Von Michael Lennartz/sp-x
Mercedes hat seine AMG-Schmiede, BMW die M GmbH und die R- und RS-Modelle von Audi entstehen in der Quattro-Abteilung – jede Premium-Marke, die etwas auf sich hält, überlässt die Entwicklung so genannter Performance Cars längst den hauseigenen Tuningabteilungen. Das ist gut fürs Image. Und das ist noch besser fürs Geschäft. Kein Wunder, dass auch Volvo in dieser Hinsicht keine halben Sachen mehr machen will und die Limousine S60 sowie deren Kombi-Ableger V60 erstmals als vollwertige, eigene Polestar-Modelle einführt. Die "leistungsstärksten Volvo-Serienmodelle aller Zeiten", wie die Schweden ihre auf 270 kW / 367 PS gesteigerten Top-Versionen der 60er-Baureihe selbst anpreisen, sind ab sofort zu Preisen ab 57.143 Euro netto für den S60 und 57.983 netto Euro für den V60 im Handel.
Von Volvo-Insiderkreisen einmal abgesehen dürfte Polestar in diesem Zusammenhang für viele die große Unbekannte sein. Die Partnerschaft mit dem ebenfalls schwedischen Unternehmen, das damals noch unter dem Namen "Flash Engineering" ausschließlich auf Motorsport-Aktivitäten fokussiert war, begann bereits 1996. Daraus entwickelte sich nach immer intensiverer Zusammenarbeit im Jahr 2009 Polestar als offizieller Performance-Partner von Volvo, der sich vor allem auf die Leistungssteigerung durch ein Software-Update spezialisierte. Mehr als 150 unterschiedliche Varianten fast der gesamten Benziner- und Dieselpalette von Volvo konnten auf diese Weise in über 62 Ländern dieser Erde gedopt werden. Summa summarum wurden weltweit rund 100.000 Fahrzeuge in den vergangenen Jahren einer solchen Kraftkur unterzogen.
Doch das war dem Pkw-Hersteller noch nicht genug. Im vergangenen Jahr hat die Volvo Car Group Polestar zu 100 Prozent übernommen und möchte die nunmehr eigene Performance-Marke nach dem AMG-Muster ähnlich breit aufstellen. So gibt es neben dem Software-Tuning die Sparte "Performance Parts", die neben Spoilern, Diffusoren und anderen Design-Elementen auch Sportfahrwerke und Abgasanlagen - zunächst für den V40 sowie die 60er-Modelle S, V und XC – anbietet. Und als Krönung gewissermaßen soll Polestar komplette Fahrzeuge entwickeln, die als sportliche Topversionen die Speerspitze der jeweiligen Baureihe darstellen. Den Anfang machen eben der S60 und V60.
Mehr als 50 Modifikationen
Zwar dienen die Serienmodelle von Limousine und Kombi als Basis für die Polestar-Versionen, mehr als 50 Modifikationen verwandeln die eher braven Nordlichter aber in einen Sportwagen für jeden Tag und jede Gelegenheit. Dazu gehören etwa ein Öhlins-Sportfahrwerk mit voll einstellbaren Stoßdämpfern, Brembo-Bremsen, auch optische Aufwertungen wie Frontsplitter, Heckspoiler und Diffusor oder auch Sportsitze mit Charcoal-Nubukleder und blaue Ziernähte im Innenraum. Aber im Mittelpunkt steht natürlich die Steigerung des 2,0-Liter- Benzin-Direkteinspritzers T6.
Ja, auch Polestar musste sich der unumstößlichen Tatsache unterwerfen, dass Volvo ausschließlich noch Vierzylindermotoren anbietet. Mit 270 kW / 367 PS ist daraus dennoch ein regelrechter Muskelprotz geworden, der zudem ein maximales Drehmoment von 470 Nm entwickelt und mit 4,7 Sekunden für den Standardsprint von 0 auf 100 km/h das 60er-Duo zu den schnellsten Serien-Volvos der Geschichte stempelt. Die Höchstgeschwindigkeit wird aber auch hier bei Tempo 250 abgeregelt.
Dass die Polestar-60er beim Kraftstoffverbrauch die Normrunde mit 7,8 (Limousine) und 8,1 Litern (Kombi) je 100 Kilometer absolvieren, mag als akzeptabler Wert in die Statistik eingehen. In der Praxis dürfte es eher schwierig werden, einen einstelligen Wert vor dem Komma zu erreichen, sofern man sich am Steuer nicht ständig als Spaßbremse selbst kasteit. Auf unseren Testrunden im Salzburger Land und über die Großglockner-Hochalpenstraße lagen wir jedenfalls über elf Litern.
Keine Zweifel an den dynamischen Qualitäten
Auf dem kurvigen Alpenkurs hinterließ der Volvo S60 Polestar aber keinerlei Zweifel an seinen dynamischen Qualitäten. Das straffe Sportfahrwerk steckt kurze Fahrbahnstöße trocken weg und malträtiert die Insassen nicht über Gebühr. Der Motor macht sich mit einem sonoren Brabbeln bemerkbar, klingt aber wie – naja, ein Vierzylinder eben. Die Kraftübertragung erfolgt an alle vier Räder (AWD) über eine Achtgang-Automatik, die nochmals schnellere Schaltzeiten ermöglicht. Im Sport-Modus sorgt die neue "Curve-hold"-Funktion dafür, dass der gewählte Gang in Kurven gehalten wird, was das Herausbeschleunigen aus der Biegung optimiert.
Es gibt auch einen Getriebemodus "Sport+", der mit "seiner extremen sportlichen Charakteristik und einem direkten Ansprechverhalten eine besonders engagierte und aktive Fahrweise" (O-Ton Volvo) unterstützen soll. Doch das ist eine Sache für sich. Denn um in den "Sport+"-Modus umzuschalten, muss man – Achtung! – erstens den Wagen zum Stillstand bringen, dann den Automatik-Wahlhebel in die Stellung S bringen, dann den Hebel nach vorn gedrückt halten und dabei gleichzeitig das Schaltpaddel zweimal am Lenkrad bedienen. Umständlicher geht's nimmer.
Der S60-Polestar, der auch als Grundlage für die neuen Volvo-Rennwagen in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft herhalten muss, sowie sein Kombi-Pendant werden auf jeden Fall eine Rarität bleiben. 1.500 Exemplare (1.000 Limousinen und 500 Kombis) sind maximal per annum vorgesehen – weltweit! Für Deutschland sind rund 10 Prozent, also etwa 150 Fahrzeuge vorgesehen. Was auf den ersten Blick kaum den großen Durchbruch der Performance-Tochter erwarten lässt. Bei Volvo ist man aber zuversichtlich, dass die neuen Modelle Image und Bekanntheitsgrad spürbar steigern und damit auch auf die anderen Angebote mit den Software-Updates und den Performance Parts abstrahlen.