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Gefährliche Überholmanöver

02.05.2018 06:00 Uhr
Gefährliche Überholmanöver

Falsch durchgeführt, eine der häufigsten Unfallursachen - mit erheblichen versicherungsrechtlichen Folgen und mindestens sechsmonatigem Führerscheinentzug. Worauf zu achten ist.

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_ Tag für Tag fahren Autofahrer aneinander vorbei oder überholen sich. Die StVO gibt dazu in § 5 (Überholen) und § 6 (Vorbeifahren) konkrete Hilfestellung. Nur verstehen wirklich alle dieses nicht unbedingt für Verständlichkeit bekannte Regelwerk?

Ausgehend von zwei Grundsätzen des Verordnungsgebers erscheint die Rechtslage zunächst einfach: Überholen (gemäß § 5 StVO) ist "der tatsächliche, absichtslose Vorgang des Vorbeifahrens auf demselben Straßenteil (Fahrbahn) an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt oder verkehrsbedingt, in der Regel in Fahrstellung, wartet. ... Vorbeigefahren wird an den nicht verkehrsbedingt, also in der Regel nicht in Fahrstellung haltenden Verkehrsteilnehmern, anhaltenden, parkenden oder liegen gebliebenen Fahrzeugen."

Überholen darf nur, wer überblicken kann, dass während des ganzen Vorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Hinzu kommt, was auf Autobahnen bei manchen Lkw-Fahrern in Vergessenheit zu gerraten scheint: die erforderliche "wesentlich höhere Geschwindigkeit" des Überholenden.

Vorbeifahren an einem Hindernis bei Gegenverkehr im Sinne von § 6 StVO ist nur zulässig, wenn man zuvor entgegenkommende Fahrzeuge hat durchfahren lassen.

§ 6 StVO ist (gemäß amtlicher Gesetzesbegründung) damit noch einfacher im Regelungsgehalt als § 5 StVO und "bringt die Lösung der Frage, welcher Verkehrsrichtung der Vorrang gebührt, wenn die Fahrbahn durch ein Hindernis vorübergehend verengt ist", ohne den Vorgang selbst näher zu definieren.

Diese Aufgabe leisten Literatur und Rechtsprechung, die dann - meist im Nachgang zu Unfällen - für den unkundigen Bürger das definieren, was man glaubt zu wissen über das, was der Verordnungsgeber glaubt, unmissverständlich geregelt zu haben. Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Fahrer infolge einer Fehlinterpretation der Regeln zum Teil empfindlich haftet.

Urteil nach Kollision beim Überholen

So verwundert es nicht, dass das Oberlandesgericht Saarbrücken sich in seiner Entscheidung vom 16.11.2017 (Az. 4 U 100/16, r+s 2018, 95) mit den Anforderungen an das Vorbeifahren und das Überholen nach den §§ 5, 6 StVO ausführlich befassen musste.

Der Entscheidung liegt ein auf den ersten Blick einfacher und alltäglicher Fall zugrunde: Ein Pkw-Führer überholte innerorts ein langsam fahrendes Traktorgespann. Währenddessen scherte der Traktor nach links aus, um an einem geparkten Wagen vorbeizufahren. Dabei kam es zu einem Unfall zwischen dem überholenden Pkw und dem Traktor.

In der ersten Instanz entschied das Landgericht Saarbrücken (Az. 15 O 265/14) die Schuldfrage zu Lasten des Pkw-Fahrers in Höhe von 25 Prozent - entsprechend der Betriebsgefahr - und zu Lasten des Traktor-Fahrers in Höhe von 75 Prozent. Das Oberlandesgericht Saarbrücken aber entschied, dass der Traktor-Fahrer für den Unfall allein haftet.

Es ließ sich nicht mehr ganz aufklären und blieb daher zwar streitig, ob er beim Vorbeifahren den Blinker betätigte. Zu Lasten des Traktorgespanns stellte sich später heraus, dass der Blinker defekt war. Ferner sei das Traktorengespann naturgemäß schwerer zu überblicken und habe damit ein erheblich höheres Schadenspotenzial im Vergleich zu einem durchschnittlichen Pkw. Aufgrund dieser technischen Beschaffenheit sieht das Gericht eine erhöhte Betriebsgefahr auf der Seite des Traktorgespanns.

Überholen versus Vorbeifahren

Weiterhin muss nach dessen Ansicht zwischen Überholen und Vorbeifahren differenziert werden. Beim Vorbeifahren bewegt sich das (stehende) Hindernis weder in derselben Richtung noch wartet es verkehrsbedingt. Wenn es also um die Beurteilung der Gefahr für den Gegenverkehr geht, wiegt das Überholen schwerer als das Vorbeifahren.

Betrachtet man aber den rückwärtigen beziehungsweise gleichgerichteten Verkehr, so birgt ein Überholvorgang das gleiche Gefahrenpotenzial wie beim Vorbeifahren an einem Hindernis. Grundsätzlich treffen einen Vorbeifahrenden bezüglich des gleichgerichteten Verkehrs also die gleichen Sorgfaltspflichten wie den Überholenden.

Beim Ansetzen zum Überholen ist die nötige Sorgfalt jedoch deutlich höher als beim Ausscheren zum Vorbeifahren. Der Überholende muss sich nach § 5 Abs. 4 S. 1 StVO so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist, während der Vorbeifahrende nach § 6 S. 3 StVO auf den nachfolgenden Verkehr (nur) achten muss. Allein der Vergleich der Vorschriften zeigt die unterschiedlichen Risikowertungen des Verordnungsgebers und damit auch die unterschiedlichen Sorgfaltsanforderungen.

Den Vorbeifahrenden trifft insbesondere beim Ausscheren eine Rückschaupflicht. Zudem muss er das Ausscheren und Wiedereinordnen durch Betätigung des Blinkers rechtzeitig anzeigen. Dieser Rückschaupflicht kam der Traktorfahrer nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht nach. Aufgrund der langsamen Geschwindigkeit wäre es für ihn zudem ohne weiteres möglich gewesen, vor dem Hindernis anzuhalten.

Das Gericht stellte überdies entsprechend allgemeiner Lebenserfahrung darauf ab, dass der Traktorfahrer gerade wegen seiner geringen Geschwindigkeit damit rechnen musste, überholt zu werden. Nicht wirklich schlüssig ging das Gericht weiter davon aus, dass der Pkw-Fahrer beim Überholen nicht damit rechnen musste, dass das überholte Fahrzeug seine Spur nicht halten würde.

Unterschiedliche Interpretationen

Diese Annahme ist keinesfalls unbedenklich - zumal der Fahrer bei einem Überholvorgang die dafür benötigte Strecke überschauen können muss. Dies als Grundsatz vorausgesetzt, hätte im vorliegenden Fall der überholende Pkw-Fahrer sehr wohl mit einem Ausscheren des Traktors rechnen müssen. Aber das Oberlandesgericht Saarbrücken hat den Verkehrsvorgang anders bewertet, was wiederum nur deutlich macht, zu welch unterschiedlicher Beurteilung ein solcher führen kann.

Zurück zur Auffassung des Gerichts: Eine konkrete Gefahr konnte jedenfalls vom überholenden Pkw-Fahrer nicht vermutet werden. Aufgrund der eingeschränkten Sicht auf das bestehende Hindernis lagen keine konkreten Umstände vor, die dem Überholvorgang entgegenstanden. So weit wieder die nicht schlüssige Prämisse der Richter.

Dem Pkw-Fahrer kann demzufolge nicht der Vorwurf gemacht werden, bei unklarer Verkehrslage überholt zu haben. Denn für ihn war nicht konkret erkennbar gewesen, dass der Überholte zu einem Ausweichmanöver ausschert. Das Gericht bekräftigt seine Annahme mit dem Umstand, dass der Traktor dem Überholenden die Sicht auf das Hindernis verdeckt habe. Das Ausweichmanöver geschah somit aus Sicht des Überholenden plötzlich und unerwartet.

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass es rechtlich durchaus vergleichbare Situationen mit Beteiligung von Motorradfahrern gibt, denen ein erhebliches Mitverschulden zugerechnet wird, wenn sie auf freier Strecke außerhalb geschlossener Ortschaften einen Traktor überholen, der plötzlich in einen kleinen Feldweg nach links abbiegt.

Einzelne Abschnitte des Vorgangs

Bei allen Zweifeln an der Nachvollziehbarkeit des gerichtlichen Entscheidungsprozesses zeigt das Urteil jedoch äußerst eindringlich, wie sehr es bei der Beurteilung solcher Vorgänge auf eine "Zerlegung" der Geschehensabläufe ankommt. Die Fahrvorgänge müssen gedanklich in ihre einzelnen Abschnitte zerlegt werden, bevor man die Verantwortlichkeiten der Beteiligten bestimmen kann.

Auch wenn die Fahrvorgänge "Überholen" und "Vorbeifahren" auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten aufweisen, müssen beide in die Abschnitte "Rückschau", "Ausscheren", "Vorbeibewegen" und schließlich wieder "Einordnen" aufgeteilt werden, damit beim Zusammentreffen beider Vorgänge eine juristisch belastbare richterliche Bewertung des Verkehrsgeschehens vorgenommen werden kann.

Wichtigstes Kriterium: äußerste Sorgfalt

Wichtigstes Kriterium bei allen Überholvorgängen sollte der Aspekt der vom Verordnungsgeber geforderten äußersten Sorgfalt beim Überholen sein. Dieser lässt sich am besten negativ umschreiben: Keine äußerste Sorgfalt zeigt, wer den Überholvorgang trotz bedrohlichen Gegenverkehrs einleitet oder nicht abbricht. Ebenso keine äußerste Sorgfalt wendet derjenige an, der den Gegenverkehr nicht ständig beobachtet oder wer beim Überholen nicht die ganze notwendige Überholstrecke schon vor Beginn des Überholvorganges überblicken kann.

Wer also die Überholstrecke und damit auch auf ihr befindliche Hindernisse erst während des Überholvorganges erkennen kann, lässt die äußerste Sorgfalt in grob fahrlässiger Weise vermissen. Bei Beachtung dieses tatsächlich einfachen Grundsatzes verbietet sich sämtliches Überholen an Kuppen oder vor und in Kurvenbereichen.

Harte Strafen

Die Unfallstatistiken weisen falsches Überholen als eine der häufigsten Unfallursachen aus. Nicht zuletzt deswegen stellt der Gesetzgeber das "grob verkehrswidrige und rücksichtslos falsche Überholen" in § 315 c StGB unter Strafe - mit der zusätzlichen Folge eines mindestens sechsmonatigen Führerscheinentzugs.

Unklare Verkehrssituationen, gleichgültig aus welchem Grund, verbieten jedes Überholen. Wann eine Verkehrslage unklar ist, ergibt sich nicht nach dem Gefühl oder der Einschätzung des Überholwilligen. Hier ist einzig auf objektive Umstände abzustellen.

Unklar kann eine Verkehrssituation aber auch sein, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird, wenn es etwa den Anschein hat, er wolle abbiegen, oder wenn Umstände dafür sprechen, dass er an einem Hindernis vorbeifahren wird und deshalb ausschert.

An diesem Punkt schließt sich wieder der Kreis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken. All diese zuvor genannten Kriterien hat es beim überholenden Pkw-Fahrer im entschiedenen Fall nicht gesehen. Er durfte nach dessen Meinung ohne Misstrauen zum Überholen ansetzen. Dass dies nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich gefährlich sein kann, zeigte bereits die anders entscheidende Vorinstanz.

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