Von Michael Blumenstein und Rocco Swantusch
Mit "Gateway" will der Schadenmanager Innovation Group das Tor zum "letzten nicht digitalen Prozess im Leben eines Leasingfahrzeugs" aufstoßen. Über die neu entwickelte Plattform wurden zu Jahresanfang die ersten Aufträge vermittelt. "Zusammen mit einem großen Flottenkunden beginnen wir den Test der Alltagstauglichkeit und legen den Fokus auf den wichtigsten Prozessteilnehmer – den Fahrer, wir analysieren die Reaktionen auf Live-Updates und dessen Feedback über eine Zufriedenheitsabfrage", beschrieb Deutschlandchef Matthew Whittall die Herausforderung. Dann kam Corona. Im Interview mit Autoflotte erklärt Whittall zusammen mit Markus Stumpp, Managing Director Fleet & Mobility, wie es mit der Digitalisierung weitergeht.
Dem Start von Gateway kamen nun die Kontaktbeschränkungen entgegen. Wie lief das Geschäft in den Werkstätten in den vergangenen Wochen?
Matthew Whittall: Im vergangenen Jahr und bis zum Anfang dieses Jahres hatten die meisten guten K&L-Betriebe ein oder zwei Wochen Vorlauf, also eine sehr hohe Auslastung. Als dann die Maßnahmen starteten, dachten wir, dass es in diesem Jahr vielleicht nur noch 20 Prozent Geschäft geben könnte. Aber es kam anders. Der Tiefstand lag etwa bei 50 Prozent, aber es gab eben auch noch Altaufträge abzuarbeiten. Seit Ostern steigen die Stückzahlen wieder, so dass wir wieder bei über 80 Prozent Auslastung in den Werkstätten sind.
Die Corona-Krise war also auch eine Chance?
Markus Stumpp: Ja, auch für uns übrigens. Da der Cashflow extrem wichtig ist, haben auch wir geschaut, wie können wir Dinge intern beschleunigen. Das half auch uns, besser zu werden.
Neu lernen musste man auch das zusätzliche Reinigen nach den neuen Hygienevorgaben. Wie läuft das?
M. Whittall: Hier haben wir eine Corona-Prämie entwickelt, die bei allen Versicherungs- und Flottenkunden greift, damit die Werkstätten den Mehraufwand erstattet bekommen.
M. Stumpp: Was auch sehr gut angenommen wurde seitens unserer rund 180 Flottenkunden, war der kostenlose Hol- und Bringservice, so dass ich nicht das Haus verlassen muss, um das Auto zur Werkstatt zu bringen. Und ich weiß, dass es desinfiziert zurückkommt.
Schadensentwicklung
Wenn der Wagen zurückkommt, ist der Schaden gerichtet. Wie haben sich die Kosten für die Schäden in den letzten Jahren entwickelt?
M. Whittall: Da haben wir in den vergangenen fünf Jahren eine extreme Entwicklung erlebt. Die Premiummarken sind dabei prozentual zwar weniger stark gestiegen, aber generell kannten die Ersatzteilpreis in den vergangenen Jahren nur eine Richtung. Nach oben.
Können Sie uns die Rechnung einmal aufdröseln?
M. Stumpp: Der Kostentreiber in der Reparatur war in den vergangenen fünf Jahren der Ersatzteilmarkt. Hier stiegen die Preise um vier bis fünf Prozent pro Jahr. Das ging auf Kosten der Marge des Reparaturbetriebes.
Was machen die Großschäden insgesamt?
M. Whittall: Wir haben im Vergleich zu vor zehn Jahren deutlich weniger Großschäden. Vermeintlich einfache Helfer wie ESP oder ABS haben da einen hohen Anteil an dieser Entwicklung. Aber die Autos werden länger und breiter, deshalb würde ich sagen: Alle Ecken sind gefährdet.
Parkrempler werden sicherlich nie aussterben. Was ist allgemein über Schäden bei modernen Flottenfahrzeugen zu sagen?
M. Stumpp: Hier geht die Schadenhäufigkeit zurück. Das liegt sicherlich auch an den neuesten Assistenzsystemen und zahlreichen Geschwindigkeitsbegrenzungen, aber alle Ursachen kennen auch wir nicht. Aber wenn wir heute einen Neukunden mit sagen wir 1.000 Fahrzeugen haben, dann war es früher leichter vorherzusagen, wie viele Schäden der Fahrzeuge in der Werkstatt landen werden. Meist lagen wir bei zirka 60 bis 70 Prozent im Mittel, heute lässt sich das kaum noch vorhersagen, Fahrprofile, aber auch Fahrzeugtypen haben großen Einfluss auf die Schadenhäufigkeiten.
Steuern die Flotten selbst dagegen an, indem sie im Rahmen von Risk Management eigene Fahrer-Trainings initiieren?
M. Stumpp: Das ist in Deutschland immer noch ein schwieriges Thema. Denn sobald man was am Fahrstil des einzelnen ändern möchte, ist man vorher in der personenbezogenen Datenauswahl. Und was der Datenschutz in Deutschland bedeutet, das kennen wir aus vielen Bereichen. An dieser Schwelle scheitert dieser Präventionsansatz oftmals immer noch.
M. Whittall: Hier greift interessanterweise auch die berühmte 80:20-Regel. Die „quick wins“, also die schnellen Ergebnisse, sieht man hier bei jenen 20 Prozent der Fahrer, die gegenüber den anderen 80 Prozent für deutlich mehr Schäden sorgen.
Wenn die Schadenhäufigkeit sinkt, wie verdient dann die Innovation Group ihr Geld?
M. Whittall: Der Markt wächst sicherlich kaum, so dass es eher einen Verdrängungswettbewerb gibt, deshalb muss man sich wandeln, so wie wir es mit Gateway tun. Denn unabhängig von der Reparatur steckt im detaillierten, digitalen und aktuellen Schadenprozess sehr viel Potenzial. Kauf und Verkauf eines Fahrzeugs sind planbar, wie auch die Wartungstermine, aber was in der Zwischenzeit mit dem Fahrzeug passiert, das muss der Flottenmanager mit den Daten managen, die er parat hat. Der Schaden ist, wenn man so will, hierbei der letzte „messy process“, der letzte nicht digitale Prozess, in dieser Kette.
Digitalisierte Prozesse
Abschleppwagen, Smart Repair oder Instandsetzung, Werkstattersatzwagen, Rechnungsfreigabe …. der Prozess nach einem Unfall ist eben auch sehr individuell. Was ist ihre Vision dafür?
M. Whittall: Der Prozess ist recht heterogen. Es wird sich aber auch hier bald alles auf dem Smartphone abspielen. Viele Daten haben wir bereits vorab, die wir mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz nutzen, um die Abfragen so einfach wie möglich zu gestalten. Dann sinkt auch die Hemmschwelle des Fahrers, nach dem Unfall per Handy den Schaden detailliert zu dokumentieren.
Digitalisierung wird vielerorts als Lerneffekt der aktuellen Situation gesehen. Würden Sie dem zustimmen?
M. Whittall: Keine Frage. Das trifft unter anderem auch auf uns selbst zu. Es gab immer Pläne, den Papierbedarf zu senken. Richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema erst mit Corona. Und so wird es vielen gehen.
M. Stumpp: Die Reise endet ja nicht bei der Eingabe des Schadens via Smartphone. Vielmehr beginnt damit erst die "Customer Journey", auf der der Kunde jeden Schritt verfolgen und eingreifen kann.
Bevor es der Flottenkunde nutzt, muss die Werkstatt die Voraussetzungen schaffen. Wie lang läuft die Digitalisierung des Netzwerkes schon?
M. Whittall: Wir haben vor gut fünf Jahren angefangen, die Werkstätten zu digitalisieren. Während dieses Prozesses haben beiden Seiten gelernt. So dachten wir anfänglich, dass wir jeden einzelnen Reparaturschritt wissen müssen. Das müssen wir aber nicht. Wir haben intern einen Fahrplan, den wir mit den Reparaturbetrieben abgesprochen haben und diesen rollen wir nun für den Endkunden via Gateway aus.
Wie viele Werkstätten sind hier involviert?
M. Stumpp: Alle. Es ist zum einen Grundvoraussetzung und zudem nicht sehr kompliziert. Mit jedem neuen Fall gibt es einen Link zur Fahrzeugakte. Hier werden die Kostenvoranschläge automatisch hochgeladen. Es gibt eine Schnittstelle zu den drei gängigsten Werkstattsystemen, so dass auch diese Rechnungen automatisch erfasst werden. Für die Termine stehen vorreservierte Slots zur Verfügung. Das war alles.
Wer sorgt dafür, dass diese Systeme seitens der Werkstätten aber auch seitens der Flottenkunden gepflegt werden?
M. Whittall: Seit drei Jahren haben wir ein Team für Qualitätsmanagement, das darauf blickt, dass die Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen. Wir verlangen keine neuen Daten im Vergleich zu früher, nur müssen diese Daten in Echtzeit vorliegen. Das ist der Unterschied. Bei gut 1.100 angeschlossenen Werkstätten lernen aber auch wir noch ständig dazu.
M. Stumpp: Keine Frage, wir sind hier eindeutig im Lead. Dabei hilft uns unser Team der Netzentwickler, die nach neuen Werkstätten suchen und die bestehenden Verbindungen pflegen sowie Werkstätten coachen. Das Fax ist dabei nicht mehr State of the Art. Gleichzeitig können wir mit den Partner-Werkstätten zusammen schauen, dass sich jede digitalisiert, denn die interne Konkurrenz ist schon sehr groß.
Das Prinzip mit dem Link zur Fahrzeug-Akte verwenden Sie auch für die Kommunikation mit dem Endkunden. Warum gibt es stattdessen keine App?
M. Stumpp: Wenn man sich ein Leasingfahrzeug anschaut, dann haben dort über die Laufzeit sicherlich 16 oder 17 Dienstleister mit zu tun. Für jede Dienstleistung dann eine App zu entwickeln bringt da wenig, da man diese eine Anwendung dann zu selten nutzt. Deshalb nutzen wir einen Web-Link, den man bekommt, wenn man ihn braucht. Dabei ist auch die Datensicherheit immer auf dem neuesten Stand.
Instandsetzung statt Ersatz
Muss es denn immer das Original-Teil für jede Art von Reparatur sein?
M. Stumpp: Unsere Betriebe verwenden ausschließlich Originalteile. Im Versicherungsschaden fehlt in Deutschland die Akzeptanz für eine Alternative. Das trifft auch auf größere Flotten zu, da hier der Leasinggeber der Eigentümer ist und die Vorgaben für die Reparatur macht. Deshalb fahren wir den Ansatz die Instandsetzung zu belohnen gegenüber der Erneuerung. Dazu gibt es sehr viele moderne Reparatur-Techniken, die dies bewerkstelligen lassen. Man kann übrigens sehr viel mehr reparieren, als oftmals angenommen wird.
Die Werkstatt ist hier also gefragt?
M. Stumpp: Wer die passenden Werkzeuge vorhält und die Mitarbeiter entsprechend schult, dass er diese Instandsetzungen durchführen kann, wird mit höheren Stundenverrechnungssätzen von uns honoriert. Das schafft eine höhere Auslastung in den Werkstätten und hilft die Kosten für alle zu senken. Nicht zu vergessen, geht dies oftmals schneller als auf spezielle Ersatzteile zu warten, so dass der Kunde früher sein Fahrzeug zurück hat. Wenn ich zudem nicht in die Struktur des Autos eingreifen muss, ist auch die Wertminderung niedriger.
Der aufwendige Transport der Ersatzteile entfällt, was auch ein Umweltaspekt ist.
M. Whittall: Wenn man sieht, wie aufwendig beispielsweise ein neuer Stoßfänger verpackt ist, dann spielt der Umweltschutz auf jeden Fall eine Rolle.
Dennoch liegen die Reparaturfreigaben immer noch bei den Herstellern.
M. Whittall: Und da werden es immer mehr Vorgaben. Bleiben wir beim Stoßfänger, in dem sehr viele Sensoren mittlerweile verbaut werden. Hier sagt der Hersteller sehr oft, reparieren geht nicht, sondern nur austauschen.
Die klassischen Dienstwagen sind neue Modelle, die nach drei Jahren ausgesteuert werden. Gibt es so schnell dann alternative Reparatur-Techniken?
M. Stumpp: Die Flottenfahrzeuge sind immer ein Testballon, was später auf dem Privatkundenmarkt funktioniert. Dabei ist das Lieblingsargument der Hersteller die Sicherheit der Fahrzeuge. Bei den Windschutzscheiben geht die Reparatur unter bestimmten Vorgaben, bei den neuen Matrix-Scheinwerfern geht es noch nicht.
Sie sagen noch nicht …
M. Stumpp: Wir haben im vergangenen Jahr mit einigen Herstellern Gespräche geführt. Das Verständnis ist gewachsen, dass das Fahrzeug versicherbar sein muss und die klassischen Schäden sind nun mal die Windschutzscheiben und die Scheinwerfer.
Herzlichen Dank für das Gespräch!