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40 Jahre Gurtpflicht: Hilfe, meine Bluse knittert!

25.04.2016 10:45 Uhr
40 Jahre Gurtpflicht: Hilfe, meine Bluse knittert!
Dass bei Frauen der Busen plattgedrückt oder die Kleidung durch den Leibriemen zerknittert werde, waren gängige Argumentationen der Gurt-Gegner - ihnen begegneten verschiedene Kampagnen, unter anderem diese des DVR von 1974.
© Foto: DVR

Anfang der 70er gab es einen regelrechten Glaubenskrieg um die Anschnallpflicht. Erst Jahre später hat es bei der Mehrheit "Klick" gemacht.

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Von Hanne Lübbehüsen/SP-X

In den wilden 70ern herrschte hinterm Steuer Anarchie: Nur etwa fünf bis 15 Prozent der Autofahrer trugen einen Sicherheitsgurt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt seit langem klar war, dass es sich angeschnallt sicherer fährt und etwa jedes fünfte Auto 1975 sogar schon mit modernen Automatik-Dreipunktgurten ausgerüstet war, schnallten sich die Mehrheit der Insassen einfach nicht an. Die Gründe waren so vielfältig wie skurril. Und das Thema so brisant, dass die Politik zwar 1976 eine Gurtpflicht einführte – das Nichtanschnallen aber nicht bestrafte. Was war da los?

Mit zunehmender Motorisierung traten auch ihre Schattenseiten in das Bewusstsein der Öffentlichkeit: Zwischen 1960 und 1970 verdoppelte sich der Pkw-Bestand auf Deutschlands Straßen, die Zahl der Unfallopfer erreichte 1970 mit 21.300 einen Höchststand. Schon 1961 stellte die Verkehrssicherheitskonferenz fest, dass Autofahrer vor Tod oder schweren Verletzungen geschützt werden können, wenn sie Sicherheitsgurt tragen. Zudem versprach sie sich eine Verringerung der Todesfälle beziehungsweise Schwerverletzten um 50 bis 60 Prozent, wie aus einer Veröffentlichung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) hervorgeht.

Der Dreipunkt-Sicherheitsgurt – bis heute Standard im Autobau – war zu dieser Zeit bereits erfunden: Der schwedische Volvo-Ingenieur Niel Bohlin kombinierte die bis dahin verwendeten Becken- und Schultergurte zu einer Konstruktion, so dass Becken und Schulter des Insassen gleichzeitig fixiert werden. Zuvor bestand beim Beckengurt die Gefahr, dass der Oberkörper bei einem Unfall klappmesserartig nach vorn knickte, der nur mit einem Schultergurt gesicherte Insasse konnte leicht unter der Befestigung durchrutschen. Das erste Auto mit serienmäßigem Dreipunktgurt auf den Vordersitzen war 1959 ein Volvo PV 544.

Sicherheitsgurte konnten Ende der 60er Jahre bestellt werden

In den 1960er Jahren waren Sicherheitsgurte – Becken-, Schulter-, später Dreipunkt-Gurte - in deutschen Fahrzeugmodellen auf Wunsch erhältlich. Volkswagen beispielsweise versah seine Fahrzeuge ab 1960 mit Gurtvorbereitungen ab Werk, bei Opel konnten ab 1968 unter anderem Kadett, Admiral und Diplomat mit Vordersitzgurten bestellt werden.

Üblich war der Statik-Gurt, der vor dem Anlegen auf Umfang und Sitzposition des Passagiers angepasst werden musste und nicht nachgab - das war unbequem und umständlich. Wurde der Gurt trotz allem angelegt, dann häufig zu lose, damit er nicht so einengte, und konnte nicht richtig schützen. Der Dreipunktgurt mit Aufroll-Automatik löste schließlich das Bequemlichkeits-Problem, 1975 war immerhin jedes fünfte Auto mit den modernen Gurten ausgerüstet. Bereits 1974 verpflichtete der Gesetzgeber die Autoindustrie, bei neu zugelassenen Autos Sicherheitsgurte auf den Vordersitzen einzubauen. Anlegen wollten sie aber, wie gesagt, nur ein Bruchteil der Autofahrer.

Skurrile Grüne für "Gurtallergie"

Die Gurtallergie hatte aus heutiger Sicht teils skurril anmutende Gründe, mit denen sich sogar psychologische Studien beschäftigten. Heraus kam: Der Sicherheitsgurt wurde primär mit den Gefahren eines Unfalls und seinen Folgen assoziiert, erst sekundär mit seiner eigentlichen Funktion, nämlich vor diesen Gefahren zu schützen, heißt es in einer Veröffentlichung des Verkehrssicherheitsrats.

Ein großer Teil der Autofahrer hatte Angst, aufgrund des Sicherheitsgurtes das Auto bei einem Brand nicht schnell genug verlassen zu können. Andere fürchteten, bei einem Unfall durch den Gurt selbst verletzt zu werden. Auch, dass bei Frauen der Busen plattgedrückt oder die Kleidung durch den Leibriemen zerknittert werde, waren gängige Argumentationen. Vor allem schien das Anlegen des Gurtes Autofahrer in ihrem Freiheitsgefühl einzuschränken, viele verbanden mit ihm die Vorstellung der Fesselung.

Trotz intensiver Sicherheitsaufklärung des Verkehrsministeriums, Pro-Gurt-Aktionen von Automobilclubs und DVR ("Könner tragen Gurt", "Klick. Erst gurten – dann starten") und drastischer Unfallbeispiele in der ARD-Verkehrssendung "Der 7. Sinn" änderte sich an der Gurtanlegequote kaum etwas. Eine Anschnallpflicht per Gesetz war umstritten – auch juristisch: Darf der Staat den Einzelnen zwingen, etwas zu tun, das seinem eigenen Schutz dient? Viele sahen die persönliche Freiheit in unzumutbarer Weise eingeschränkt.

Anschnallpflicht ab 1976

Zum 1. Januar 1976 trat trotzdem die Anschnallpflicht auf den Vordersitzen in Kraft – allerdings nur äußerst halbherzig: Denn es gab zwar die Pflicht, aber keine Sanktion, wenn man sich nicht anschnallte. Die Gurtanlegequote stieg dementsprechend wenig: Legten 1975 nach Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen 39 Prozent den Gurt an, nutzen ab 1976 zwischen 50 und 60 Prozent der Autofahrer den Sicherheitsgurt. Innerhalb von neun Jahren stieg trotz intensiver Aufklärungsmaßnahmen die durchschnittliche Anlegequote auf 58 Prozent. Das änderte sich erst, dann aber schlagartig, als 1984 ein Verwarngeld von 40 Mark eingeführt wurde: Im September 1984 schnallten sich 92 Prozent der Autofahrer an. Ab 1984 wurde auch das Anschnallen auf der Rückbank Pflicht.

Untersuchungen zeigten später die Wirksamkeit der Gurtanlegepflicht. So zitiert der Deutsche Verkehrssicherheitsrat aus einer Studie von 1990: Ohne Bußgeld und Rücksitz-Anschnallpflicht wären auf im Jahr 1985 28 Prozent mehr Menschen im Straßenverkehr ums Leben gekommen.

Heute stellt kaum jemand mehr das Anschnallen im Auto ernsthaft in Frage, der Sicherheitsgurt gilt als Lebensretter Nummer eins – noch vor dem Airbag. 98 Prozent aller Autofahrer schnallen sich an, so die Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen. Seit 2002 sind die optischen und akustischen Gurtwarner Bestandteil der Prüfungen der Crashtest-Organisation Euro-NCAP. Uns erinnern die Gurtpiepser lautstark daran, "Klick" zu machen.

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