Von Rocco Swantusch
Unter den Augen der Stadtplaner vollzog sich der urbane Wandel in verschiedenen Abschnitten: Aus der "Umhergeh-Stadt" der 1960er/1970er, die von breiten Fußgängerzonen durchwoben war und in der das Schritttempo das Maß der Dinge war, wurde die "Auto-Stadt" mit einem Pulsschlag von 60 Stundenkilometern. Fortan nutzten die Einwohner ihre "Sitz-Stadt" in den 1990er Jahren, um passiv das übrige Treiben zu verfolgen. Seit den Nuller-Jahren dreht es sich ins Aktive. Jogger und Radfahrer sorgen für eine Wuseligkeit, in die auch der neue Mercedes-Benz Citan passt.
Der City-Transporter ist immer noch ein Gemeinschaftswerk mit dem Partner Renault/Nissan/Mitsubishi, nur wurde nicht wie in der Vorgänger-Generation der Stern einfach auf ein bestehendes Modell gepackt, sondern von französischen und deutschen Ingenieure eine neue Grundkonstruktion entworfen, die auch für die angekündigte Elektro-Version funktionieren soll – dazu später mehr.
Platz für zwei Europaletten
Blickt man nun auf die Front des kleinsten Mercedes-Benz, entdeckt man sofort einen kleinen Sprinter. Mit dem aktuell verfügbaren kurzen Radstand (2.716 mm) misst die Länge des Laderaums immerhin 3,05 Meter (mit flexibler Trennwand) bei einer Fahrzeuglänge von knapp 4,50 Meter. Geladen werden kann über die optionalen Schiebetüren, die bis zu 615 Millimeter breit öffnen oder über das Heck. Die asymmetrisch geteilten Portale schwenken um bis zu 180 Grad und geben eine Ladeluke frei, die sich 59 Zentimeter vom Boden abhebt und Platz für zwei Europaletten bietet. Im Inneren sorgt eine LED-Leuchte mit sechs Dioden für den Überblick. Hier stehen dann maximal 2,9 Kubikmeter Laderaum zur Verfügung. Wenn man im Konfigurator bei "erhöhte Nutzlast" das Häkchen gesetzt hat, können maximal 782 Kilogramm mitgenommen werden. Im Hängerbetrieb können bis zu 1,5 Tonnen an den Haken.
Ob der Handgriff für die Hecktür so praktisch ist, ist wohl Geschmackssache. Die generell gute Verarbeitung wird indes alle Nutzer freuen und zeigt sich im Laderaum am merklichen Rückgang der klassentypisch löchrigen Blechlawine-Auskleidung. Das Mercedes-Gefühl endet hier nicht hinter dem Fahrersitz. Schauen wir also nach vorn. Die Außenspiegel sind wichtig im Kastenwagen und elektrisch einstellbar. Für den Strom im Inneren sorgen zweimal USB und ein 12-Volt-Anschluss.
Fahrbericht Mercedes-Benz Citan (2022)
BildergalerieIn der Mittelkonsole finden sich zwei Cupholder und ein tiefer Schacht verbirgt sich unter der Mittelarmlehne. Laderaum für lange Arme findet sich "über Kopf. Der Fahrersitz ist gut verstellbar. Das Lenkrad lässt den Fahrer sogar von der Pkw-Welt träumen. Hier gibt es auch die Taste zum Aktivieren der Sprachsteuerung namens Mbux. Die Spracheingabe ("Hey Mercedes") ist für jeden Neuling eine Aufgabe, aber man macht schnell Fortschritte. Damit die Stimme nicht auf der Autobahn oder auf der Kopfsteinpflaster-Passage im Dröhnen untergeht, wurden die Außengeräusche gedämmt, indem unter anderem das Glas um ein Zehntel an Dicke zugelegt hat. Ein wichtiges Extra erwartet auch die Tourer-Flotten, denn zum standardmäßigen Airbag-Quintett packen die Stuttgarter einen Mittel-Airbag zwischen Fahrer und Beifahrer.
Insgesamt ist die Armada an Helferlein, die ohne Aufpreis ab Werk verbaut sind, beeindruckend groß. Das Trio bestehend aus Müdigkeitswarner, Berganfahr- und Seitenwind-Assistenten unterstützt bereits jeden Käufer eines Kastenwagens. Die Fahrt der Tourer-Kunden überwachen zusätzlich die aktiven Brems-und Spurhalte-Assistenten, der Totwinkelwarner sowie der Tempo-Limit-Überwacher. Zum Mbux gibt es Android Auto und Apple Car Play dazu. Optional lädt das Handy induktiv, sonst heißt es, Stecker in eine der beiden USB-C-Buchsen und per Kabel laden.
Der Einsatz bestimmt den Antrieb –das gilt natürlich auch für diese Mercedes-Neuauflage. Rund ein Viertel am Motorenmix macht der Benziner aus, was in Fuhrparks mit wenig Fahrleistung, die sich zudem die Adblue-Befülllung sparen, ein Thema ist. Wenn es der "Otto" wird, dann empfiehlt sich der größere des Duos, der statt 102 dann 131 PS Kraftreserve aus dem Vierzylinder-Motor holt. Die Einstiegsmodelle werden mittels der Sechsgang-Handschalter in Schwung gebracht, was im Transporter-Alltag gut, im Tourer-Einsatz aber feinfühliger sein könnte. Das siebenstufige Doppelkupplungsgetriebe wird erst Mitte 2022 verfügbar sein, dann wird der Hochdachkombi auch für den Privatkäufer als T-Klasse veredelt.
Kastenwagen: Top-Diesel mit Zusatz-Boost
Das Gros – vor allem der Kastenwagen – wird aber weiterhin von einem Selbstzünder befeuert. Hier kennt der Konfigurator drei Wahlmöglichkeiten: 75, 95 oder 116 PS. Wobei das Top-Modell zum Überholen einen Zusatz-Boost von vier kW besitzt. Tourer-Käufer können zwischen den beiden Otto-Motoren und dem mittleren Selbstzünder wählen. Die Unterscheidung zwischen Kastenwagen und Pkw-Kombi ist für den Fahrkomfort relevant, denn während der verglaste Fünf- oder Siebensitzer (mit der Langversion kommt im nächsten Jahr auch die dritte Sitzreihe) als stets teilbeladen definiert ist, ist das Fahrwerk (MacPherson-Achse vorn, Verbundlenkerachse hinten) des klassischen Transporters für die permanente Vollausladung ausgelegt. Das hilft in der Praxis, ist aber bei Leerfahrten eher ein holpriges Vergnügen. Jede Bodenwelle war für den mit zwei leeren Paletten beladenen Citan eine Einladung zum Tanz. Der Tourer indes fährt sich auch im Solobetrieb höchst komfortabel.
Wer seinen Fuhrpark nun für den Mercedes-Benz Citan öffnet, zahlt mindestens 19.348 Euro für den Kastenwagen und 22.253 Euro für den Tourer. Da wir mit dem anbrechenden E-Zeitalter auch einen neuerlichen Wandel in der Stadt sehen werden – Grün- statt Parkflächen, geteilte Straßen für Zwei- und Vierräder, Ladesäulen usw. –, passt sich auch der City-Transporter mit Stern diesem urbanen Umfeld an. Ab Mitte nächsten Jahres surrt der eCitan los. Der soll einfach einen neuen Antrieb (90 kW, 245 Nm) erhalten und sonst keine Kompromisse eingehen gegenüber seinen konventionellen Brüdern, so das Versprechen der Stuttgarter. Den leisen Fronttriebler wird es in zwei Radständen sowie als Kastenwagen, Tourer und Mixto geben. Die 44-kWh-Batterie soll mit bis zu 75 kW (DC) geladen werden (11- und 22-kW-Onboard-Lader) und für mindestens 285 Kilometer (WLTP) reichen. Übrigens: Die nächste Transporter-Generation – unabhängig von der Größe – wird dann ausschließlich surrend unterwegs sein, neue Verbrenner entwickelt Mercedes-Benz für die Lastsesel nicht mehr.