Von Heiko Lossie, dpa
Fischverarbeitung verzeiht keine Fehler. Wie eine Endloswurst quellen die Sushi-Zutaten in der Fischmanufaktur Deutsche See auf das Förderband, eine Mitarbeiterin formt die Masse zur Rolle – bei winterlichen Temperaturen und unter Hygieneregeln wie im OP-Saal. Seine Produkte fährt die Deutsche See über Nacht zu bundesweit 22 Drehkreuzen und weiter zu Sterneköchen, Kantinen oder zum Beispiel zu Rewe-Fischtheken. 450 Wagen hat der Fuhrpark der Bremerhavener, alle aus dem VW-Konzern. Die Mobilität ist das Rückgrat, neben Frische und Qualität. Jahrelange hielt die Partnerschaft mit VW. Nun gibt es Zoff.
Die Deutsche See fühlt sich im Licht des Diesel-Skandals arglistig getäuscht von den Wolfsburgern. Der David mit 1.700 Mitarbeitern will den Goliath Volkswagen, 610.000 Mitarbeiter stark, daher verklagen.
Der Vorwurf: Teil der Zusammenarbeit mit VW waren auch Vereinbarungen für gemeinsame Nachhaltigkeitsprojekte. Doch dem habe VW keine Taten folgen lassen, sagt Deutsche-See-Geschäftsführer Egbert Miebach. Er fürchtet, dass das System habe und der Wille zur Nachhaltigkeit oft nur ein Feigenblatt sei. "Wir haben ständig Angebote gemacht. Nichts ist passiert", kritisiert er. Wichtig ist ihm: "Interessant war es, einige sehr engagierte und anständige Mitarbeiter zu erleben, denen ich eine seriöse und glaubhafte Haltung zur Verbesserung der Welt, auch mit sehr kleinen Schritten, bis heute abnehme." Doch die fänden kein Gehör. Seit der Abgas-Affäre seien Miebachs Ansprechpartner auf Managementebene ohnehin ersetzt von Juristen und PR-Strategen. VW äußerte sich zu den Vorwürfen nicht – da die Klage nicht vorliege.
2010 nach dem Vertragsabschluss für die Flotte lobte die Deutsche See Volkswagen in einer gemeinsamen Pressemitteilung. VW garantiere die "umweltfreundlichsten, effizientesten und abgasärmsten Fahrzeuge". Man wolle die Nachhaltigkeit zusammen leben. Und VW-Manager Harald Schomburg bezeichnete die Bremerhavener als Partner, "für den wir exemplarisch den unabdingbaren Veränderungsprozess einer umweltverträglichen Mobilität vorantreiben".
Es geht um Glaubwürdigkeit
Europas größter Autobauer kennt viele juristischen Vorwürfe in der Abgas-Affäre. Es geht etwa um unlauteren Wettbewerb und Betrug, um verschleppte Informationspolitik, um Marktmanipulationen oder um den einen oder anderen Privatwagen, der zurückgenommen werden soll. Doch die anstehende Klage der Deutschen See zeigt einen neuen Aspekt, und das macht sie besonders: Es geht um Glaubwürdigkeit auch bei großen Kunden.
Dabei steht der damals beschworene "unabdingbare Veränderungsprozess einer umweltverträglichen Mobilität" seit dem Diesel-Desaster unter neuen Vorzeichen. "Wir sind tief enttäuscht über VW und fühlen uns hingehalten und betrogen, da die gemeinsam angedachte Partnerschaft im Bereich der Nachhaltigkeit nur von unserer Seite eingehalten wurde", sagt Miebach. Gespräche, das zu verändern, habe VW abgeblockt. Es regierten nun "Juristen und PR-Manager". Mit dem heutigen Wissen wäre der Vertrag nie entstanden.
2010 gewann die Deutsche See den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Das Unternehmen zeigt an vielen Praxisbeispielen, dass der Gedanke eben kein Feigenblatt sei, den wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Ressourcenschonung zu vereinen. Die Firma lebt von Lebewesen als Ertragsquellen, die auch in Zukunft nachwachsen müssen.
Auch E-Up im Einsatz
Diesel sind für den Mittelständler eine ökonomische Notwendigkeit. Doch die Deutsche See will auch Vorreiter sein: Seit 2014 liefern die Bremerhavener als nach eigenen Angaben bundesweit erstes Unternehmen frische Lebensmittel mit einem rein batteriebetriebenen Elektrowagen aus. Es ist ein E-Up von VW. Doch die Deutsche See kritisiert, Projekte wie die E-Fahrzeuge habe sie "ohne jegliche Unterstützung durch VW alleine vorangetrieben".
VW-Konzernchef Matthias Müller rief kürzlich seine Strategie 2025 aus. Deutschlands größter Konzern sei im "größten Veränderungsprozess in der Geschichte von Volkswagen". Ziel sei es, VW "zu einem der weltweit führenden Anbieter nachhaltiger Mobilität" zu machen. Miebach sagt: "Jeder vernünftige deutsche Bürger möchte eine starke Mobilitätsindustrie und damit auch eine zukunftsfähige VW-Welt." Gerade deshalb müsse Volkswagen Worten auch Taten folgen lassen.