Nachhaltigkeit kann man sehen. Zwar kommt es beim CO2-Sparen vor allem darauf an, dass man weniger Schadstoffe freisetzt - sodass man am besten gar nichts sieht - ,sobald es aber um die dafür nötige grüne Technik geht, ist diese nicht nur sichtbar, sondern kann auch beeindrucken. So im Fall der Alois Müller GmbH.
Der Mittelständler aus dem Unterallgäu, der nichts mit dem gleichnamigen Milchgiganten zu tun hat, hat vor drei Jahren seine Produktionszentrale nahe Memmingen komplett neu errichtet und dabei nicht nur eine Photovoltaikanlage (PV) aufs Dach gepackt, sondern die Gebäude teils mit Solarzellen verglast. Die Sonnenkraft bringt 1,5 Megawatt Leistung im Peak und deckt zwei Drittel des Eigenbedarfs, was auf das Ziel einzahlt, die Herstellung und den ganzen Betrieb - inklusive Fuhrpark - energetisch autark betreiben zu können.
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Da die Ungerhausener selbst in der Branche (Energie- und Gebäudetechnik sowie Industrieanlagenbau) tätig sind, wäre dies formal betrachtet eines der "practice what you preach"-Beispiele, die es mannigfaltig in den frühen Jahren der E-Mobilität gab. Steht man aber dann vor diesen Glasflächen und den gelben Speichertanks, dann ist man einfach nur beeindruckt von der sogenannten Green Factory. Die wahrlich CO2-neutrale Fabrik, die 2019 eröffnete, entfaltet ihren eigenen Charme, der auf die Mitarbeiter, die Kunden und die Gemeinde ausstrahlt. Als inhabergeführtes Unternehmen, das sich um die Angestellten wie um den Standort kümmert (man ist Mitglied des Bündnis' "klimaneutrales Allgäu 2030") gehört auch die eigene E-Flotte aus wirtschaftlicher wie sozialer Sicht mittlerweile dazu.
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BildergalerieAlois Müller: Neuling für die Energiefragen
Begrüßt wird der Gast direkt vor dem Werkstor von öffentlichen Schnellladern mit zehn Ladepunkten, die ebenso ihren Strom von der gigantischen PV-Anlage beziehen wie die auf dem Gelände befindlichen Mitarbeiterparkplätze samt Wallboxanschluss. Da die E-Fahrzeuge zum einen nicht ständig zu 100 Prozent geladen sein müssen und deren Standzeit in der Regel hoch ist, regelt eine Software die Stromabgabe an diesen Ladepunkten. Hier kommen die Norddeutschen von IO-Dynamics ins Spiel. Das Flensburger Start-up tummelt sich im immer größer werdenden Kreis der E-Mobilitäts-Spezialisten, die sich auf die Softwarethemen rund um die Energieflüsse fokussiert haben.
Nun kennt Software keine Grenzen, so dass es per se nichts Ungewöhnliches ist, dass beide Partner am anderen Ende von Deutschland zuhause sind, bei IO-Dynamics kommt eine entspannte und nachhaltig orientierte Atmosphäre in der im Grünen gelegenen Firmenzentrale noch dazu, wie Gründer und CEO Johann Olsen erklärt. Als 2018 Olsen zusammen mit Nabil Imran und Felix Kruse den E-Mobility-Neuling aus der Taufe hob, sah die Welt der E-Mobilität und der Energieversorgung deutlich fragmentierter als heute aus. Dass in der mittlerweile veränderten mobilen Welt die Idee der drei Gründer verfängt, zeigt unter anderem die letzte Finanzierungsrunde in diesem Sommer, bei der Investoren mit einem siebenstelligen Betrag die Schleswig-Holsteiner unterstützten.
Neben dem Stammsitz testet man in Leipzig ein weiteres Büro, um wachsen zu können. Die momentan 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eint die Möglichkeit, zusammen aktiv den Nachhaltigkeitsgedanken voranzutreiben, erzählt der Firmengründer. Zudem sind - üblich bei grünen Start-ups - die Hierarchien flach und der individuelle Autonomiegrad hoch. Die Lade- und Energiemanagementsoftware von IO-Dynamics ist individuell an die Bedürfnisse und Anforderungen der Unternehmens-Kunden anpassbar. Zudem erlaubt der modulare Aufbau den Einsatz der Software von kleinen Ladeinfrastrukturen bis hin zu komplexen Firmenflotten. Künftig möchte man auch Themen wie Vehicle-to-grid salonfähig machen.
Alois Müller: Grüne Fabrik samt Fuhrpark
Die Gegenwart heißt Alois Müller und deren Green Factory glänzt in 200.000-facher Ausführung. So viele Solarzellen sorgen für den energetischen Input. Abgegeben wird diese Menge vor allem an die Produktion und an die Ladepunkte auf dem Gelände. Bis 2030 will man den Fuhrpark komplett elektrifizieren, momentan gibt es etwa 30 Steckerfahrzeuge (unter anderem VW iD.4, BMW i3, Polestar 2, Skoda Enyaq, Tesla Model 3/Y) deren Betriebskosten aufgrund des Eigenstroms massiv gesunken sind. Das Gebäudelastmanagement übernimmt Siemens, das Last- und Lademanagement für den Fuhrpark wiederum ist Aufgabe von IO-Dynamics. "Ein Elektroauto verbraucht pro Jahr in etwa so viel Energie wie ein Einfamilienhaushalt", umschreibt Olsen die Größe der Aufgabe.
Die Software erfüllt dabei mehrere Aufgaben. Unter anderem sorgen das Peakshaving und das dynamische Lastmanagement dafür, dass Lastspitzen verhindert und ein möglichst konstanter Lastgang am Netzanschluss gewährleistet werden. Sogenannte "Peaks" treiben für den gekauften (und nicht selbst produzierten) Strom das Netzentgelt unnötig in die Höhe. Das Lademanagement ermöglicht ebenso die "Plug & Charge"-Funktion, sprich, es reicht, das Ladekabel zu stecken, damit die Kommunikation zwischen Ladesäule und Auto beginnt. Die Software bietet weitere Funktionen, wie die Optimierung der Batterielebenszeit, prognosebasiertes PV-Laden, Echtzeit-Monitoring aller Ladestände oder Abrechnung von Ladevorgängen.
Um an die Fahrzeugdaten zu gelangen, nutzen die Norddeutschen entweder die Daten der Fahrzeughersteller selbst oder rüsten die Stromer mit einem Telematikmodul nach. Diese Informationen der Fahrzeugdaten ermöglicht der Software Ladevorgänge so zu steuern, dass die Stromer zu jeder Zeit optimal und ausreichend geladen zur Verfügung stehen.
Alois Müller: Das Wetter spielt die Hauptrolle
Der Algorithmus berechnet für die nächsten 24 Stunden einen optimalen Ladeplan. Durch die Verknüpfung der Fahrzeugdaten mit den Daten über das Stromnetz, übernimmt die Software die Energieverteilung auf den Elektrofuhrpark. Sie passt Ladevorgänge vollautomatisiert an Kapazitätsgrenzen des Stromnetzes und mögliche Schwankungen erneuerbarer Energien an, sodass der Stromanschluss optimal ausgenutzt und der Stromverbrauch des Fuhrparks mit dem Energiemanagement des Gebäudes abgestimmt wird. Anhand von Wetterdaten trifft die Lademanagementsoftware eine Vorhersage, wann die Sonne scheint und wann PV-Strom zum Laden der Fahrzeuge zur Verfügung steht.
Die Produktionsschritte in der Green Factory werden von der Fertigungsleitung ebenfalls unter Berücksichtigung der prognostizierten Wetterdaten und der jeweils vorhandenen Arbeitskräfte an die Verfügbarkeit des PV-Stroms angepasst. "Einer der großen Vorteile von E-Autos liegt darin, gewonnene Energie zwischenzuspeichern und bei Bedarf diese zu verbrauchen", erklärt Olsen. Der nächste Schritt wäre, dass die Energie aus den Traktionsbatterien der Stromer zurück ins eigene Netz fließt, um für die Produktion genutzt werden zu können. Diese Bidirektionalität erfordert allerdings spezielle Wallboxen und eine Ladetechnik, die momentan erst in wenigen Fahrzeugmodellen verbaut ist. Also müssen andere als Pufferspeicher helfen.
Als Großspeicher fungiert deshalb eine 230-kWh-Lithiumbatterie, die bei Dunkelflaute (Lichtmangel) von einem mit Ökogas betriebenen Blockheizkraftwerk sowie einem Pelletkessel unterstützt werden kann. Die Anlagen speisen ihre Wärme in einen weithin sichtbaren und 100.000 Liter fassenden Pufferspeicher. Als zusätzliche Speichermedien dienen die selbst produzierten Vorprodukte und Betriebsstoffe wie Stickstoff und Druckluft. Dieses ausgefeilte Netzwerk zeigt, die eigentliche Herausforderung der CO2-neutralen Produktion, nämlich die Dimensionierung und die Flexibilität der Speichermedien.
Corporate Carsharing möglich
Die Fuhrparkfahrzeuge werden mit der Lademanagementsoftware von IO-Dynamics nicht nur intelligent geladen, sondern auch abgerechnet. Sie gibt einen intuitiven Überblick über den Energieverbrauch des Gebäudes, die Wetterprognosen für die PV-Anlage, Fahrzeugdaten (Ladestand, -leistung, Batteriegesundheit) sowie Nutzungsdaten der Fahrer. Auf diese Weise verbindet die Software Fuhrpark- und Lademanagement und positioniert sich als All-in-one-Lösung. "Wir können eine Corporate-Carsharing-Lösung samt Schlüsselverwaltung anbieten", berichtet Olsen und ergänzt: "Neben den Daten der Pool- und Mitarbeiterfahrzeuge (plug&charge) nutzen wir die Einsatzpläne der Stromer, um einen möglichst genauen Überblick über die benötigte Energiemenge zu erhalten. Da die meisten Fahrzeuge längere Zeit stehen, reichen oftmals geringe Ladegeschwindigkeiten aus, um die Flotte stets mobil zu halten. Wer schnell eine große Kilowattstundenmenge in die Batterien pressen muss, geht an die öffentlichen Schnelllader vor dem Werkstor."
Eigene Ladelösung-Tochter
Olsens Ansprechpartner bei Alois Müller heißt Christian Kröner. Er begleitete die Implementierung der Ladelösung und gehört dem Team der E-con an, die sich um die E-Mobilitätsprojekte für externe Kunden kümmert. Die mittlerweile gut 30 Entwickler und Ingenieure bringen die grüne Technik an die Kundschaft aus der Region und sorgen ihrerseits dafür, dass man Nachhaltigkeit deutlich sehen kann.