_ Allein schon die Testfahrten werfen Fragen auf. Während in Amerika vergleichsweise unkompliziert getestet werden kann, muss zum Beispiel in Deutschland das Testfahrzeug beim Regierungspräsidium angemeldet werden. Die dann vom TÜV erteilte Testlizenz ist in der Regel mit verschiedenen Auflagen verbunden, etwa der, dass immer ein besonders geschulter Fahrer und Beifahrer im Auto sitzen muss, der kritische Fahrsituationen mit dem Fahrzeug beherrscht.
Während in den USA in erster Linie noch die Haftungsfragen geklärt werden müssen, steht in Deutschland der Verbreitung von autonomen Fahrzeugen vor allem das Verkehrsrecht im Weg. Die Bundesrepublik hat wie die meisten Länder auf der Welt - außer den USA - das Wiener Abkommen 1968 unterschrieben (siehe Infokasten rechts). Dieses sieht bislang vor, dass der Fahrer stets die Verantwortung für das Fahrzeug trägt.
Er bleibt der Fahrzeugführer und muss quasi immer die Hände am Lenkrad haben. Anders ausgedrückt: Auf der Grundlage des Wiener Abkommens ist voll autonomes Fahren kategorisch ausgeschlossen. Allerdings wurde bereits im letzten Jahr das Abkommen dahingehend geändert, dass es möglich sein wird, einem Assistenzsystem die Fahrverantwortung unter der ständigen Kontrolle eines anwesenden Fahrers zu überlassen.
Ergänzter Regelkatalog
Ein Expertenausschuss der Vereinten Nationen hat dazu im Mai 2014 den Regelkatalog für den Straßenverkehr ergänzt. Danach sind "Systeme, mit denen ein Pkw autonom fährt, zulässig, wenn sie jederzeit vom Fahrer gestoppt werden können." Gemäß Bundesverkehrsministerium (BMVI) erhalten mit Einführung des neuen "Artikel 8 Paragraph 5" zahlreiche bereits bestehende Fahrerassistenzsysteme den seit langem erforderlichen internationalen Rechtsrahmen. Damit sei es rechtlich zulässig, zuverlässige technische Systeme zur Assistenz in den Fahrvorgang einzubinden. Allerdings steht die Umsetzung noch aus. Testfahrten sind derzeit möglich.
Aber was bedeutet das autonome Fahren für die Praxis, wie sollen ethische und rechtliche Probleme gelöst werden?
Wertungsfragen: Wer wird geschützt?
Derzeit hat der Fahrer in eigener und alleiniger Verantwortung in jedweder Verkehrssituation die Entscheidungspflicht. Wenn zukünftig die Elektronik des autonomen Fahrzeugs entscheiden muss, ob sie den Wagen lieber in den Straßengraben fahren lässt oder einen Fußgänger anfährt oder ob ein Radfahrer "schützenswerter" als ein bloß abgestelltes Fahrrad ist, dann zeigt sich, dass zum einen diese situativen "Wertungsfragen" technisch programmiert werden müssen - zum anderen aber der juristische Rahmen geklärt werden muss.
Anders formuliert: Wer ist verantwortlich: der Fahrer (so wie bisher gemäß Wiener Abkommen)? Oder der Fahrzeughersteller? Und welche Verantwortung trägt der Provider, der dem autonomen Fahrzeug die (vielleicht fehlerhaften) Daten liefert?
Computerlesbare Strecken
Ganz am Rande darf nicht übersehen werden, dass das autonome Fahren einer optimierten Infrastruktur bedarf und nur dort technisch funktioniert, wo die Fahrspuren nicht verblasst und Baustellen richtig gekennzeichnet sind. Erforderlich sind computerlesbare Strecken. Damit beantwortet sich die Frage nach der flächendeckenden Einführbarkeit bei derzeitiger Haushaltslage der Straßenbaulastträger auf absehbare Zeit eigentlich von selbst.
Klärungsbedarf besteht auch hinsichtlich einzelner ECE-Regelungen wie ECE-Regel 79 (Lenkanlagen). Problematisch sind die elektronische Übertragung des Lenksignals und die entsprechende Standardisierung der erforderlichen Datenprotokolle. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der Hauptverantwortung: Soll der Fahrer die zum Teil von außerhalb des Fahrzeugs kommenden Lenkimpulse übersteuern können und wer trägt dann die Hauptverantwortung?
Immerhin geht es um Systeme, mit deren Hilfe die Lenkung durch externe Signale gesteuert werden kann, wie etwa Baken am Straßenrand und/oder andere aktive Elemente in der Straßendecke.
Unser bisheriges Haftungsrecht (Regelungen der Gefährdungshaftung) bedarf einer Änderung. Derzeit haftet der Halter nach § 7 StVG verschuldensunabhängig für Schäden, die beim oder durch den Betrieb seines Fahrzeugs entstehen. Eine Ausnahme von dieser generellen Halterhaftung sieht § 7 Abs. 2 StVG nur für den Fall höherer Gewalt vor.
Haftungsfragen ungeklärt
Übertragen auf autonome Fahrzeuge würde dies bedeuten, dass der Halter etwa keinen Einfluss auf eine Fehlfunktion des "autonomen Systems" und den daraus resultierenden Schaden hatte. Dies klingt vernünftig, ist aber bei bestehender Rechtslage nicht so. Der Fahrzeughalter haftet derzeit stets auch für die "Betriebsgefahr", die von seinem (autonomen) Fahrzeug ausgeht; somit auch für Fehler der Fahrzeug- und Assistenzsysteme.
Auch die Produkthaftung birgt Fragen. Ähnlich wie bei der Gefährdungshaftung des Verkehrsrechts muss der Hersteller einer Sache im Rahmen der Produkthaftung für das bloße Auftreten von Fehlern einstehen.
Es kommt bei der Produkthaftung ebenfalls nicht auf ein Verschulden an. Es geht um Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler. Es bedarf nur wenig Phantasie, um sich mögliche Schadenszenarien im Zusammenhang mit einem autonomen Kraftfahrzeug vorzustellen ...
Überwachend tätig sein
Allein das zuvor Gesagte macht deutlich, dass die anstehenden rechtlichen Fragen eines autonomen Fahrbetriebs unter Echtbedingungen nicht einmal Ansatzweise geklärt sind. Kongresse, Arbeitsgruppen und Forschungsarbeiten können daran nichts ändern. Die derzeit geltenden rechtlichen Regelungen und Richtlinien erlauben nur Assistenzsysteme und bestenfalls teilautonome Lösungen. Bei allen denkbaren Konstellationen ist entscheidend, dass der Fahrzeugführer jederzeit überwachend tätig ist und die Steuerung selbst übernehmen kann. Zulässig sind also der Parkassistent, der Stauassistent, Spur- und Abstandshaltesysteme oder Notbremsassistenten. Mehr aber nicht.
Die in den Medien gezeigten Bilder von Passagieren, die abgewandt von der Fahrtrichtung Gesellschaftsspielen nachgehen oder Zeitung lesen, sind bislang und wohl auch noch für längere Zeit ein bloßer Traum. Und überhaupt, welchen Sinn würde ein "autonomes Fahren" machen, wenn der Fahrer zwar nicht aktiv fahren, aber trotzdem den Verkehr und sein Fahrzeug ständig überwachen muss. Der Nutzen wäre kaum messbar.
Ein hochkomplexer autonomer Fahrbetrieb mit einer autonomen (nicht dauernd vom Fahrer erforderlichen) Überwachung des Quer- und Längsverkehrs ist nicht zulässig; ganz zu schweigen von voll automatisiertem Fahren. Google im US-Bundesstaat Nevada ist ein Traum und eine Ausnahme. Für einen weltweiten Einsatz müssten allein die Produkthaftungsregelungen der Kontinente angepasst werden, und dies dürfte wahrscheinlich länger dauern als die gesamte Entwicklung.
Wiener Abkommen 1968
(Auszug aus der bisherigen Fassung)
_ Art. 8 (Führer)1. Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben.5. Jeder Führer muss dauernd sein Fahrzeug beherrschen oder seine Tiere führen können.6. Der Führer eines Fahrzeugs muss alle anderen Tätigkeiten als das Führen seines Fahrzeugs vermeiden. Die innerstaatlichen Rechtsvorschriften sollten Bestimmungen zur Benutzung von Telefonen durch die Fahrzeugführer vorsehen. In jedem Fall müssen sie die Benutzung von Telefonen ohne Freisprecheinrichtung durch Führer eines sich in Bewegung befindlichen Motorfahrzeugs oder Motorfahrrads verbieten.Art. 13 (Geschwindigkeit und Abstand zwischen Fahrzeugen)1. Jeder Fahrzeugführer muss unter allen Umständen sein Fahrzeug beherrschen, um den Sorgfaltspflichten genügen zu können und um ständig in der Lage zu sein, alle ihm obliegenden Fahrbewegungen auszuführen. Er muss bei der Wahl der Geschwindigkeit seines Fahrzeugs ständig die Umstände berücksichtigen, insbesondere die örtlichen Verhältnisse, den Straßenzustand, den Zustand und die Beladung seines Fahrzeugs, die Witterungsverhältnisse und die Dichte des Verkehrs, um innerhalb der nach vorn übersehbaren Strecke und vor jedem vorhersehbaren Hindernis sein Fahrzeug anhalten zu können. Er muss langsamer fahren und, wenn nötig, anhalten, sobald die Umstände es verlangen, namentlich wenn die Sicht nicht gut ist.
- Ausgabe 07/2015 Seite 56 (517.1 KB, PDF)