Von Michael Gebhardt/SP-X
Die Zeiten, in denen Motorenbauer und Fahrwerksingenieure bei Volkswagen das Sagen hatte, neigen sich dem Ende zu. Der Konzern hat sich nach dem Dieselskandal eine radikale Digitalisierungskur verschrieben und rüstet in Sachen Neuer Welt ordentlich auf: Mehr als 35 Kompetenzzentren und IT-Labs hat der Autobauer weltweit inzwischen geschaffen, von Peking bis San Francisco tüfteln über 2.000 Experten an der Zukunft. Einige von ihnen sitzen seit Beginn des Jahres auch in Prag. Im Stadtteil Holesovice im 7. Bezirk, der einst als Industrievorstadt Karriere machte und anschließend vom Verfall bedroht war, hat das Skoda DigiLabs seine neue Heimat gefunden.
Im ersten Stock eines modernen Bürogebäudes, nur einen Katzensprung von der großen Moldauschleife entfernt, haben sich Anfang des Jahres die bislang gut zwei Dutzend Mitarbeiter des Digilabs eine coole Denkstube geschaffen. Wie im Silicon Valley arbeiten alle in einem großen, offenen Büro, hier dürfen Ideen auf die Glasscheiben des Konferenzraumes gemalt werden und an den Fenstern und auf den Betonpfeilern kleben große Plakat und kleine Post-its. Dass es um Autos geht, erkennt man nur an der Kodiaq-Heckklappe, die in der Teeküche an der Wand hängt und in ein Kunstwerk integriert ist. Und vielleicht an den Dachhimmeln, die an der Decke angebracht sind und ein wenig von den sichtbaren Kabeln und Rohrleitungen ablenken.
Wie in den anderen Digital-Laboren des Konzerns arbeiten auch hier keine Car-Guys, keine Auto-Freaks, sondern Zukunftsexperten mit IT-Background. Statt Benzin fließen in ihren Adern Bits und Bytes, und wie ein Auto elektrisch angetrieben wird oder ohne Fahrer fahren kann, steht nicht im Vordergrund – dem Team um Direktorin Jarmila Placha geht es um Lösungen für die Mobilität von morgen. Wie jede Ideenschmiede im Volkswagen-Konzern haben aber auch die Tschechen einen klaren Auftrag: Sie sollen eine neue Plattform für innovative Geschäftsmodelle aufbauen, sprich: Ideen entwickeln, wie Skoda, aber auch das gesamte Unternehmen, zukünftig Geld verdienen können. Schon im Jahr 2025, so die Skoda-Prognosen, wird der Autobauer mehr als 25 Prozent seines Geschäftes mit dem Digital Business machen. Vorausgesetzt, die Digilab-Leute haben bis dahin die passenden Produkte entwickelt.
Vom digitalen Handel über Smart Citys bis zur Industrie 4.0
Das Arbeitsfeld der Tschechen ist breit gefächert: Vom digitalen Handel über Smart Citys bis zur Industrie 4.0, von der Sprachbedienung über neue Apps bis zur Virtual Reality denken die Digilab-Mitarbeiter in die verschiedensten Richtungen. Im Fokus der Prager Truppe steht aber das Thema Car2X-Kommunikation – also die Vernetzung des Fahrzeuges mit der Umwelt; mit anderen Autos, mit der Infrastruktur aber auch zum Beispiel mit dem eigenen Smart Home. Dass die Fahrzeuge miteinander sprechen, sich über mögliche Gefahrenstellen informieren, oder ein sich ein nahender Krankenwagen direkt auf dem Info-Display ankündigt, ist allerdings weniger Rocket Science als Basisarbeit, an der die Tschechen nicht als einzige forschen. Allerdings ist die Technik eine Voraussetzung für weitere Dienstleistungen: Vollvernetzte Autos können beispielsweise einen Parkplatz in der Nähe des Ziels finden und reservieren, automatisch eine Ladesäule zum Auftanken des E-Autos buchen, wenn der Strom in der Batterie zur Neige geht und auch Flottenmanagern die Arbeit erleichtern werden, wenn die alle Daten aller Fahrzeuge stets parat haben. Statt mit Spoilern und Felgen könnten die Hersteller zukünftig einen Großteil ihres After-Sales-Geschäftes mit solchen digitalen Services machen.
Was aber ist mit denen, die gar kein eigenes Auto mehr kaufen wollen? Auch daran arbeitet das Digilab und überlegt sich neue Lösungen in den Bereichen Carsharing, zum Beispiel, dass das eigene Fahrzeug weitergegeben werden kann, während man im Büro sitzt. Und auch an ein einem eigenen Verleihsystem für Studenten basteln die Tschechen: Einer interessanten Zielgruppe, wie die Direktorin des Digilabs erklärt: "Studenten wollen mobil sein, haben aber in der Regel zu wenig Geld, um sich ein Auto zu kaufen." Statt diese potentiellen Kunden wie früher dem Gebrauchtwagenhandel zu überlassen, sucht der Autobauer nun nach Wegen, selbst Geschäfte mit ihnen zu machen.
Ein wichtiger Aspekt bei der Arbeit an der Zukunft sind dabei Kooperationen – sei es mit anderen Abteilungen im Konzern, alteingesessenen Unternehmen, mit Behörden, mit Universitäten und vor allem mit Start-Ups. Jarmila Placha und ihr Team sind immer auf der Suche nach neuen Ideen, nach Anregungen und Inspirationen. Bei einem Start-Up-Kongress in Wien luden sie jüngst ausgewählte Nachwuchs-Talente zu einer Fahrt mit dem Kodiaq durch die Donaumetropole ein. Während der gut zehnminütigen Tour zwischen Hofburg und Burgtheater hatten die Jungunternehmer die Chance, ihr Projekt vorzustellen und Skoda davon zu überzeugen, warum sie mit ihnen eine Partnerschaft eingehen sollten. Auch die Personalsuche ist eben inzwischen in der Zukunft angekommen.