Von Michael Specht/SP-X
Wer auch immer bei Renault für das Projekt Alpine das "Go!" gegeben hat, die Liebhaber der Marke dürften ihm ewig danken – und neue Kunden wohl auch. Worte wie "Hommage" und "Legende" nehmen Autobauer ja allzu gern in den Mund, wenn es um die Neuauflage eines historischen Modells geht. Doch bei der Realisierung trennt sich schnell die Spreu vom Weizen. Bisweilen wirkt das Produkt, man denke an den Chrysler PT Cruiser, sogar peinlich.
Nicht so bei Alpine. Hier scheinen Leidenschaft und Fingerspitzengefühl mit der Automobilgeschichte eine optimale Symbiose eingegangen zu sein. Ansonsten wäre da nicht solch ein Fahrzeug wie die A110 herausgekommen. Kenner der Szene kriegen bereits bei dem Kürzel eine Gänsehaut. Die Original-Alpine A110 zählte, obwohl in 15 Jahren nur rund 7.000 Mal gebaut, zu den berühmtesten Sportwagen überhaupt, klein, knuffig, leicht, agil, schnell, puristisch – und obendrein mit sympathisch-frechem Aussehen. Den Mythos hat nicht zuletzt der Motorsport beflügelt. Die französische Flunder, nur 3,85 Meter kurz, driftete sich schnell in die Herzen der Fans, gewann 1971 und 1973 im Rallye-Trimm sogar die berühmte "Monte" und wurde 1973 zugleich Weltmeister. Wer heute eines jener historischen Exemplare besitzt, darf sich mehr als glücklich schätzen.
Nach fünf Tagen ausverkauft
Nun steht quasi der Enkel an der Startlinie, mit gleichem Namen wie einst. Er ist eine moderne Interpretation des Originals, stimmig im Design und in den Proportionen, nicht zu viel Retro, aber wesentliche Elemente beibehalten. Alles in allem wieder eine charismatische Erscheinung, die schon beim ersten Anblick fahren möchte. Wie sehr die neue A110 beim Publikum ankommt, zeigen die Bestelleingänge. Kurz nach der Weltpremiere im März auf dem Genfer Autosalon eröffnete Renault das Orderbuch für die sogenannte "Premiére Édition", eine auf 1.955 Exemplare limitierte Erstauflage für 48.739 Euro netto. "In nur fünf Tagen waren alle A110 verkauft" sagt Alpine-Geschäftsführer Michael van der Sande. Wer heute eine Alpine bestellt, muss bis mindestens 2019 warten.
Die Entwicklung der A110 begann auf einem weißen Blatt Papier. Ganz oben im Lastenheft stand "geringstes Gewicht in der Klasse", zweifellos eine Kernbotschaft für Sportwagen - die aber leider viel zu wenig Hersteller beherzigen - und eine Grundvoraussetzung für gute Agilität ist. Gleichzeitig sollte die volle Alltagstauglichkeit gewährleistet sein. All dies gelang den Alpine-Ingenieuren in einer sehr guten Ausprägung.
Das komplette Auto wiegt lediglich 1.103 Kilogramm. Die Karosserie besteht aus Aluminium, ebenso das Fahrwerk. Hinter den Sitzen arbeitet ein 1,8-Liter-Vierzylinder-Turbobenziner mit 185 kW / 252 PS in Kombination mit einem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. "Natürlich hätten wir mehr Leistung herausholen können", sagt Chef-Ingenieur David Twohig, "dies aber hätte größere Bremsen, einen größeren Kühler, größere Räder und letztlich mehr Gewicht bedeutet. Das wollten wir nicht."
Die Alpine ist auch mit 252 PS eine Fahrspaßmaschine wie sie im Buche steht. Handlich, direkt, leichtfüßig, aber nicht erkauft mit übertriebener Härte. Im Gegenteil, eben weil der Wagen so wenig Gewicht auf die Waage bringt, konnten die Entwickler auch die Federung weicher abstimmen. Äußerst präzise lässt sich die Alpine einlenken, folgt der Biegung stoisch und drückt sich am Ausgang der Kurve wunderbar mit dem Heck ab.
Eine leere Landstraßen gerät so zum bevorzugten Revier des nur 4,18 Meter kurzen Coupés. Die sieben Gänge, geschaltet ausschließlich über Aluminium-Wippen an der Lenksäule (ein Hebel auf der Mittelkonsole gibt es nicht), wechseln im Bruchteil einer Sekunde. Das kleine Lederlenkrad liegt griffig in der Hand, die Insassen umschießen perfekt ausgeformte Schalensitze. Sportfahrerherz, was willst Du mehr?
Präsenter Vierzylinder-Motor
Sogar einen Fahrmodus-Schalter gibt es. Gewählt werden kann zwischen Normal, Sport und Race. Richtung Sport stellt die Elektronik dann alles ein bisschen schärfer. Die Anzeigen im Display ändern sich, die Gänge drehen länger aus, das Gaspedal reagiert spontaner, das ESP lässt ein wenig Drift zu und aus dem Auspuff entweicht etwas mehr Lärm, den der "Alpinist" sicher als Ohrenschmaus empfindet. Zugutehalten muss man den Ingenieuren: Es gibt keinen künstlichen Soundverstärker, wie es bisweilen andere Hersteller machen.
Die Alpine klingt ehrlich nach Vierzylinder. Der Motor ist präsent, erreicht aber keinen Pegel, dass es nervt. Selbst eine längere Tour gerät nicht zur Tortur. Einzige Einschränkung könnte allenfalls die Gepäckkapazität sein. Bedingt durch die Mittelmotor-Konzeption gibt es zwei Kofferräume. Vorne passen 100 Liter, hinten 96 Liter hinein. Für zwei bis drei Reisetaschen reicht das allemal.
Hergestellt wird die Alpine A110 wie früher im französischen Dieppe. Im nächsten September soll die Produktion der "Premiére Édition" abgeschlossen sein. Dann beginnt der Bau der normalen Modelle. Sie haben etwas weniger Ausstattung, keine Schalensitze, andere Räder und werden rund 46.000 Euro netto kosten. Wer vor seiner Bestellung eine Probefahrt machen möchte, braucht allerdings Geduld und muss unter Umständen längere Wege in Kauf nehmen. Über Deutschland verteilen sich gerade einmal 13 Showrooms, in denen eine Alpine A110 steht.