Von Michael Specht/sp-x
In der öffentlichen Wahrnehmung mag McLaren im Windschatten von Ferrari, Lamborghini und erst recht von Porsche fahren. Die Chance, einen C12 oder 570S neben sich an der Ampel stehen zu haben, ist extrem gering. Und wenn, würde die meisten Autofahrer gar nicht erkennen, wer ihnen soeben die Auspuffrohre gezeigt hat.
Doch die Sportwagen-Schmiede aus Woking in der englischen Grafschaft Surrey hat sich in wenigen Jahren zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen und zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten gegenüber etablierten Mitbewerbern gemausert. Aus der Montagehalle rollen nicht nur Boliden, die in der Szene als technisch äußerst hochwertig gelten, sondern McLaren schreibt seit 2013 – drei Jahre nach Firmengründung – fortlaufend Gewinne.
Viele verbinden die Marke McLaren hauptsächlich mit der Formel 1 und ihrem Designer Gordon Murray. McLaren war es, das 1981 als erstes Kohlefaser für seine Rennfahrzeuge einsetzte. 1993 basierte auch erstmals ein Serienfahrzeug von McLaren auf einem Karbon-Monocoque. Der F1 war damals der teuerste und schnellste Seriensportwagen der Welt und heute eine gesuchte Ikone, für die siebenstellige Beträge gezahlt werden.
Eigenes Technologiezentrum
"Jedes weitere, bis heute von McLaren Automotive gebaute Fahrzeug trägt ein Chassis aus Karbon", sagt Vorstandschef Mike Flewitt. Mittlerweile überlässt man die Produktion der Karbon-Struktur nicht mehr den Spezialisten von Mubea, sondern will diese Arbeiten selbst übernehmen. Hierzu hat McLaren ein eigenes Technologiezentrum gegründet und sich mit der Universität von Sheffield und deren Advanced Manufacturing Research Centre (AMCR) zusammengeschlossen. Pro Jahr sollen so rund zwölf Millionen Euro eingespart werden.
McLaren 720S
BildergalerieFahrzeuge ohne Karbon-Monocoque wird es bei McLaren nicht geben. Jüngster Vertreter dieser Maxime ist der 720S, der kurz vor seiner Markteinführung steht. Der 720 PS starke Sportwagen löst erstmals in der Geschichte von McLaren eine Vorgänger-Generation – intern P11 genannt – ab. Gleichzeitig bildet er den Auftakt zu diversen Derivaten der neuen Generation der Super Series Modelle (P14). Genaue Jahreszahlen, wann welche Varianten auf den Markt kommen, nennt McLaren nicht. "Wir sind sehr flexibel und passen uns da ganz unseren Kundenwünschen an", sagt Jolyon Nash, zuständig für Global Marketing und Vertrieb. Feststehen dürfte, dass es erneut vom 720S ein Spyder, eine erleichterte LT- sowie eine noch sportlicherer C-Version geben wird.
Die Nachfrage nach dieser Art von Sportwagen ist ungebrochen groß. Über 10.000 McLaren haben die Werkshallen in Woking bereits verlassen, die meisten in Richtung USA. Seit vorigem Jahr wird sogar in zwei Schichten gearbeitet. Absatz und Umsatz dürften weiter nach oben gehen. Dies zeigen unter anderem die Bestellungen, die für den 720S allein bei seiner Messe-Premiere im März in Genf eingingen. Rund 400 Autos wurden laut Jolyon Nash vom Stand weg verkauft. Im Folgemonat April sollen über 1.000 Orders in der Firmenzentrale eingetroffen sein. Wer sich heute zu einem 720S entschließt, muss mindestens ein Jahr auf dessen Auslieferung warten.
BP23-Serienproduktion soll ab 2019 starten
Noch viel abgefahrener sieht die Situation beim BP23 aus, dessen Serienproduktion ab 2019 starten soll. Die limitierte Edition von 106 Exemplaren ist ausverkauft, zum Stückpreis von 1,6 Millionen Pfund plus Steuer. BP steht für "Bespoke Project" und ist eine Hommage an den F1, der ebenfalls auf 106 Einheiten limitiert war. Hinter der Zahl 23 stecken das "2. Projekt" und die "Drei-Sitz-Konfiguration", wie sie schon der F1 hatte. McLaren selbst nennt den BP23 "Hyper-GT". Er soll das "aerodynamisch optimierte Straßenfahrzeug überhaupt" werden. Der Supersportler entsteht in Handarbeit bei der MSO, der Abteilung McLaren Special Operations, und gehört zur Ultimate Series Produktfamilie. MSO gliedert sich in fünf Dienstleistungsstufen. Sie reichen von Individualisierungswünschen des Kunden bis zum Heritage-F1-Service sowie der Rennbetreuung.
Vergangenes Jahr legte McLaren seinen sogenannten Track22 fest. Dieser Geschäftsplan sieht vor, dass das Unternehmen eine Milliarde Britische Pfund in Forschung und Entwicklung investieren wird und 15 neue Modelle oder Derivate bis Ende 2022 einführt. "Wir planen, dabei auch antriebsseitig neue Wege zu gehen", sagt Chef-Ingenieur Emilio Scervo, ein ehemaliger Ferrari-Mann aus Maranello, "gut die Hälfte unserer Produkte wird über modernste Hybrid-Technologien verfügen."