Die Elektromobilität wird immer normaler. Diese Aussage klingt mehr nach Binsenweisheit als nach bahnbrechender Erkenntnis. Doch es lohnt ein zweiter Blick auf die neuen Stromer. Waren bisher SUV Trumpf, um das Gewicht und die Bauhöhe der Akkus zu kaschieren, kommen jetzt E-Cabrios und Elektrolimousinen in Mode. Vor allem bei den Reise-Pkw, gemacht für die Langstrecke, besinnt man sich aktuell der Stromlinienformen der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, um damit mehr Strecke aus den Energiespeichern zu quetschen und der Reichweitenangst den Garaus zu machen. Der Hyundai Ioniq 6 ist so ein Vertreter dieses Genres, VW zieht mit dem ID.7 jetzt nach.
VW ID.7 Abnahmefahrten
BildergalerieHyundai Ioniq 6 und VW ID.7: Brüder im Geiste
Wenn man den Koreaner und den Niedersachsen nebeneinanderstellt, könnten das durchaus Brüder sein. Beide haben eine coupéhafte Silhouette samt abflachender Dachlinie, allerdings hat der Hyundai einen sehr auffälligen Spoiler am Heck, beim VW zeichnet sich unter dem noch mit Tarnfolierung beklebten Heck kein Bürzel ab. Das Konzept, den Luftstrom möglichst widerstandsarm an der Karosserie entlangzuführen, eint die beiden Kontrahenten. Der Ioniq 6 hat einen Cw-Wert von 0,21, der mit 4,97 Meter immens lange VW ID.7 schafft immerhin 0,23. Beim Anblick des Profils des ID.7 befürchtet man, dass klaustrophobische Fondpassagiere nur mit gesenktem Kopf Platz nehmen. Doch die Angst ist unbegründet. Auch Menschen jenseits der 1,85 Meter Körpergröße freuen sich über genug Luft über dem Haupt. Die Beinfreiheit ist bei einem Radstand von 2,97 Metern ohnehin kein Thema. Damit das Gepäck auch mitkommt, hat der Kofferraum bereits in seiner Basiskonfiguration ein Volumen von 532 Litern – kein Kunststück, bei den Abmessungen.
Wer schon mal in einem VW ID. gesessen hat, findet sich in der Nummer sieben schnell zurecht. Ein auf 15 Zoll gewachsener Touchscreen bildet das Zentrum des Infotainments, ergänzt von einem schmalen digitalen Anzeigeband hinter dem Lenkrad, das den Fahrer im Zusammenspiel mit einem Head-up-Display inklusive Augmented Reality mit allen nötigen Informationen versorgt. Das Innenraum-Ambiente des ID.7 ist gegenüber dem VW ID.3, dem Erstlingswerk, sicht- und fühlbar hochwertiger. Der obere Bereich des Armaturenbretts ist mit „Leder“ überzogen und mit den fast unsichtbaren Luftausströmern der intelligenten Klimaanlage weht ein Hauch Phaeton und damit Luxus durch den ID.7. Die Bedienung vom Infotainmentsystem ist eingängiger als bisher und viele der Symbole sind selbsterklärend. Die Software-Designer haben sich offenbar auf Bewährtes besonnen und eine Leiste mit Symbolen in das Infotainment integriert, mit der man direkt auf wichtige Funktionen wie die Navigation, die Assistenzsysteme oder die Fahrzeugdaten zugreifen kann. Allerdings sind auch hier die Kacheln relativ klein, sodass man immer kurz nach unten schauen muss, um die richtige Aktion zu starten. Auch bei der Klimaanlage gibt eine direkte Zugriffsebene genauso wie für die Lautstärkeregelung. Die wird über die aus den anderen ID-Modellen bekannten „Regenrinne“ geregelt, was nicht immer auf Anhieb klappt.
VW ID.7: gute Sitzposition, komfortables Fahrwerk
Eine gute Sitzposition ist hingegen schnell gefunden und bereits nach wenigen Kilometern ist klar, dass bei der Abstimmung des Fahrwerks die Prämisse, einen Elektro-Passat zu kreieren, ganz oben im Lastenheft stand. Der ID.7 federt komfortabel. So verlieren auch lange Strecken trotz der 20-Zoll-Räder ihren Schrecken. Und selbst im Sport-Fahrmodus filtern die Dämpfer die Straßenunebenheiten ziemlich zuverlässig weg, allerdings wippt auch in diesem Fahrprogramm die Karosserie ganz leicht nach. Die Progressivlenkung ist nicht übermäßig sportlich ausgelegt, meldet aber zuverlässig, wie es um die Traktion bestellt ist.
Allerdings schränken beim Einlenken bisweilen die schräg stehenden A-Säulen das Blickfeld ein, eine Konsequenz des geringen Luftwiderstandes. Immerhin geht es Innenraum des ID.7 so ruhig zu, sodass man Unterhaltungen auch mit leiser Stimme problemlos führen kann. Bei der Rekuperation bietet der VW nur eine Stufe, indem man den Lenkrad-Automatikhebel auf B dreht. Nicht ganz so angetan sind wir von der Bremse, die ihren Job solide erledigt, aber einen exakteren Druckpunkt haben und so dosierbarer sein könnte. Zudem könnten die Unterschiede zwischen den Fahrprogramme Eco, Comfort und Sport ausgeprägter sein. Unterm Strich lässt sich der VW ID.7 unaufgeregt bewegen, was zum Konzept eines Langstreckenfahrzeugs passt.
VW ID.7 mit Akkukapazität von bis zu 85 kWh (netto)
Apropos Langstrecke: Bei den Akkus tut sich ebenfalls etwas. VW bietet zwei Varianten an: Der ID.7 Pro kommt im Herbst auf den Markt, hat eine Batteriekapazität von der 82-Kilowattstundenbatterie (netto 77 kWh) und bei ID.7 Pro S-Variante, die etwas später beim Händler steht, sind es 91 kWh (85 kWh netto). Wir sind mit den kleinen Energiespeichern unterwegs und hatten bei Ende unserer Testfahrt einen Batterieladestand von 42 Prozent sowie einer Restreichweite von 193 Kilometern. Nach Adam Riese und per Dreisatz ergäbe dies hochgerechnet rund 460 Kilometer. Beim Verbrauch hält sich VW noch bedeckt, aber die Maximal-WLTP-Reichweiten sollen 615 Kilometer (mit den 82 kWh-Akkus) beziehungsweise 700 Kilometer betragen. Beim Laden haben die VW-Ingenieure beim MEB Evo eine wichtige Scharte ausgewetzt. Selbst für Architekturen mit 400-Volt-Technik war der MEB nicht in der Spitzengruppe unterwegs. Das ändert sich jetzt. Die ID.7 laden mit maximal 170 kW und die Pro-Versionen schaffen nominell sogar bis zu 200 kW Ladeleistung.
Im Hightech-Wettlauf der Elektromobilität ist VWs Modularer E-Antriebs-Baukasten technologisch ins Hintertreffen geraten. Mit dem ID.7 holt der Wolfsburger Autobauer wieder auf. Das geht schon beim Motor los, bei dem die Leistungsspirale bisher bei 150 kW / 204 PS endete. Wir sind mit der neuen „großen“ Maschine mit 286 PS und einem Drehmoment von 545 Newtonmetern unterwegs, also nominell deutlich weniger als die Konkurrenz, aber mehr als genug, um mit dem Elektro-Passat flott unterwegs zu sein. Die neue E-Maschine hat einen Rotor und ist mit einem stärkeren sowie hitzebeständigeren Magneten bestückt. Die Kupferdrähte haben einen größeren Durchmesser und die Anzahl der Windungen ist gestiegen. Die Kühlung erfolgt durch eine neue, kombinierte Öl- und Wasserkühlung sowie ein Wasserkühlmantel an der Statoraußenseite. So ist mehr Leistung des Elektromotors über einen längeren Zeitraum möglich. Um die Effizienz zu steigern, haben die Niedersachsen auch den Pulswechselrichter neu entwickelt.