Von Alexandra Felts/SP-X
Verschlungene Straßen durch den Taunus, dazu dieser Aprilsommer – eigentlich das Terrain eines Roadsters. Diese Passagen ausgerechnet in einem Elektroauto der Kompaktklasse genießen zu können, das weder durch Schwanken noch schwammiges Lenken auffällt, verrät viel über Fortschritt und Anspruch dieser Antriebsvariante. Die zweite Generation des weltweiten Bestsellers Leaf soll beweisen, dass ein rein batteriebetriebenes Fahrzeug in der Normalität angekommen ist, so Nissan. Rund 3.000 Fans haben bereits einen Kaufvertrag für den Neuen unterschrieben und mindestens 26.848 Euro netto investiert.
Kenner dürfte das blinde Vertrauen in die zweite Auflage des 2010 vorgestellten Leaf nicht enttäuschen. Aber es sollen neue Kunden von der Alltagstauglichkeit des alternativen Antriebsstrangs überzeugt werden. Sie erwartet zunächst mehr Leistung. Im Vergleich zum Vorgänger wurde der Akku von 30 kWh auf 40 kWh erhöht, statt wie bisher 80 kW / 109 PS leistet der E-Motor jetzt 100 kW / 150 PS. Mit einem Drehmoment von achtbaren 320 Newtonmeter hat der Leaf 2 hier 26 Prozent zugelegt.
Gerade die typische, ansatzlose Beschleunigung eines Stromers fasziniert immer wieder Neueinsteiger. 100 km/h sind schon in 7,9 Sekunden erreicht. Für die verbesserten Werte musste der Stromspeicher nicht selbst wachsen, denn die Energiedichte konnte um 67 Prozent erhöht werden. Übersetzt in die Kernfrage der absoluten Reichweite bedeutet das: Nach dem bisher geltenden NEFZ-Zyklus kommt man 378 Kilometer weit. Laut neuem, praxisnäheren WLTP-Testverfahren sind in der Stadt 415 Kilometer mit einer Akkuladung möglich, bei kombinierten Stadt- und Überlandfahrten bis zu 258 Kilometer. Wer ankommen will, sollte aber die Spitzengeschwindigkeit von 144 km/h nicht allzu lange strapazieren. 2019 bringt Nissan auch noch einen Power-Leaf mit 60 kWh.
Debüt für E-Pedal
Dass bei den ersten Testfahrten rund um Wiesbaden, auf kurvigen Landstraßen und auf der Autobahn auch nach gut 160 Kilometern mit einem Rest von 49 Prozent immer noch genug Energie für Unvorhergesehenes bleibt, liegt an den diversen Möglichkeiten der Rekuperation. Wie beim Vorgängermodell kann man über den blau illuminierten Gangwahlhebel in der Mittelkonsole im Modus B mehr Energie zurückgewinnen und an die Batterie schicken. Neu ist hingegen die Taste für das serienmäßige E-Pedal. Die Technik vereint Bremsen und Beschleunigen im Gas-Pedal und ist beispielsweise aus dem BMW i3, Smart Fortwo oder Opel Ampera-e bekannt. Im neuen Leaf gibt sie ein überzeugendes Debüt. Ist der E-Pedal-Modus aktiviert, verlangsamt sich der Leaf beim Loslassen des Gas-Pedals nur durch die Rekuperation der Bremsenergie bis zum Stillstand. Zum Anfahren und Beschleunigen gibt man wieder ganz normal Gas. Laut Nissan sollen so tatsächlich 100 Prozent der Energie rekuperiert werden. Es dauert tatsächlich nur Minuten, bis man gelernt hat, das eigentliche Bremspedal in den vorübergehenden Ruhezustand zu schicken. Neu ist auch eine optionale Wärmepumpe, die gerade im Winter helfen soll, weniger kostbaren Strom für das Heizen nutzen zu müssen.
Inzwischen gibt es in Deutschland rund 6.500 Ladestationen. Dort kann der Leaf über ein Typ-2-Kabel (bis zu 6,6 kW) oder per Gleichstrom mit dem Chademo-Stecker (bis zu 50 kW) geladen werden. Eine Nissan-Smartphone-App informiert über die Standorte. An der Haushaltssteckdose, so der japanische Hersteller, braucht der Leaf gut 16 Stunden um die Akkus zu füllen. An der Schnellladestation soll das Energiemanagement 40 Minuten für 80 Prozent benötigen. Damit man sich beim Laden nicht bücken muss, wurde der Winkel der Buchse, die unter einer Klappe an der Front des Fahrzeugs sitzt, verändert.
Teilautonom fahren
Der Leaf ist jetzt mit einer Reihe von Fahrerassistenzsystemen sowie Kameras und Sensoren gespickt. Aber zu den Highlights der neuen Generation gehört mit "Pro-Pilot" die Premiere des teilautonomen Fahrens. Bedient man die Tastenfolge am Lenkrad, reiht sich das Auto hinter dem Vorausfahrenden ein, hält auch bei Stop-and-Go-Verkehr konstant Abstand und lenkt selbstständig. Allerdings reagiert das System allergisch, wenn man die Hände vom Lenkrad löst und warnt unmissverständlich. Zum Paket der Neuheiten gehört auch der vollautomatische Park-Assistent (Aufpreis: 1.200 Euro). Und in puncto Sicherheit hat sich der Leaf 2 gerade mit fünf Sternen die Bestwerte bei den Euro-NCAP-Crashtests geholt.
Nissan Leaf (2018)
BildergalerieAutomobildesigner haben in den letzten Jahren immer wieder betont, dass alternative Antriebe eine andere Architektur verlangen, allein schon, weil Verbrenner wie Getriebetunnel überflüssig geworden sind. Anders als sein extrovertierter Vorgänger wirkt der neue Leaf aber geradezu betont konventionell, mit einem Schuss Design vom kleinen SUV Juke. Er ist eindeutig kantiger geworden und blickt aus zwei viereckigen LED-Scheinwerfern. Hinten sind die schmalen Heckleuchten in die Seiten gezogen, gekrönt von einem ins Fensterdesign integrierten Heckspoiler. Vielleicht um optisch den Einstieg in die neue Mobilität nicht ganz so krass ausfallen zu lassen, besitzt der Leaf sogar einen Kühlergrill, zwar geschlossen und schimmernd, aber als Blickfang umrahmt von Chromelementen.
Sanftes Surren vernehmbar
Den Spagat zwischen Tradition und Zukunft erlebt man auch im Cockpit. Hinter dem leider nur höhenverstellbaren Lenkrad sitzt ein konventioneller Tacho direkt neben der Bildfläche, die über Ladezustand, Reichweite und Stand der Rekuperation informiert. Aber gerade weil der Leaf bereits teilautonom bewegt werden kann, ist das Navi umso ärgerlicher. Nicht nur die Darstellung der Route hinkt optisch hinterher, auch die Ansagen kommen schleppend und manchmal schlicht zu spät. Der Leaf ist nur unmerklich länger geworden, aber die Abmessungen des komfortablen Innenraums sind gleich geblieben, die Sitze hochwertig. Nissan hat sich auch noch die Dämmung vorgenommen, so, dass man jetzt kaum noch Wind oder Abrollgeräusche der Reifen vernimmt. Nur sanftes, charakteristisches Surren.
Alle vier Ausstattungsvarianten des Leaf werden mit der neuen 40 kWh-Batterie ausgeliefert. Beim höherpreisigen N-Connecta (37.450 Euro) und dem Topmodell Tekna (38.850 Euro) ist beispielsweise die Assistentenbündelung Pro-Pilot serienmäßig. Unser Testwagen war ein voll ausgestatteter Tekna im Wert von 40.900 Euro, inklusive Ledersitzen und Sitzheizung. Relativ zu den Mitbewerbern ist das ein wettbewerbsfähiger Preis. Der Leaf setzt zum Sprung an - vom Zweit- oder Drittwagen für Strompioniere in der Stadt zum echten Erstauto.