_ Mit einem Paukenschlag hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Versicherern mit diesem neuen Urteil im Restwertstreit erneut den Wind aus den Segeln genommen. In der Autoflotte 02/2016 hatten wir noch darüber berichtet, ob Geschädigte im Sinne der Schadenminderungspflicht das Gutachten vor dem Restwertverkauf dem Versicherer vorlegen müssen, damit dieser den Restwert überbieten kann. Ja, sagte damals das OLG Köln (Urteil vom 16.7.2012, Az. 13 U 80/12) und brachte die Branche zu einem Aufschrei.
Der Grund dieses Wunsches liegt auf der Hand: je höher der Restwert, desto geringer die Höhe des Schadensersatzes, den der Versicherer leisten muss. Einige Gerichte folgten, doch die meisten - sogar ein anderer Senat des OLG Köln - lehnten diese Ansicht ab und sprachen sich gegen eine Vorlagepflicht aus. Zu Recht, sagt jetzt erneut der BGH mit seinem Urteil vom 27.9.2016 (Az. VI ZR 673/15).
Den Versicherern eine Absage erteilt
Der Kläger habe nach Ansicht des Gerichtes nicht deshalb gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen, weil er das Fahrzeug nur sieben Tage nach dem Unfall verkauft habe, ohne zuvor dem Beklagten noch Gelegenheit zu geben, ihm ein höheres Restwertangebot für das Fahrzeug nachzuweisen.
Wie so oft betont der Senat auch hier, dass der Geschädigte auf die Richtigkeit des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens vertrauen darf. Immer wieder, Jahr für Jahr, wird dieser Grundsatz von der Rechtsprechung betont. Und immer wieder, frei nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein", greifen die Versicherer die Restitutionshoheit der Geschädigten an.
Leitsätze des BGH
Der BGH hat seinen Standpunkt in konsequenter Fortführung seines Urteils vom 12.7.2005 (Az. VI ZR 132/04) mit folgenden Leitsätzen klar und deutlich gemacht und damit erneut die Rechte der Geschädigten gestärkt:
1. Der Geschädigte, der von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden wie im Streitfall nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, leistet bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen Genüge, wenn er die Veräußerung zu einem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Fortführung Senatsurteil vom 1.6.2010,Az. VI ZR 316/09, VersR 2010, 963, amtlicher Leitsatz).
2. Er ist weder unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots noch unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht dazu verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Auch ist er nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen (amtlicher Leitsatz).
Fazit
Das höchste Zivilgericht hat abermals bestätigt, dass ein Geschädigter sich auf die Restwertprognose des Sachverständigengutachtens verlassen darf, solange dieser korrekt den Restwert auf dem regionalen Markt ermittelt hat. Solange also kein höheres Restwertangebot seitens des Versicherers vorliegt, darf der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug verkaufen. Im selben Atemzug bestätigt der BGH auch, dass, anders als die Revision meint, auch der regionale Markt als Bezugspunkt für die Ermittlung des Restwerts durch die auf dem Gebrauchtwagenmarkt eingetretene Entwicklung und die - unterstellt - allgemeine Zugänglichkeit von Online-Gebrauchtwagenbörsen nicht überholt ist.
Und doch: Die Versicherer werden sich nicht geschlagen geben und den Kampf trotz verlorener Schlacht weiterführen.
- Ausgabe 01/02/2017 Seite 63 (115.4 KB, PDF)