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Fahrbericht Bentley Bentayga: Adel auf Abwegen

08.02.2016 10:01 Uhr
Als erster Hersteller trägt Bentley die SUV-Welle jetzt in die absolute Oberklasse und setzt einen Trend, dem viele andere Marken folgen werden.
© Foto: Bentley

Nach Jahren des Vorgeplänkels schwappt die SUV-Welle mit dem neuen Bentley Bentayga nun auch ins Oberhaus. Selbst wenn die Briten dafür in jeder Disziplin Neuland betreten, kommt einem dabei vieles vertraut vor.

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Von Benjamin Bessinger/SP-X

Als die Ranger im Joshua Tree National Park den neuen Bentley Bentayga sehen, staunen sie nicht schlecht. Draußen im Tal von Palm Springs, unten im Frank Sinatra Drive oder vor dem vornehmen Parker's Hotel – da passt das geflügelte "B" über dem mächtigen Kühlergrill genauso ins Bild wie die Palmen, die der Luxus-Oase zwei Stunden südöstlich von Los Angeles ihren Namen gegeben haben. Doch auf unbefestigten Pfaden wie hier im engen Berdoo Canyon hatten Bentley & Co bislang nichts verloren. Ein Ufo am Flughafen von Los Angeles könnte kaum ungewöhnlicher sein.

Wenn es nach Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer geht, werden sich die Ranger jedoch an solche Anblicke gewöhnen müssen - in Amerika genauso wie in England, auf dem europäischen Festland und vor allem im China. Denn als erster Hersteller trägt Bentley die SUV-Welle jetzt in die absolute Oberklasse und setzt einen Trend, dem viele andere Marken folgen werden. "Wir definieren damit ein neues Segment", sagt Dürheimer und will die Latte für Geländewagen in fast jeder Disziplin weiter nach oben legen. Wenn in den nächsten Wochen die Auslieferung des Bentayga beginnt, wird er deshalb zum luxuriösesten, exklusivsten und schnellsten SUV der Welt. Und mit einem Grundpreis von 208.488 Euro auch zum teuersten.

Natürlich geht es Dürheimer auch um den erweiterten Aktionsradius. Der Bentayga hat seine vier Offroad-Fahrprogramme schließlich nicht umsonst. Und nicht ohne Grund kraxelt er klaglos über Wackersteine, pflügt durch zerfurchte Schlammpisten oder watet durch 50 Zentimeter tiefe Wasserläufe. Aber vor allem wollen die Briten damit ihren Kundenkreis erweitern. Sie wollen Reiche in Regionen erreichen, in denen die Straßen für einen Mulsanne oder Continental nicht gut genug sind. Und sie wollen Menschen ansprechen, die mit ihrem Wagen nicht nur repräsentieren, sondern auch transportieren müssen, für die ein Auto zu allererst mal ein Werkzeug des Alltags ist.

Ungewohntes Terrain

Dafür hat sich Bentley auch bei der Ausstattung auf ungewohntes Terrain gewagt: Denn über eine Heckklappe mit Gestensteuerung, eine dritte Sitzbank oder gar eine Anhängerkupplung musste sich ein Bentley-Ingenieur bislang ganz sicher keine Gedanken machen. Und über Assistenzsysteme wie ein Nachtsichtsystem, ein Head-up-Display oder eine elektronische Spurführung durfte er bis dato nicht nachdenken, weil das die veralteten Plattformen der anderen Modelle nicht hergegeben haben. Doch der Bentayga nutzt die Architektur des neuen Audi Q7 und katapultiert Bentley mit einem aufwendigen Bordnetz und mehr Code-Zeilen als bei einer Boeing 777 auch elektronisch in eine neue Zeit.

Weil Dürheimer weiß, wie pflegsam man eine Marke entwickeln muss, macht Bentley den Kunden die Erweiterung des Horizontes denkbar leicht: So fremd der Bentayga im Gelände auch wirkt, so vertraut sind deshalb Format und Design. Denn groß sind die anderen Bentleys auch, zumal der 5,14 Meter lange Bentayga je nach Region im Straßenbild fast noch zierlich wirkt. Dass sie den großen Auftritt pflegen mit ihrem riesigen Chromkühler, den Hauptscheinwerfern groß wie Pfannkuchen und den funkelnden LED-Ringen daneben, das kennt man längst von Continental & Co. Und innen ist der Bentayga wie jeder Bentley ohnehin eine Welt für sich. Zwar gibt es Geländewagen mit mehr Platz im Fond und an die Liegesessel im langen Range Rover kommen auch die beiden Einzelsitze in der zweiten Reihe des Bentayga nicht heran. Doch so viel Lack und Leder, so viel Holz und Chrom und so viel Kunsthandwerk bietet im SUV-Segment kein anderer Hersteller. Und keiner ist so dekadent, dass er vor ein digitales Kombiinstrument nochmals zwei analoge Uhren setzt, nur weil die mehr Stil haben als schnöde TFT-Displays. Aber es muss schließlich einen Grund geben, weshalb es 130 Stunden dauert, bis die Mannschaft in Crewe einen Bentayga montiert, möbliert, lackiert und poliert hat – rund zehn mal so lange wie bei einem gewöhnlichen Geländewagen. Und trotzdem erlauben sich die Briten ein paar Patzer: Dass man bei den 22-Wege-Sesseln die Kopfstützen noch von Hand verstellen muss, dass die groben Kunststofftasten um den Touchscreen in dem Hochglanzpanorama des Cockpits wirken wie ölschwarze Fingerabdrücke oder dass die Kofferraumabdeckung an profanen Fäden hängt wie bei einem Audi Q5, das will nicht so recht zum Fünf-Sterne-Ambiente passen. 

Geländewagen mit Zwölfzylindern

Aber erstens kann man sich darüber mit Extras wie einem Picknick-Koffer für 24.990 Euro oder einer Breitling-Uhr für 150.000 Euro hinweg trösten. Und zweitens werden diese Petitessen gar vollends zur Nebensache, wenn man hinter dem Lenkrad sitzt und endlich den Motor anlässt. Schließlich hat der Bentley mit seinem W12-Aggregat auch unter der Haube einzigartiges zu bieten. Vom ebenso exotischen wie exklusiven G65 AMG einmal abgesehen, ist der Bentayga der einzige Geländewagen mit Zwölfzylindern und schlachtet dieses Pfund weidlich aus. Denn es sind weniger die 608 PS und die 900 Nm an sich, mit denen der neu entwickelte Sechsliter-Motor beeindruckt. Es ist vor allem das unerreichte Maß an Mühelosigkeit, das den Zwölfzylinder zum Erlebnis macht: Wenn die Drehmomentkurve schon bei 1.350 Touren gipfelt und das Plateau bis jenseits von 4.000 Touren hält, dann braucht man keinen Kickdown zum Überholen und muss dem Motor kein Brüllen entlocken. Vielmehr reichen ein paar Millimeter Pedalweg raus, damit der stattliche Bug sich einen Hauch erhebt und so selbstverständlich durch den Wind stürmt, als wäre die Trägheit der Masse nur eine Mär. Viel eindrucksvoller als die 4,1 Sekunden von 0 auf 100 und das Spitzentempo von 301 km/h ist deshalb die Souveränität dieses SUV - von Anstrengung jedenfalls ist bei der kräftezehrenden Schlammschlacht im Smoking und beim Blitzkrieg auf der Autobahn keine Spur.

Zwar rühmt Entwicklungschef Rolf Frech den neuen Motor als Effizienzmeister, der dank Zylinderabschaltung und neuer Einspritzung zehn Prozent weniger verbraucht. Doch weil auch 13,1 Liter noch mehr als genug sind, weil sich Bentley nicht über die CO2-Vorgaben hinwegsetzen kann und weil die Kunden in China oder Europa anders ticken als in Amerika oder Arabien, wird es bald noch zwei weitere Motorvarianten geben: "2017 kommt zum ersten Mal bei Bentley ein Diesel", sagt Frech und verspricht einen V8-Motor mit weit über 400 PS. "Und im Jahr darauf gibt es als weitere Marken-Premiere einen Plug-in-Hybrid mit V6-Benziner und 50 Kilometern elektrischer Reichweite."

Neuartiges Chassis

Der Motor ist allerdings nur die halbe Miete. Die andere Hälfte trägt den Namen Bentley Dynamic Ride und steht für ein neuartiges Chassis, bei dem die Luftfeder mit der ersten elektrischen Wankstabilisierung der Welt kombiniert wird. Eigens mit einem – bislang ebenfalls noch konkurrenzlosen 48-Volt-Netz – angesteuert, spannt sie die Stabilisatoren dreimal schneller als eine Hydraulik. Selbst wenn die Reifen noch so quietschen, hält sie den Horizont damit eindrucksvoll in der Waagrechten und den Bentayga sauber auf Kurs. Selten haben sich 2,5 Tonnen deshalb auf einer kurvigen Passstraße so leicht angefühlt wie hier.

Mit müheloser Macht über den Freeway, zum majestätischen Schaulaufen über den Frank-Sinatra-Drive, der Kurvenzauber auf dem Palms-to-Pines-Highway in den San Jacinto Mountains und verbissen durch den steinigen Berdoo Canyon - nach einem Tag im Bentayga fühlt sich das erste SUV eines Luxushersteller fast schon selbstverständlich an. Dass zwischen den Chrommaschen des Grills ein paar Dreckklumpen kleben und die riesigen LED-Scheinwerfer trüb vom Staub werden? Geschenkt! Wofür hat das Auto denn die riesigen Waschdüsen, die auf Knopfdruck aus dem Kreis der Tagfahrleuchten surren? Und um die Kiesel im knöcheltiefen Teppich soll sich zuhause gefälligst das Personal kümmern. Dass man ungewöhnlich hoch sitzt für einen Bentley, wird einem mit dem grandiosen Ausblick entlohnt. Und wenn die Ranger mal nicht ganz so genau hinschauen, kann man das SUV schließlich ähnlich forsch fliegen lassen wie einen Sportwagen.

Ob der Adel tatsächlich auf  Abwegen ist, ob ein SUV zum Smoking passt und ob man wirklich Geländewagen für mehr als 200.000 Euro braucht – diese Überlegungen rücken mit jedem Kilometer weiter in den Hintergrund und machen Platz für eine ganz andere Frage: Warum ist eigentlich nicht früher jemand auf diese Idee gekommen?


Bentley Bentayga (2016)

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