Der Welt ist der Optimismus abhandengekommen, so scheint es, blickt man auf die vergangenen drei Jahre. Die Zukunft scheint nicht verlockend, sondern trüb - sowas schlägt sich aufs Gemüt und ändert den Blick auf die Gegenwart. Man wird ungeduldiger, ungerechter, gar unsozialer. Dass das Glück nicht in der Vergangenheit liegt, liegt in der Natur. Kein neuer Tag wird so, wie er schon einmal war. Sich wandeln heißt, sich häuten. Unter jeder alten Haut verbirgt sich in der Geschäftswelt etwas drängend Neues: die Digitalisierung.
- Avrios: Neues Tool für mehr Nachhaltigkeit im Fuhrpark
- Ford Pro: Die Werkstatt repariert beim Kunden
- Finanzen im Fuhrpark: Skepsis als Markttrend
- Trelleborg Sealing Solutions: Argumente fürs Office
Ein großes wolkiges Wort für etwas, das speziell in Deutschland noch nicht wirklich angekommen ist, wenn man bedenkt, dass Anfang des Jahres die Telekom die letzten gut 12.000 verbliebenen Telefonzellen deutschlandweit offline genommen hat - nach über 140 Jahren endet das öffentliche Fernsprechen (Gespräche im ICE ausgenommen). Das Ende des Faxes lässt aber weiter auf sich warten. Doch was bedeutet die Digitalisierung für die Branche?
Wir haben in den vergangenen Monaten mit Flottenbetreibern, Dienstleistern und Datenexperten gesprochen, um Antwort zu erhalten. Es gab eine vielstimmige.
Das Telefon bleibt
Wir erreichen Francine Gervazio per Onlineschalte im Berliner Büro von Avrios. Die CEO kommt gerade aus Zürich geflogen - dem internationalen Hauptquartier des Flottendienstleisters. Gervazio wuchs in Brasilien auf, machte sich auf den Weg in die USA und erhielt ein Stipendium für einen MBA am Babson College. In der Geschäftswelt angekommen, gehörte sie zu den Mitgründern des US-amerikanischen B2B-Logistik-Start-ups Cargo42. Anfang 2018 ging es für die Managerin zu Avrios in die Schweiz. Seit Mai 2021 ist sie CEO.
Wir sprechen mit ihr über die Kundenkommunikaton. Auszutauschen gab es beim Softwareanbieter unter der Auswirkung der Pandemie eine ganze Menge - nur eben vermehrt über digitale Wege. Hier haben viele im Geschäftsleben ihre Scheu schnell abgelegt, auch weil sie es mussten. Für einen Dienstleister wie Avrios, der auf Cloud-Technologie aufbaut, war dieser gesellschaftliche Wandel ein Segen, wie es im Gespräch rüberkommt.
Das Managen einer Flotte, was durch die ständigen Unwägbarkeiten der wirtschaftlichen Wellenbewegung innerhalb der Krisenjahre intensiver wurde, verlangt nach akkuraten Zahlen, validen Prognosen und dem Überblick, welche Aufgabe aktuell am dringlichsten ist. Als Heilmittel gilt fortan die Digitalisierung. Hier sieht die CEO die Flotten im deutschsprachigen Raum als "voranschreitend", auch wenn es eher kleine digitale Schritte als wahre Sprünge sind, so ihre Analyse. Dies hat zu einem gewissen Grad mit den Arbeitsweisen der Flottenmanager zu tun, wie Gervazio beobachtet hat. "Regelmäßige Anrufe sind für den Fuhrparkleiter Alltag." Der Flottenchef ist halt immer noch Stratege und operativer Mitarbeiter in einer Person, was einen konzentrierten Wandel verlangsamen kann, da ständig etwas Akutes dazwischenkommt. Dennoch bleibt auch künftig die Kommunikation mit den Dienstwagenfahrern das Kernelement seiner Arbeit, ist die Avrios-Chefin überzeugt, denn "etwa 70 Prozent der Tätigkeit eines Fuhrparkleiters haben mit den Anliegen der Dienstwagenfahrer zu tun".
Avrios: Kontakt zum Fahrer
Was hier helfen kann, sei zum einen eine Fahrer-App, die Antworten auf gleiche und wiederkehrende Fragen der Nutzer gibt und zum anderen das Outsourcing von Prozessen, wie dem Terminmanagement rund um den Dienstwagen, wie Reifen, Service etc. Wenn dies Mode würde, hätte es auch Einfluss auf di e Kundenbeziehung von Avrios. "Heute ist der Fuhrparkleiter zu 95 Prozent unser Ansprechpartner. In Zukunft werden Prozesse zunehmend digitalisiert, sodass die Dienstwagenfahrer mühelos und über verkürzte Kommunikationswege über uns Hilfe erhalten können, ohne den Fuhrparkleiter in die Details miteinbeziehen zu müssen."
In der Regel wählen die Fuhrparks zunächst einen Teilbereich ihrer Arbeit aus, um mit Avrios erstmals zusammenzuarbeiten. Dabei passiert sehr oft Folgendes, wie die CEO beschreibt: "Sobald Fuhrparks beginnen, einzelne Prozesse neu zu gestalten, öffnet sich die Tür für weitere digitale Hilfe von außen sehr schnell." Ein Gemeinschaftssinn entsteht, der die Basis ist für das gemeinsame Wachsen in der Zukunft.
Das Kernprodukt ist die datenbasierte Fuhrparksteuerung. "Der erste Schritt ist, sich von Excel zu lösen und Prozesse in die Cloud zu bringen. Darauf aufbauend kommen dann - wenn gewünscht - Zusatzelemente, wie die Führerscheinkontrolle oder das Schadenmanagement, hinzu. Etwa zehn Prozent der Kosten eines Fahrzeugs entfallen auf die administrativen Kosten. Es ist für Unternehmen ein großer finanzieller Hebel, diese Kosten durch effizientere und papierlose Prozesse zu senken."
Business Gateway: Technikgläubigkeit
Diesen Weg geht Gerald Kurz bereits sehr lange und findet ein passendes Bild dafür: "Wenn ich auf die vergangenen zwanzig Jahre in der Branche blicke, dann erinnert die Anfangszeit einen an eine Marslandung mit dem Ziel: Digitalisierung. Dies war ein Fremdwort. Daraufhin kauften die Firmen eine Menge Technik mit einer ,Produktdenke' ein und stellten fest, dass diese nicht immer kompatibel zur bestehenden Technik und zu ihren Abläufen war. Es gab also eine unglaubliche Technikgläubigkeit. Mittlerweile ändern sich aber parallel zur Technik auch die Prozesse und wir erleben einen neuerlichen Boom."
- Car Policy: So sieht eine Dienstwagenrichtlinie aus
- Fuhrparkleiter: Aufgaben, Verpflichtungen und Gehalt
- Fuhrparkmanagement: Das sind die fünf wichtigsten Aufgaben
- Fuhrpark: Definition und Organisation - das steckt dahinter
- Dienstrad: Was Fuhrparkmanager wissen müssen
Für Business Gateway, die Firma von Gerald Kurz, sind dies unter anderem die Leasinggeber - und im Grunde fehlt kaum ein namhafter Anbieter auf der Referenzliste -, die zum Beispiel das Handling der Rechnung an die Experten aus Oberbayern abgeben. Mittlerweile regeln die Profis den "Papierkram" von fast 550.000 Fahrzeugen volldigital. Schlanke, schnelle und zuverlässige Prozesse sind künftig kein Selbstzweck für Permanentoptimierer, sondern für alle Firmen nötig, da diese weniger Manpower benötigen.
Der Arbeitskräftemangel kommt als weiterer Beschleuniger hinzu. Laut Kurz spart Business Gateway gut 30 Prozent an Mitarbeiterzeit ein, das kann bei weniger digitalen Firmen auch schnell ein noch höherer Faktor sein. Bleibt die Frage, ob eine automatisierte Rechnungsprüfung in sensiblen Bereichen, wie dem Schadenmanagement, so gut sein kann wie der Prozess des Fuhrparkprofis, der in der Regel deutlich mehr als nur Formalien prüft. Kurz sieht in den KI-basierten Diensten mittlerweile auch qualitativ eine Alternative. Im Schadenmanagement etwa wird bei Business Gateway über eine Schnittstelle zu OE-Datenlieferanten die Rechnung inhaltlich nach definierten Vorgaben geprüft, bevor es die Freigabe gibt.
Carano: Kunden wandeln sich
Vor fünf Jahren war der Optimismus bei Kurz noch verhalten ausgeprägt, mittlerweile glaubt er aber fest daran, dass nicht nur alle von der Digitalisierung reden, sondern auch aktiver Teil von ihr werden - ob sie es wollen oder müssen, sei einmal dahingestellt. Letztlich sieht Kurz neben den äußeren Krisen (Corona, Inflation, Krieg) den mentalen Wandel der Mitarbeiter als inneren Treiber der Entwicklung, seine Arbeitszeit effektiver zu gestalten - Vier-Tage-Woche, weniger Dienstreisen etc. Dabei kann "effektiv" hier durchaus als ein Synonym für "digital" dienen.
Nicht nur das Verhältnis zu den Mitarbeitern, sondern auch das zu den Kunden wandelt sich. Damit diese funktionierenden Partnerschaften weiter bestehen können, wirkt die Veränderung in beide Richtungen, so auch im Fall jener fruchtbaren und dauerhaften Liaison (mehr als acht Jahre mittlerweile), die den Facility-Management-Riesen ISS mit dem Software-Anbieter Carano verbindet.
ISS bietet längst mehr als nur Gebäudeschutz und Reinigung an. So entwickelten die Berliner etwa eine eigene Catering-Linie für hochwertige Bioprodukte. So etwas gab es bis dahin nicht für Großabnehmer in Deutschland, berichtet Benjamin Simon. Zwei Jahre gibt es dies nun im Portfolio von ISS, was wichtige Gründe liefert, wenn Verträge auslaufen, denn man kann beweisen, dass man sich als Dienstleister stetig weiterentwickelt - wie eine Software.
"Wenn dieses leckere Bio-Essen in der Kantine dafür sorgt, dass mehr Mitarbeiter zurück ins Büro kommen, dann interessiert dies eine Menge Firmen, denn alle haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen", ergänzt Benjamin Simon, der General Manager ISS Energy Services ist. Dieses hybride Arbeiten - also mal im Büro, mal von zu Hause - wird bleiben. Das glaubt nicht nur Simon, sondern auch Hans-Joachim Guth, der Geschäftsführer von Carano und Gesprächspartner bei einem gemeinsamen Treffen in Berlin. Die Lehre aus dem Interview ist für beide die gleiche: Man sollte Netzwerke knüpfen und Partner einbinden, um gemeinsam zu lernen und besser zu werden. Dies gilt auch oder gerade für etablierte Prozesse.
Der Plattformgedanke lebt
So gab es seitens ISS einen Bedarf an Poolfahrzeugen, aber seitens Carano noch keine Softwarelösung für diese Art der Fahrzeugdisposition samt Schlüsselverwaltung. Also entwickelte man dies gemeinsam, wie Guth berichtet. Ganz wie es Dienstleister im Zusammenspiel mit ihren Kunden machen. Nun agiert Benjamin Simon aber ebenfalls als Dienstleister, nämlich als der interne Beauftragte, der die gut 3.000 Fahrzeuge von ISS in Deutschland managt sowie knapp 1.000 Einheiten von externen Kunden. Rollenbilder tauschen also.
Carano wiederum hat mit "Fleethouse" nun eine Umgebung geschaffen, an die diese Externen eingebunden werden können. Der Hub-Gedanke lebt also in Berlin-Steglitz auf. "Wir gehen hier in Vorleistung und investieren in eine Plattformtechnologie, um damit ein Produkt zu schaffen, das es ermöglicht, Fuhrparkmanagement neu zu denken." Dieser Satz von Guth hat Gewicht und beinhaltet eine zentrale Konsequenz, denn statt in stationäre Software-Lizenzen wandert alles in die Cloud. Das ändert auch den Umgang mit der Software selbst - so denkt man mittlerweile stärker über digitale Antragsstrecken nach, die im Selfservice des Kunden enden können, aber in jedem Fall einen volldigitalen Prozessweg erfordern. "Das ist das Ziel", betont Guth, denn weder ISS noch die anderen Carano-Kunden können bereits auf eine derartige Plattform zurückgreifen. Dass, wer Digitalisierung sagt, zwangsläufig auch Künstliche Intelligenz damit meint, ist indes für Guth nicht ausgemacht. "Viele Berechnungen und Überlegungen im Kontext des Fuhrparks brauchen allein den gesunden Menschenverstand, um effektiv gelöst zu werden", entmystifiziert er.
Software ersetzt niemanden
Die Angst, dass Digitalisierung gerade Angestellte, die Routinearbeiten erledigen, arbeitslos werden lässt, entkräftet wiede-rum Simon ein Stück weit: "Die Software bildet Arbeitsprozesse ab und hilft dem Nutzer, diese umzusetzen. Den Mitarbeiter brauche ich dennoch immer. Kündigt aber dieser Mitarbeiter, dann brauche ich einen Ersatz, der sich in der Regel erst in diese Themen einarbeiten muss. Ist nun die Software aber smart, dann kommt es hier zu keinen Brüchen und sorgt für Stabilität im System, da das Bedienen für einen Neuling leicht ist und parallel mehrere Mitarbeiter am gleichen Problem arbeiten können." Damit liefe alles wie in einer funktionierenden geschäftlichen Partnerschaft ab.