und Stuttgart haben - ein Versuch, in die Zukunft des Selbstzünders zu blicken.

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_ Kaum ein Thema hat in den letzten Monaten die Nation derart gespalten wie die Frage um mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Ratlosigkeit nach dem Urteil überall. Die Autoindustrie verweigert weiterhin eine Umrüstung älterer Modelle; wohlgemerkt, die Rede ist von EU-5-Fahrzeugen. Drohen nun flächendeckende Fahrverbote für alle Diesel?

Eines dürfen sich die deutschen Autobauer in diesen Tagen sicher sein: Ihre beispiellose Arroganz gegenüber ihren Kunden hat Wirtschaftsgeschichte geschrieben, die in ihrer Peinlichkeit bislang für unmöglich gehalten wurde, und dies unter weltweiter Beobachtung, allen voran der VW-Konzern. Ungeachtet politischer Couleur war der von der deutschen Autoindustrie eingeschlagene Weg, ganz überwiegend auf deutsche Ingenieurskunst in Sachen Diesel zu setzen und damit bewusst die Bemühungen anderer Weltkonzerne auf dem Gebiet alternativer Antriebskonzepte zu ignorieren, zumindest gewagt. Es war EU-weit bekannt, dass der "Flottenverbrauch" eines Herstellers ein ganz entscheidendes Erfolgskriterium sein würde - ganz zu schweigen von drohenden Strafzahlungen.

Wie konnte man in Wirtschaft und Politik dabei so naiv sein zu glauben, man müsse dem Kunden nur billige, kleine, hubraumschwache Diesel verkaufen, die - wie VW es uns nun gelehrt und auf traurige Weise bestätigt hat - unter vernünftigen wirtschaftlichen Gesichtspunkten technisch nicht "sauber" zu bekommen sind? Wie konnte man so dumm sein zu glauben, das Thema Flottenverbrauch sei allein mit solchen Fahrzeugen unter Vernachlässigung der Benziner- und E-Motoren auf Dauer zu sichern?

Das Dilemma liegt nun offen: Die Diesel - zumindest alle unterhalb Euro 6 (und selbst diese sind bereits in der Diskussion) - fallen zur Erreichung des EU-Zieles "Flottenverbrauch" weitgehend aus. Zumindest wendet sich der Kunde ab und fokussiert sich auf Benziner. Die Benziner verbrauchen mehr Treibstoff und haben damit eine - mit ihrem Zuwachs einhergehende - weitaus schlechtere CO2-Bilanz.

Der richtige Zeitpunkt zum Aufhören

Hinzu kommt ein typisch deutsches Problem in der Umweltpolitik, nämlich nicht zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufhören ist. Soll bedeuten: Fahrverbote als drohendes liebstes Mittel, zuerst wegen Feinstaub, nun wegen Stickoxid, demnächst dann wieder wegen einer schlechten CO2-Bilanz und in nicht ganz ferner Zukunft wegen Nichteinhaltung von Lärmschutzplänen der EU.

Dies alles im Wissen um die Tatsache, dass ein ums andere Mal Wirtschaftsvermögen verbrannt wird, wenn die Verursacher des Problems - derzeit am Dieselskandal gut zu beobachten - statt Schadenswiedergutmachung zu leisten, lieber vom Steuerzahler geförderte neue Verkaufsaktionen vorschlagen, natürlich wieder mit dem Versprechen, es handele sich damit um eine Investition für die Zukunft.

Kaum ein Anhänger dieser mobilitätsfernen Politik und auch nicht die so klagefreudige Deutsche Umwelthilfe klärt all die betroffenen Anwohner darüber auf, dass in Zukunft in Deutschland mit nun drohenden Teilsperrungen die schlechte Luft in den Städten nicht verbessert, sondern nur besser verteilt wird. Kaum jemand erklärt öffentlich, dass all die bei uns nun als "schmutzig" geltenden Fahrzeuge für die nächsten Jahrzehnte in der Dritten Welt, und dort als"saubere" und fortschrittliche Fahrzeuge, weiter genutzt werden - "gesponsert" vom betrogenen Normalverbraucher in Europa. Selbstverständlich empfindet es dabei in unseren Gefilden niemand als anrüchig, unsere "gefährlich schmutzigen" Fahrzeuge fortan ärmeren Menschen in der Dritten Welt zuzumuten. Entweder ist die Gesundheit der Menschen dort weniger wert oder unsere Autos sind vielleicht doch nicht so gefährlich, wie die Politik und das klagende Geschäftsmodell der Umwelthilfe es uns glauben machen möchten?

In die Zukunft schauen und verdienen

Es ist ein Schlag ins Gesicht von Unternehmern, deren Fuhrparks gerade de facto eine Stilllegung droht, wenn nun Hersteller wie VW Nachrüstungen auf ihre Kosten ablehnen, weil sie angeblich nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft schauen würden. Man möchte also aus dem Versäumen, Versagen und Verschulden in der Vergangenheit gleich - quasi doppelt - in der Zukunft verdienen. Aktuell weltpolitisch ausgedrückt bedeutet dies auf peinliche Art und Weise "German Automobilindustrie (VW) first".

Kommt man nun auf die praktische Frage für Fuhrparks, was nun zu erwarten ist, so darf man wohl davon ausgehen, dass eine wirtschaftlich sinnvolle (Hardware-)Nachrüstung wohl nur für die rund sechs Millionen Euro-5-Diesel in absehbarer Zukunft ernsthaft in Frage kommen wird. Für Euro-4-Diesel wird es eine Wirtschaftlichkeitsberechnung im Einzelfall erfordern.

Flickenteppich deutscher Regelungen

Die blaue Plakette ist bislang nicht wirklich in Sicht, wenn man Medienberichten glaubt. Damit wäre es aber möglich - wenigstens einheitlich planbar - Aussagen über generelle Fahrverbote bestimmter Fahrzeuge zu treffen. Stattdessen droht ein Flickenteppich deutscher Fahrverbotsregelungen mit jeweils unterschiedlichen Ausgestaltungen in den Städten.

Genau aus diesem Grund hatte man sich damals beim Thema Feinstaub für eine Plakettenlösung entschieden. So war und ist zumindest klar und deutlich geregelt - und dies im gesamten Bundesgebiet - wer wo und unter welchen Bedingungen bestimmte Bezirke nicht nutzen darf.

Nach jetzigem Diskussionsstand kann ein Mitarbeiter im bundesweiten Außendienst in absehbarer Zukunft ohne eine vorherige Recherche nicht davon ausgehen, auf seiner Fahrt von Nord nach Süd unbehelligt in alle Innenstädte einfahren zu dürfen, wenn er einen Diesel fährt, der nicht Euro-6-Standard aufweist. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in der jetzigen (Nicht-)Regelungssituation Fahrverbote nicht grundsätzlich ausgeschlossen hat, bleibt es somit dem umweltpolitischen Eifer der Kommunen überlassen, wie sie ihre Anwohner vor welchen Fahrzeugen zu schützen gedenken.

Die neue Bundesregierung hat zwar angekündigt, angesichts einer derartigen Regelungszersplitterung die Einführung einer blauen Plakette zu "prüfen" (SZ vom 1. März, Seite 15:"Ratlosigkeit nach dem Urteil") - nur bleibt die Angst, dem Wähler gegenübertreten zu müssen und Millionen von Autofahrern zu sagen, dass ihre Autos damit im Nutzen eingeschränkt und im Wert verringert werden. Das legt die Vermutung weiterer politischer Untätigkeit nahe.

Maßnahmen seit acht Jahren gefordert

In seiner Entscheidung vom 27. Februar 2018 (Aktenzeichen 7 C 26.16 zu VG Düsseldorf und Aktenzeichen 7 C 30.17 zu VG Stuttgart) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Dieselfahrverbote im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in besonders belasteten Stadtbereichen zulässig sind. Das EU-Recht verpflichtet dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NO2 so kurz wie möglich zu halten. Allein diese Aussagen machen deutlich, dass die Verantwortlichen in Deutschland bislang schon seit nunmehr acht Jahren in der Pflicht sind und dass das nun drohende Szenario keineswegs überraschend und unvorhersehbar über Deutschland und die Städte hereinbricht.

Anders als die erstinstanzlichen Gerichte vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung, dass zur Umsetzung dieser Verpflichtung das notwendige Instrumentarium für die Ausschilderung von Fahrverboten im nationalen Recht nicht vorhanden ist.

Weil aber allein die StVO die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge ermögliche, wäre eine entsprechende Ausschilderung durch die Städte nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtswidrig, auch wenn das Gericht zu erkennen gibt, dass eine Kontrolle bei einer "Plakettenregelung" erleichtert wäre.

Signalwirkung für andere Städte

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts führt zwar für Dieselfahrzeuge nicht unmittelbar zu einer Sperrung bestimmter Bereiche in Düsseldorf und Stuttgart. Allerdings sind die Luftreinhaltepläne nun entsprechend fortzuschreiben und es besteht eine unbestreitbare Signalwirkung für andere Städte bundesweit.

So hat Hamburg sofort als erste Stadt Fahrverbote und Sperrungen einzelner Straßen bereits für das Frühjahr 2018 angekündigt. Auch die im Urteil genannten Städte Düsseldorf und Stuttgart werden nun zwangsweise in den Luftreinhalteplänen entsprechende Maßnahmen - auch Fahrverbotslösungen - vorsehen müssen.

Allerdings werden in Nordrhein-Westfalen generelle Dieseleinfahrtsverbote als letzte aller möglichen Maßnahmen betrachtet. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch deutlich gemacht, dass beim Erlass eines Dieselfahrverbots sicherzustellen ist, dass der auch im EU-Recht geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Daher hat es angeregt, erst zum 1. September 2019 für die jüngeren Modelle unter den veralteten Dieseln (Euro-5-Norm) Fahrverbote in Stuttgart zu verhängen.

Von dem diskutierten Szenario betroffen sind derzeit wohl weiter die Städte Berlin, Köln, München, Dortmund, Essen, Frankfurt, Mainz, Mannheim und Nürnberg.

Besonders verwirrend ist dabei die Frage, welche Fahrzeuge überhaupt betroffen sein werden. Soweit zur Umsetzung von Fahrverboten nicht doch eine bundeseinheitliche Kennzeichnung (blaue Plakette) eingeführt wird, kann und muss jede Gemeinde selbst entscheiden, welche Fahrzeuge davon umfasst sein sollen.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass es zur Wirksamkeit etwaiger Sperrmaßnahmen derzeit wahrscheinlich alle Dieselfahrzeuge unterhalb der aktuellen Euro-6-Norm treffen wird. Ob eine Nachrüstung dieser Fahrzeuge überhaupt dazu führen könnte, Einschränkungen zu vermeiden, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dagegen nicht beantwortet.

Was die notwendige Beschilderung anbelangt, so wird die Verwendung des Umweltzonenzeichens mit einem Zusatzzeichen, etwa"keine Diesel mit Ausnahme Euro 6", wohl nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Das Gericht sieht den Sinn seiner Entscheidung in der Hauptsache nämlich eher in kleinteiligen Sperrungen. Ob es dabei bedacht hat, dass dann der Verkehr lediglich verlagert wird und die belastete Luft nicht verbessert, sondern nur auf andere Gebiete (mit-)verteilt wird, ist nicht ersichtlich.

Denkbar ist auch die Verwendung des Zeichens 250 StVO mit Zusatzzeichen, etwa "gilt für Diesel mit Ausnahme Euro 6". Völlig offen ist in der Auslegungsdiskussion die Frage der Überprüfbarkeit. Wiederum bezogen auf Fuhrparks und Unternehmer bleibt im Augenblick nur als Hoffnungsschimmer am Horizont festzuhalten, dass es Ausnahmeregelungen geben muss.

Bereits aus der Diskussion um die Rußfilter weiß man, dass Fahrverbote auch als ein Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich eines eingerichteten Gewerbebetriebes angesehen werden müssen. Die Folge waren und werden wieder zahlreiche Ausnahmeregelungen für Anwohner, das Handwerk und versorgende Betriebe sein. Auf der Strecke werden bei der im Augenblick unklaren Situation Millionen von Pendlern bleiben. Zu diesen Betroffenen werden auch die Fuhrparks gehören, die dann nicht zeitnah ihre Fahrzeugbestände angepasst haben.

Dennoch sollte von Panikreaktionen abgesehen werden. Deutlich wird aber immer mehr, dass sich Autofahrer und Unternehmen nicht auf eine kontinuierliche und planvoll lenkende Verkehrspolitik werden verlassen können. Zukunftsfürsorge ist zu einer ureigenen Unternehmsaufgabe geworden. Fuhrparkverantwortliche müssen in diesen Zeiten neben der Verwaltung von Ausstattungswünschen und Hierarchie-Vorgaben auch vorausschauende umweltrelevante Planungen bei der Ausrichtung des Fuhrparks beachten. Die Frage des Status eines Dienstwagens wird hinter der Frage nach der Umweltverträglichkeit und der Sicherung der Mobilität auf Dauer zurückzutreten haben.

Ganz ohne eine aktive, mutige Verkehrspolitik der Regierung wird dies aber nicht gehen. Ein weiteres Wegducken vor der Verantwortung wird der Wirtschaft und dem Standort Deutschland nachhaltig schaden. Und: Fahrverbote sind wirklich nur die zweitbeste Lösung des Problems.

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