Von Michael Blumenstein/Autoflotte
SUV, SUV, und nochmals SUV. Neue Fahrzeuge werden von den Herstellern immer mal wieder in diese Gattung gepresst. Ob sie hineinpassen oder nicht. So sehr die Hochbeiner boomen, so sehr verlieren zeitgleich die Vans an Attraktivität. Škoda ist das scheinbar egal – oder kennt die Autokaufenden besser. Die Tschechen bringen mit dem Enyaq eine Art Van auf den Markt und drehen damit vielleicht den Mindset vieler Käufer. Und wer den Van - ehemals als Pampersbomber verschrien - per se nicht mag, bei dem geht der Enyaq vielleicht auch als geräumiger Kombi durch. Egal was: Gut scheint er auf den ersten Blick zu sein.
130 LEDs in der Front
Dabei kommt man beim ersten Blick schonmal ins Stutzten. Leuchtet der Kühlergrill wirklich? Ja. 130 LEDs illuminieren den "Kühlergrill", der keiner ist. Ob einem das gefällt? Geschmackssache. Zu haben ist dieses Gimmick sowieso nur bei der limitierten Founders Edition, der sportlichen RS-Version und den hochwertigsten Ausstattungslinien. Ansonsten ist auch dieser Škoda ein recht klassisches Automobil. Keine Sperenzchen, kein wilden Ideen, keine Wagnisse. Dieses Elektroauto ist für Menschen gemacht, die keine Elektroautos möchten. Für die, denen ein ID.3 zu fancy ist, ein Hyundai Kona zu klein und ein Mercedes EQC über Ziel hinaus ist. Beim Enyaq stimmt mal wieder fast alles - bis auf die Emotionen - und auch das ist ein sehr persönliches Empfinden.
Innen gibt es - wie immer bei den Tschechen - viel Platz für fünf Personen. Vorne, hinten und ganz hinten. Auf 4,65 Metern Länge und gut 1,60 Metern Höhe kann man das auch erwarten. Die Sitze sind gemütlich, gerade mit dem Stoffbezug aus 40 Prozent Schurwolle und 60 Prozent Altplastikflaschen sitzt es sich sehr komfortabel und der Verstellbereich ist groß. Und dieses Interieur spendiert einem noch ein gutes Gefühl im Kopf mit.
Die Bedienung erscheint recht logisch. 13 Zoll misst das nun größte bislang in einem Škoda installierte Infotainmentdisplay (10 Zoll Serie). Tatsächlich ist es sehr im Fahrzeug omnipräsent und steht wie eine Mauer auf dem Armaturenträger. Die wichtigsten Informationen werden via kleinem 5,3 Zoll Digital Cockpit angezeigt. Was mickrig wirkt, lugt ziemlich klasse zwischen dem Lenkrad hindurch und lässt sich schnell durchblicken. Zusätzlich kann ein "echtes" Head-up-Display geordert werden. Haptische Tasten in der Mittelkonsole ermöglichen den Schnellzugriff auf wichtige Funktionen. Gut gemacht.
Ab Werk sind mindestens vier Lautsprecher installiert. Bei den stärkeren Versionen sind es acht und gegen Aufpreis gibt es das Canton Soundsystem mit zwölf "Boxen". Der Armaturenträger ist auf Wunsch mit feinem Stoff (wie im Octavia) ausgeschlagen. Oder mit Leder. Im Enyaq sind nicht nur die Stoffsitze gut fürs Ökogewissen. Auch wer sich Leder unterm Allerwertesten gönnt, und damit das eine oder andere Rind auf dem Gewissen hat, soll meinen, dass die "EcoSuite" genannte Tierhaut fair abgezogen wurde. Wir stehen auf den Plastik-Schurwolle-Mix, der fühlt sich klasse an und sieht toll aus.
Skoda Enyaq iV (2021)
BildergalerieFünf Leistungsstufen, drei Akkugrößen
Toll ist auch die Auswahl an Motoren und Antrieben. Zwischen 148 und 306 PS stehen zur Wahl. Heckantrieb gibt es bei den schwächeren Versionen (148 / 180 / 204 PS), Allrad ist ab 265 PS obligatorisch. Der Motor sitzt übrigens, wie bei allen MEB-Modellen (Modularer-Elektro-Baukasten) VW ID.3 im Heck, beim Allrad zusätzlich vorne. Und von dort wird auch ordentlich Schub entwickelt. So schafft das Stark-Modell (beim Enyaq ebenfalls RS genannt) den Sprint bis 100 km/h in 6,2 Sekunden - dann zieht auch die Vorderachse. Denn die 265- und 306-PS-Versionen haben stets Allradantrieb. Trotz größtem Akku sinkt bei den Allradlern die Reichweite von 510 auf 460 Kilometer - theoretisch. Bei Tempo 180 ist Schluss. Die kleineren Varianten werden bereits bei 160 km/h eingebremst, um wenigstens in die Nähe der angegeben, mindestens 340 WLTP-Kilometer zu kommen. Wie erwähnt, sollen es 510 Kilometer im Maximum sein. 80 nennt sich diese Version schlicht, was auf den 82 kWh-Akku hinweist, von dem 77 genutzt werden können. Darunter rangiert der "60" (180 PS). Und der "50" (148 PS) macht den Anfang in die Škoda-Enyaq-Welt. Serienmäßig wird mit einer Geschwindigkeit von 50 kW geladen. Wer extra zahlt, kann bis zu 125 kW "schnell werden". Dann füllt sich der Akku von fünf auf 80 Prozent in weniger als 40 Minuten. Serienmäßig sind an der Wallbox 7,4 kW drin, elf kW sind gegen Aufpreis möglich. Ein "Ladeparadies" rund um den Enyaq stellt Škoda zudem bereit. Außer Haus lautet das Zauberwort Powerpass und funktioniert in Europa. Im Haus oder Büro mit der Škoda iV-Wallbox. Alles ganz einfach – theoretisch.
Warum wieder Škoda?
Vereinfachen ist auch das Stichwort beim direkt im Stammwerk in Mladá Boleslav produzierten Enyaq. Ein spezieller Gummieinsatz beim Ladeanschluss soll Wasser und Schnee rund um den Stecker vermeiden. Ein schmutziges Ladekabel wird mittels speziellem Reinigungsschwamm gesäubert ohne die Hände zu verschmutzen, um danach ordentlich in das vorgesehene Ablagefach unter dem Kofferraumboden gepackt werden zu können. So hat alles seine Ordnung, wie auch die zwei Ablagefächer für zwei Handys ganz vorne – eins kann induktiv geladen werden. Warum fällt das erst wieder Škoda ein?
So ist also vieles wieder clever und Škoda hat es geschafft, den Nutzen eines Vans mit einer Prise Raffinesse zu würzen, um ein Auto auf die bis zu 21 Zoll großen Räder zu stellen, das nicht nur rational denkende Menschen ansprechen wird. Pardon: ein ELEKTRO-Auto. Das könnte man fast vergessen. Ganz vergessen sollte man den Preis nicht. Zirka 29.000 Euro netto könnte der Enyaq mit dem 148-PS-Antrieb kosten. Einen ID.3 gibt es derzeit für 30.700. Jeweils vor dem Umweltbonus. Der ID.3 hat allerdings gut 50 PS mehr. Günstig wird der Enyaq also nicht, aber wohl gut. Und endlich gibt es wieder ein Haben-Wollen-Van - auf Wunsch sogar mit Blingbling.