Von Peter Eck
Wenn Mercedes eine neue S-Klasse auf den Markt bringt, dann war den Schwaben die Aufmerksamkeit der Autowelt bislang immer gewiss. Das galt auch für die letzte Generation der Oberklasse, die 2013 vorgestellt wurde und jetzt einer neuen S-Klasse weichen muss. Doch diesmal scheinen die Dinge zumindest hierzulande etwas anders zu laufen, alle Aufmerksamkeit zieht die ab 81.500 Euro (brutto, 16 Prozent Mehrwertsteuer) für den S 350 Diesel erhältliche Luxuslimousine nicht mehr auf sich. Zu sehr ist die Autowelt im Wandel, steht das Auto als solches im Feuer; selbst im eigenen Haus erwächst ihr ab dem kommenden Jahr mit dem vollelektrischen EQS mächtig Konkurrenz. Ein automobiles Statement, das "wieder die Schlagzahl in der Automobilindustrie bestimmen wird", wie der Produktleiter der S-Klasse Uwe Ernstberger meint, ist die neue S-Klasse aber allemal – und wie und je vollgestopft mit neuen, weiterentwickelten oder mindestens verbesserten Technologien.
Diese alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Beginnen wir lieber mit dem Design, das aufschlussreiche Rückschlüsse auf die Vermarktung des Fahrzeugs zulässt. Denn ein Blick auf den mächtigen Kühlergrill zeigt schon, dass nicht mehr allein der europäische Geschmack ausschlaggebend gewesen ist. Hier lässt vielmehr Asien und speziell China grüßen, wo man (finanziellen) Erfolg gerne auch optisch zeigt. Dass Mercedes dies aufgreift, ist letztlich nur konsequent, wurde von den 500.000 Exemplaren der letzten Generation doch bereits ein Drittel nach China verkauft. Auch die Tatsache, dass insgesamt 90 Prozent dieser S-Klassen über den optionalen langen Radstand verfügten, unterstreicht dies.
Optisch eher zurückhaltend
Andererseits: Von der Prestigegelüste befriedigenden Front einmal abgesehen, gibt sich die S-Klasse optisch eher zurückhaltend. Im Vergleich zum Vorgängermodell sind die Flächen zwar modulierter und damit muskulöser gestaltet, kommen aber mit weniger Karosseriefalzen aus. Zusammen mit dem eher braven Heck mit seinen jetzt zweiteiligen Leuchten ergibt sich ein nachgerade vornehmer, mindestens aber langlebiger Auftritt. Diese S-Klasse wird - vielleicht wie heute ein alter Jaguar XJ - auch noch in zehn oder 20 Jahren gut aussehen.
Beim Antrieb geht es zunächst konventionell zu. Es stehen Benziner und Diesel mit je sechs Zylindern zur Verfügung. In wenigen Wochen folgt der Achtzylinder, der wohl vor allem in den USA als zweitwichtigstem Markt Anklang finden wird. Und kommendes Jahr bringt Mercedes dann eine Plug-in-Version, die es immerhin auf 100 Kilometer rein elektrische Reichweite bringen soll und damit im Alltag sogar mehr sein kann, als ein grünes Feigenblatt.
Mercedes-Benz S-Klasse (2021)
BildergalerieWir steigen ein in den mit jeder Menge Zusatzausstattung versehenen S 500 mit Allradantrieb und treffen auf ein Interieur, dass man in dieser Mischung aus feinen Materialen, tollen Sitzen, modernem Infotainment und penibler Verarbeitung so noch nicht gesehen hat. Kunststück, mag so mancher jetzt denken, schließlich ist die S-Klasse ja im Moment auch das aktuellste Modell in ihrem Segment, zu dem man in Deutschland sowieso sonst nur den Audi A8 ,den BMW 7er und den in nur winzigen Dosen verkauften Lexus LS zählen darf.
Ins Auge fällt vor allem das riesige Display in der Mitte, über das Infotainment, Fahrzeugeinstellungen, Navigation und vieles mehr gesteuert wird. Dabei muss man gar nicht so häufig auf dem brillanten Display rumtatschen, denn die meisten Befehle setzt auch die zweite Generation des MBUX-Systems nach der Aufforderung "Hey Mercedes" sicher um. Die freundliche Dame erklärt jetzt nicht nur alle Fahrzeugfunktionen, man kann ihr auch allgemeine Fragen (Wann begann der "Wiener Kongress"?) stellen und darf auf eine richtige Antwort hoffen.
Schweben wie Gott in Schwaben
Den größten Eindruck hinterlässt die neue S-Klasse bei der Fahrt. Man schwebt wie Gott in Schwaben, um es auf den Punkt zu bringen. Im Innenraum ist es selbst bei Tempo 180 so leise, dass man sich im Flüsterton unterhalten kann. Dazu trägt sicher bei, dass Mercedes einige Rohbauprofile vor der Montage erstmals mit sogenanntem Akustikschaum bearbeitet, was die Schalldichtheit nachhaltig verbessert. Vom immerhin 320 kW / 435 PS mobilisierenden Sechszylinder-Benziner ist nur dann etwas mehr zu hören, wenn man das Gaspedal nachdrücklich tritt. Die serienmäßig Luftfederung ist sowieso klasse, kann aber durch die sogenannte E-Active Body Control erweitert werden, eine teiltragende Hydropneumatik, die den Fahrzeugaufbau aktiv abstützt und dämpft. Wer das ordert, verfügt auch über das sogenannte Pre-Safe-Impuls, eine weiter der ungezählten Neuheiten in der Luxuslimousine: Wenn die seitlichen Sensoren einen potenziellen Seitencrash frühzeitig erkennen, wird das Fahrzeug um bis zu acht Zentimeter angehoben, damit die Energie des Unfallgegners möglichst auf die harte Türschwellerstruktur gelenkt und die eigentliche Türstruktur entlastet wird.
Leichtfüßig und agil
Frappierend ist auch, wie leichtfüßig und agil sich die immerhin 5,18 Meter oder in der Langversion gar 5,29 Meter messende S-Klasse etwa im Stadtverkehr oder in Serpentinen fährt. Nicht zuletzt auch ein Verdienst der Hinterachslenkung, die je nach Situation die Hinterräder in die gleiche Richtung wie die Vorderräder oder entgegengesetzt einschlägt. Im ersten Fall sorgt dies bei höheren Geschwindigkeiten für mehr Stabilität, im zweiten Fall für einen um bis zu zwei Meter kleineren Wendekreis.
Viele der technischen Neuheiten und feinen Ausstattungen müssen natürlich leider extra bezahlt werden, so dass die S-Klasse weiterhin bleibt was sie immer war: ein Fahrzeug für Vorstände und Geschäftsführer, eine tolle Reise- und Chauffeurlimousine für Menschen, die sich tolle Reisen und Chauffeure leisten können. Uns dagegen bleibt die Hoffnung, dass wir einige der Leckerbissen aus der neuen Luxusklasse über kurz oder lang auch in Fahrzeugen wiederfinden werden, die für den Normalbürger erschwinglich sind. Immerhin: Das war in 70 Jahren automobiler Mercedes-Luxus bislang häufig so.