Von Benjamin Bessinger
Ganz neu ist das Erlebnis beim Anlassen dieses Bentley Bentayga zwar nicht mehr, doch die Gewöhnung daran fällt noch immer schwer. Denn wo die Autos der Briten beim Anlassen bislang erst einmal laut aufgebrüllt haben, um wie der Löwe im Dschungel ihren Führungsanspruch zu manifestieren, macht sich der feine Bruder von Audi Q7 und Porsche Cayenne in aller Stille zum Fahren bereit. Vor zwei Jahren eingeführt und aus dem Stand zur meistverkauften Motorvariante aufgestiegen, bekommt jetzt der Plug-in-Hybrid wie zuvor schon die reinen Benziner ein Facelift, das Bentley weiter voranbringen soll auf dem Weg zur ersten voll elektrischen Luxusmarke. Schon in ein paar Monaten kommt der gleiche Antrieb deshalb auch im Flying Spur, ab 2025 soll jeder Bentley elektrifiziert sein und kurz danach steht das erste rein elektrische Auto auf dem Produktionsplan der feinen VW-Tochter.
Zwar haben die Briten den Bentayga für die zweite Halbzeit noch einmal aufpoliert. Der riesige Grill wirkt deshalb noch gewaltiger, Scheinwerfer und Rückleuchten funkeln feiner und innen läuft auf größeren Bildschirmen eine neue Infotainment-Generation auf dem aktuellen Stand der Technik. Doch wenn in diesen Tagen zu Netto-Preisen ab 166.218 Euro die ersten Autos vom Hof der Händler rollen, dann tun sie das mit dem alten Antrieb: Es bleibt bei einem mit drei Litern Hubraum und 250 kW / 340 PS fast schon bescheidenen V6-Benziner, der mit einer E-Maschine von 94 kW / 128 PS zusammengespannt wird. Dazu gibt’s einen Akku von knapp 17,3 kWh unter dem Kofferraum, der für bis zu 40 Kilometer emissionsfreies Fahren reichen soll.
Solange man das riesige Gaspedal im Fußraum entsprechend sanft touchiert, rollt der Luxusliner damit erst einmal auf Samtpfoten vom Hof und beschleunigt in gespenstischer Stille wie von Geisterhand auf bis zu 135 km/h. Diese Ruhe passt gut zum Luxus in der Lounge aus Lack und Leder und zu jener unvergleichlichen Souveränität und Solidität, die den Bentayga konkurrenzlos macht. Kein anderes SUV ruht so sehr in sich selbst wie der große Brite und kein anderes scheint derart immun zu sein gegen alle Widrigkeiten, mit denen der Alltag da draußen so aufwarten könnte. Selbst im Buckingham Palace ist man der Welt wahrscheinlich nicht so weit entrückt wie in des Bentaygas massierten Polstern aus steppvernähtem Luxusleder.
Entspannt elektrisch fahren
Je entspannter der Fahrer wird, desto länger fährt der Bentayga auch dann elektrisch, wenn man die Regie für das Zusammenspiel der beiden Aggregate im Hybrid-Modus dem Bordcomputer überlässt. So dauert es nur ein paar Minuten, bis man vergessen hat, dass man in einem Sonderling sitzt und man muss schon auf den modifizierten Drehzahlmesser links im Cockpit schauen, wenn man den Betriebszustand erkennen will.
Viel öfter allerdings schaut man auf das so genannte Spiegelei, das Bentley neuerdings in Blau auf die Navigationskarte programmiert hat. Schließlich gibt das viel anschaulicher Auskunft über den Aktionsradius als die Restreichweite, die in den jetzt komplett digitalisierten Instrumenten hinter dem Lenkrad eingeblendet wird. Doch egal, wo man auch hinschaut, schrumpft der Wert schneller, als einem lieb ist und die versprochenen 40 Kilometer sind nur in der Theorie zu halten. Trotzdem hat Bentley herausgefunden, dass die Kunden der ersten Halbzeit fast 90 Prozent ihrer Fahrten rein elektrisch absolvieren, was nicht unbedingt für sonderlich lange Ausflüge des Adels spricht.
Bentley Bentayga Hybrid (2022)
BildergalerieIst der Akku erst einmal leer, führt an der Ladesäule kein Weg vorbei, will man elektrisch fahren. Denn auch wenn man neben dem Hybrid-Modus den reinen E-Betrieb erzwingen oder in der Sport-Stellung den Stromer abklemmen kann, bietet der Bentley im Gegensatz zu vielen anderen Plug-in-Hybriden kein Fahrprogramm, bei dem die Batterie mit der überschüssigen Leistung des Verbrenners geladen wird. Und allein mit Rekuperation kommen die 17,3 kWh so schnell nicht zusammen. Aber hey – wer sich einen Bentayga leisten kann, der hat keine Eile und macht gerne mal 2,5 Stunden Pause.
Alles drin was gut und teuer ist
Oder er fährt eben mit dem Sechszylinder alleine – was allerdings nur bedingt ein Vergnügen ist. Denn so ordentlich der Motor seinen Job in anderen Konzern-Modellen macht, so wenig will er zum opulenten Bentley passen. Klar sind 340 PS und 450 Nm auch für mehr als 2,5 Tonnen SUV genug und die Fahrleistungen sind allemal ausreichend. Immerhin sprintet der Bentayga in 5,5 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht bei Vollgas 254 km/h. Doch wer den sonoren Sound und die Mühelosigkeit eines Zwölfzylinders oder zumindest die Souveränität des V8 gewohnt ist, der gibt sich nur ungern mit weniger zufrieden – selbst wenn die Nachbarn ob der klimatischen Verantwortung, die sich von außen lediglich in zwei kleinen Plaketten auf den Kotflügeln und der zweiten Tankklappe offenbart, anerkennend nicken mögen. Immerhin spart Bentley sonst nicht bei der Opulenz und bietet auch für den Plug-in alles, was gut und teuer ist – vom Mullinner-Leder über die 22-Zöller bis hin zu einer Breitling-Uhr mit Brillanten im Ziffernblatt.
Zwar wagt Bentley mit dem neuerlichen Bekenntnis zum V6-Motor einen Abstieg, der durch den Einsatz der E-Maschine nicht vollends zu kompensieren ist. Zumal die Briten zwar das einzige elektrisierte SUV in diesem Segment anbieten, sich aber mit weniger Power begnügen als etwa die Stuttgarter Schwester Porsche, die im Cayenne auch einen V8-Turbo an die Steckdose hängt. Doch ernsthafte Sorgen müssen sich die verwöhnten Kunden kaum machen. Gegen Zweifel an der gewohnten Opulenz und dem gelebten Überfluss hilft schon der Griff nach den Aschenbechern, die ringsum in den Cupholdern verteilt sind. Solange die noch aus dem Vollen gefräst sind und pfundschwer in der Hand liegen, ist die Welt für den gemeinen Bentley-Kunden noch in Ordnung. Selbst wenn der – genau wie nun zumindest zeitweise auch sein Bentayga – ein Nichtraucher ist.