_ Vom 27. bis 29. Januar haben auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar wieder mehr als 1.500 Experten aus Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft, Versicherungen und Wissenschaft über aktuelle verkehrsrechtliche Themen diskutiert und mit ihren Resolutionen Änderungen und Neuerungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis auf den Weg gebracht. Nicht alle Arbeitskreise (AK) sind für Fuhrparkprofis gleichermaßen interessant. Daher das Wichtigste in Kürze.
AK I: Europäischer Führerscheintourismus
Da der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Anerkennungsverpflichtung für EU/EWR-Führerscheine vorschreibt, die - unter Wahrung des Wohnsitzerfordernisses - nach Ablauf einer Sperrfrist in Deutschland erworben wurden, hat sich der Arbeitskreis für folgenden Lösungsvorschlag ausgesprochen: Bei jedem Entzug der Fahrerlaubnis wird eine Sperrfrist von fünf Jahren (im Wiederholungsfall von zehn Jahren) verhängt. Nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist kann der Betroffene jederzeit die Verkürzung dieser Sperrfrist beantragen, indem er entsprechend den Vorgaben der Fahrerlaubnisverordnung den Nachweis erbringt, dass er wieder geeignet ist.
Für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland ändert sich damit faktisch nichts. Wird aber in der fünf- beziehungsweise zehnjährigen Frist eine Fahrerlaubnis im Ausland erworben, wird diese faktisch nur noch auf Antrag und Eignungsprüfung, also nicht mehr automatisch anerkannt. Rechtlich ist diese Auffassung zumindest heikel.Auszug aus den Resolutionen: "Die ständige Rechtsprechung des EuGH, dass im europäischen Ausland erteilte Fahrerlaubnisse grundsätzlich anzuerkennen sind, wird nicht in Frage gestellt. Zur Lösung des Problems "Führerscheintourismus" sollen gesetzliche Sperrfristen von fünf Jahren, im Wiederholungsfall von zehn Jahren, nach jedem Entzug der Fahrerlaubnis eingeführt werden. Der Betroffene muss dann die Möglichkeit haben, die Sperrfrist durch Nachweis der Eignung nach den Vorgaben der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) jederzeit aufheben zu lassen. Dies soll aber frühestens nach Ablauf der bestehenden Mindestsperrfristen erfolgen können."
AK II: Automatisiertes Fahren
Obwohl die neuen Technologien durch die Industrie möglichst schnell am Markt eingeführt werden sollen, gibt es aus rechtlicher Sicht noch viele Fragen zu klären.
So müssen die Assistenzsysteme nach Ansicht des Arbeitskreises dahingehend ausgestaltet sein, dass der Fahrer weiß, in welcher Automatisierungsstufe er sich befindet und welche Handlungs- und Überwachungsanforderungen an ihn bestehen. Auszug aus den Resolutionen:" Der Fahrer muss selbst entscheiden können, ob er solche Systeme nutzen möchte. Abschaltbarkeit und Übersteuerbarkeit sind zu gewährleisten, wobei der menschlichen Fähigkeit, das funktionierende System über einen längeren Zeitraum zu überwachen, natürliche Grenzen gesetzt sind. Dies muss technisch aufgegriffen und normiert werden."
Die Forderung in den Resolutionen nach einer jederzeitigen Übersteuerbarkeit des Systems erscheint nicht mehr ganz zeitgemäß. Auch die Verkehrsrechtsexperten werden irgendwann zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass diese althergebrachten Grundsätze durch die fortschreitende Technik zunehmend in Frage gestellt werden (müssen).
AK IV: Unfallrisiko Landstraße
Langfristig müssen die Straßenbaulastträger nicht nur für den Zustand der Fahrbahn, sondern auch den sicheren Seitenraum der Straßen in die Verantwortung genommen werden. Die vom Verkehrsgerichtstag empfohlene Regelgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern für alle Landstraßen, bei ausdrücklicher Freigabe entsprechend ausgebauter und für Tempo 100 geeigneter Landstraßen, wird nach Ansicht der Experten dazu führen, dass auch viele Straßen mit mehr als sechs Metern Fahrbahnbreite betroffen sind.
Auszug aus den Resolutionen: "Zur Reduzierung schwerer Unfälle soll die Regelgeschwindigkeit für Pkw und Lkw gleichermaßen bei 80 km/h liegen. Dazu ist eine Umkehrung von Regel und Ausnahme bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erforderlich. Entsprechend ausgebaute oder ertüchtigte Straßen können danach weiter für Tempo 100 freigegeben werden.
In Bereichen unzureichender Sichtweite sollen Überholverbote grundsätzlich angeordnet werden. § 45 der StVO muss das rechtssicher ermöglichen."
AK V: Ablenkung durch moderne Kommunikationstechniken
Bis jetzt gibt es keine aussagekräftige Datenbasis für die Nutzung moderner Kommunikationsgeräte am Steuer und deren Unfallursächlichkeit.
Inwieweit der Gesetzgeber überhaupt Rahmenbedingungen für Hersteller und Anbieter von Kommunikationstechniken schaffen kann, um Gefahren durch die Nutzung der Kommunikationsmittel in Fahrzeugen zu minimieren, bleibt abzuwarten.
Angesichts des technischen Fortschritts wird empfohlen, die Vorschrift des § 23 StVO ("Sonstige Pflichten von Fahrzeugführenden") an den Fortschritt der Technik anzugleichen. Der Arbeitskreis hat die Forderung einer Bußgelderhöhung für den Missbrauch der Techniken (zum Beispiel Handynutzung während der Fahrt) abgelehnt.
Auszug aus den Resolutionen: "Technische Lösungen können einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Ablenkungsunfällen leisten. Der Arbeitskreis fordert die Gesetzgeber auf, Rahmenbedingungen für Fahrzeughersteller, Produzenten von Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmitteln sowie für Diensteanbieter zu schaffen, um die Möglichkeiten situativer Funktionsunterdrückung zu implementieren. Dies betrifft zum Beispiel die Deaktivierung von manuellen Zieleingaben oder die Sperre von Textnachrichten während der Fahrt. Die Rekonstruktion entsprechender Verstöße und Manipulationen muss technisch sichergestellt werden.
§ 23 StVO ist im Hinblick auf die technische Entwicklung nicht mehr zeitgemäß. Das betrifft insbesondere die Begriffe "Mobil- oder Autotelefon" und den ausgeschalteten Motor sowie die Beschränkung auf Aufnehmen oder Halten des Hörers. Der Arbeitskreis fordert den Verordnungsgeber zu einer Neufassung der Vorschrift auf. Diese sollte an die visuelle, manuelle, akustische und mentale Ablenkung von der Fahraufgabe anknüpfen. Die Geldbuße sollte eine gestaffelte Erhöhung bei Gefährdung sowie bei Schädigung vorsehen. Bei der Neufassung ist auf eine bessere Nachweisbarkeit in der Praxis Rücksicht zu nehmen."
AK VI: Alternative Reparaturmethoden
Der Arbeitskreis hat aufgezeigt, dass es für die Bestimmung des fachgerechten Reparaturweges nicht auf Begrifflichkeiten wie "alternative Reparaturmethoden" oder "Smart Repair" ankommen kann. Entscheidend soll nach dem Willen der Teilnehmer sein, ob das vom Sachverständigen im Gutachten angegebene Reparaturverfahren anerkannt und im Vergleich zu anderen Reparaturmethoden zu einer gleichwertigen, aber auch vollständigen, sach- und fachgerechten Wiederherstellung des Fahrzeuges führt. Von mehreren gleichwertigen Methoden muss der Sachverständige nur die wirtschaftlich sinnvollste in seinem Gutachten dokumentieren.
Die Bestimmung der Reparaturmethode respektive des Reparaturweges liegt dabei im pflichtgemäßen Beurteilungsspielraum des Sachverständigen.
Auszug aus den Resolutionen: "Unabhängig vom Auftraggeber muss der Kfz-Sachverständige bei jeder Begutachtung eines Haftpflichtschadens alle zur fachgerechten Reparatur anerkannten Reparaturverfahren berücksichtigen. Von mehreren gleichwertigen Methoden zur vollständigen sach- und fachgerechten Wiederherstellung muss er in seinem Gutachten die wirtschaftlich sinnvollste dokumentieren.
Eine gleichwertige Reparatur setzt voraus, dass die Garantie- und Gewährleistungsansprüche nicht beeinträchtigt werden. Der Rückgriff auf eine günstigere Reparaturmethode darf nicht zur Beeinträchtigung der begründeten Ansprüche des Geschädigten führen."
AK VII: Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht
In der Diskussion wurde deutlich, dass oftmals auf den Anscheinsbeweis zurückgegriffen wird, zum Beispiel bei klassischen Unfällen im "Rechts-vor-links-Bereich" oder bei "Auffahrunfällen". Dies deshalb, weil die Aufklärung des Sachverhalts meist in derartigen Konstellationen zu aufwändig erscheint.
Die Frage, wann ein Unfall mit einem einen Anscheinsbeweis rechtfertigenden "typischen" und "allgemein erfahrungsgemäßen" Erscheinungsbild vorliegt, wurde ausführlich diskutiert. Es besteht Einigkeit, dass es hierfür auf die allgemeine Lebenserfahrung und nicht auf Einzelerkenntnisse eines Richters ankommt.
Auszug aus den Resolutionen: "Der von der Rechtsprechung entwickelte Anscheinsbeweis, der es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen auf Kausalität oder Verschulden zu schließen, ist für die Beweisführung in Verkehrsunfallsachen unverzichtbar. Einer gesetzlichen Regelung bedarf es nicht.
Ob ein typischer Geschehensablauf vorliegt, bestimmt sich nach allgemeinem Erfahrungswissen und nicht nach einer individuellen Lebenserfahrung. Der zugrunde gelegte Erfahrungssatz muss hinreichend tragfähig sein; er muss eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf begründen. Dabei sind sämtliche bekannten Umstände des Falles zu berücksichtigen."
Dr. Michael Ludovisy Rechtsanwalt und Rechtsexperte von Autoflotte
- Ausgabe 03/2015 Seite 60 (246.3 KB, PDF)