Wer über Musik spricht – und sie nicht hört – braucht starke Bilder im Kopf, um die Sinne zu aktivieren. Greg Sikora schafft diese Bilder. Sikora ist Senior Director Automotive Acoustic Systems bei Harman. Also für die Produkte der Samsung-Tochter zuständig, die Entertainment in die Fahrzeuge bringen. Harman Kardon ist einigen sicher ein Begriff, der Hi-Fi-Spezialist gehört zum Markenportfolio von Harman. Die Ursprünge der Marke liegen in den USA. In den 1950er Jahren übernahm man den damaligen deutschen Autoradio- und Navi-Riesen Becker. Von der damaligen Weltmarke sind weder der Name noch die Produkte geblieben, lediglich der Unternehmenssitz in Karlsbad bei Karlsruhe wird von Harman Automotive, einer Tochtergesellschaft von Samsung, genutzt.
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Wir besuchen das Harman-Soundlabor in Garching bei München und merken schnell, dass Sikoras Herzblut ganz dem perfekten Autosound gehört. Seit 2006 arbeitet er zunächst als Toningenieur am perfekten Ton und ist über die Automotive-Sparte von Bang & Olufsen 2015 zu Harman gekommen. Hier leitet er die Ingenieure und Ingenieurinnen an, welche sich um das Design und die Klangabstimmung von Systemen für zahlreiche Automarken kümmern. Dabei laufen die eigenen Systeme unter den Labels Harman Kardon, Infinity, Revel, Mark Levinson, Lexicon oder JBL (die viele vor allem von den Bluetooth-Boxen kennen). In Lizenz werden die Systeme von Bang & Olufsen sowie Bowers & Wilkins angepasst und vertrieben.
Ein Besuch bei Harman
Harman Kardon, Bang & Olufsen
Räumlich betrachtet zieht sich die Suche nach dem Klangerlebnis einmal über den Erdball. Neben Deutschland sind weitere Soundlabs in den USA, in Südkorea, China sowie in Japan zu finden. Drei Wanduhren mit Ortszeiten (Novi/USA, Seoul und München) geben den Takt wieder, der sich um den Globus entspinnt. Gut 100 Experten tragen dafür Verantwortung. Damit weder jeder Markt noch jeder Sound-Ingenieure seinen eigenen musikalischen Vorlieben den Vorrang gibt, gibt es ein „Grundrezept für alle“, wie es Sikora nennt. Es sei wie in der Küche, wenn es darum geht, ein mehrgängiges Gericht gemeinsam zuzubereiten.
Es gilt, verschiedene Zutaten in eine perfekte Liaison zu bringen, damit am Ende ein Genusserlebnis steht. Die Rezeptur entwickelt man gemeinsam – in dem Fall natürlich in enger Abstimmung mit den Produzenten der externen Komponenten. Ansprechpartner und Auftraggeber zugleich sind die Autobauer, denn in ihre Fahrzeughülle packen die Harman-Profis ihre fein abgestimmten Technikpakete für jeden, der im Konfigurator den entsprechenden Haken setzt.
Car&Hifi: Ein langer Prozess
Das beschreibt den ersten Teil der Arbeit: Der Autobauer definiert gemeinsam mit Harman, welches Soundsystem mit welchen Einstellmöglichkeiten in welches Modell eingebaut werden soll. Das sind „die Zutaten“ für das „Gericht“ von dem Sikora spricht. Die Abstimmung mit den OEMs hängt unter anderem davon ab, wie stark dort das Thema Audio gespielt wird und welche Gestaltungsmöglichkeiten die eigene Sound-Abteilung hat, berichtet der Manager. Da gerade die Software-Abstimmung für die Klangfarben entscheidend ist, muss ein Zugang zu der Steuerung dieser Software im Fahrzeug geschaffen werden und hier ist vieles im Wandel, vor allem für alteingesessene Marken.
Denn jeder, der nicht Tesla heißt oder komplett als E-Fahrzeugmarke neu auf den Markt stößt, muss im Fahrzeug verschiedene Datenkreisläufe parallel überwachen und darüber einzelne Funktionen für das Fahren, für den Komfort oder fürs Entertainment an Bord steuern. Das ist für alle herausfordernd, bestätigt Sikora. Aber das gehört halt dazu, wenn zwischen der ersten Idee für ein Soundsystem bis zum Release im Auto mal fünf Jahre ins Land gehen können. Je früher die Tonmeister dabei aktiv mitwirken können, desto besser ist das Ergebnis. So zählen Ausdauer und Präzision zu den Grundtugenden der Tüftler aus Garching.
Gibt es einen Weltklang?
Hier in direkter Nachbarschaft von BMW und nicht weit weg von Audi tüfteln die Sound-Ingenieure an den Bässen, Mitten und Höhen. Gut 30 Manntage oder länger dauert es, bis alle Lautsprecher richtig justiert, platziert und feingetunt sind. Das Finalisieren – man könnte auch sagen das Abschmecken – dauert dann nochmal gut zehn Manntage. Das Herausarbeiten des richtigen Klangs ist also ein zeitintensiver Job für Expertinnen und Experten. Ein gutes Gehör hilft hier genauso wie eine gewisse Musikalität. Davon zeugen das Schlagzeug und diverse Gitarren, welche Sikoras Büro bevölkern. Eine „Haus-Band“ gibt es auch und mehrmals im Jahr spielt diese, wie aus dem Soundlab zu hören ist.
Letztlich – und das kennen wir von modernen Fahrzeugen – gilt es mittels der Software, die Kunst der Technik mit den Kundenwünschen in Einklang zu bekommen. Was die Frage aufwirft: Welchen Sound-Mix präferieren die Autokäufer weltweit? Hip-Hop-Bässe in den USA, Klassik-Klänge in Japan und unaufgeregten Pop in Europa? Diese Frage mag Greg Sikora besonders, denn um deren Antwort ranken viele Mythen und falsche Fährten.
A bit brighter
Sean Olive von Harman hat in vielen wissenschaftlichen Experimenten bewiesen, dass es so etwas wie eine universelle Wahrnehmung von guter Klangqualität gibt, berichtet Sikora. In seinen Experimenten bevorzugte die Mehrheit der Hörer und Hörerinnen (mehr als 70 Prozent) eine gewisse Ausgewogenheit des Klangs. Die anderen Befragten bevorzugten mehr Bässe oder weniger Höhen, was eher mit den Altersgruppen und dem Musikgeschmack zusammenhing.
Es gab aber keine signifikante kulturbedingte Korrelation mit dem Konzept der Klangqualität. Hier hält Sikora eine weitere passende Metapher parat. „Die Musik ist wie ein feiner Wein. Dieser stammt aus speziellen Trauben und kommt aus einer speziellen Region. Die Musik ist der Wein mit all seinen Facetten, das Audio-System wiederum ist das Glas, das diesen transportiert – es sollte transparent und perfekt geformt sein, um die Musikproduktion richtig zur Geltung zu bringen. Wenn also ein Musiker einen basslastigen Sound produziert, dann sollte dieser im Auto genauso basslastig klingen.“
Harman: Sicherheitssystem
BildergalerieHörprobe im i4 und XC60
Die Sub- und Lizenzmarken von Harman verleihen jedem Fahrzeug eine eigene Note, aber das passiert mehr über die verbauten Komponenten als über die Software, die im Soundlab eingestimmt wird. Also hören wir mal rein, denn die Klangexperten bitten zur Hörprobe (Hinweis: Ein Video davon finden sie auf Autoflotte.de). Ein Volvo XC60 sowie ein BMW i4 wurden für die redaktionellen Gäste vorbereitet. Man merkt schnell, dass Gäste hier gern gesehen sind, denn jeder Mitarbeiter möchte sein Wissen mit uns teilen.
So wie Philipp Göppl (Senior Manager Acoustic Systems Engineering Europe), der die Beifahrertür des BMW i4 öffnet. Statt auf dem Bass zu sitzen – wie bei der bayerischen Marke üblich –, sind die Basslautsprecher in die Türverkleidung eingearbeitet. Der Grund dafür ist ein schlichter: Den üblichen Platz nehmen im bayerischen Stromer die Hochvolt-Batterien ein. Eine der wesentlichen Vorzüge von Fahrzeugen, deren Kraft über einen vibrationsfreien Elektromotor erzeugt wird, ist die Ruhe an Bord während der Fahrt. Lediglich Wind- und Abrollgeräusche der Reifen erinnern daran, dass man in einem Auto sitzt.
Volvo XC60 mit Bowers & Wilkins
Anders ist es beim Starten des Diesels im zweiten Probanden, dem Volvo-SUV, denn parallel zum Losfahren zieht das Soundsystem automatisch das Volumen etwas nach oben, um gegen die Anfahrgeräusche zu wirken. Allerdings treffen sich beide Sound-Probanden bei Tempo 50 bis 60 dann wieder, denn dann übernehmen in beiden Fällen der Fahrtwind und die Abrollgeräusche der Reifen die Leitung für die Soundkulisse, gegen die die Audioanlage arbeitet.
Eine der zentralen Regeln lautet: Je mehr Raum ein Cockpit bietet, desto mehr Tiefenlautsprecher und größere Subwoofer braucht es an Bord. In kleineren Autos muss halt weniger Luft in Schwingung versetzt werden, um Klangwellen entstehen zu lassen. Im SUV wiederum gehört der Kofferraum zum Klangkörper dazu, weshalb im Volvo XC60 auch hinter der C-Säule Lautsprecher verbaut sind und sich der Subwoofer um den Radkasten legt (denn im Kofferraum ist kein Platz für ihn). Im BMW i4 ist der Subwoofer im Kofferraum, und nicht unter den Sitzen. Das ist kein Nachteil, da der Kofferraum akustisch nicht von der Fahrerkabine getrennt ist.
Captain's Seats & Sound-Felder
Am Ende ist dies aber auch egal, denn der Autofahrer hört nach dem Feintuning der Profis nicht die einzelnen Lautsprecher, sondern den Klang in Gänze – so wie im Volvo, wenn der Sound-Generator auf „Gotenborg Concert Hall“ gestellt ist. An den Reglern der Bowers & Wilkins-Anlage sitzt Johan Frölén (Director Sell through Volvo Cars, Polestar) und erklärt, warum diese Anlage für die Stimmenwiedergabe besonders gut geeignet ist, also perfekt für alle Klassikfreunde ist.
Eine bedeutende Wendung wird dieses Zusammenspiel von Audiotechnik und Software erleben, sobald der Rezipient im Auto von vorn links nach hinten auf die Rücksitze wechselt, wenn nämlich das autonome Fahren jeden an Bord zum Passagier degradiert. Was wird sich dann ändern, fragen wir Greg Sikora. Heute schon gibt es zahlreiche Systeme wie Bang & Olufsen für einige Audi-Modelle, in denen jeder Sitz sein eigenes Sound-Setting erhält. Sogenannte „Captain's Seats“ für Chauffeurdienste etwa heben die Rücksitzpassagiere heute schon in den Rang eines Klang-VIPs. Künftig wird es statt dieser starren Zuordnung der besten Plätze sogenannte Sound-Felder geben, die mit dem Passagier den Sitz und damit ihren Wirkraum wechseln können. Parallel wandern mehr Lautsprecher in den Sitz selbst. Aber das ist noch … Zukunftsmusik.