Von Mario Hommen
Neben neuen Modellen zeigen Autobauer Jahr für Jahr auf großen Messen als Studien oder Konzepte deklarierte Zukunftsversionen. Meist deuten diese an, wohin die Reise in den kommenden Jahren bei den Herstellern geht. Manchmal dienen sie sogar als Projektionsfläche einer besseren Welt. Die erwartet uns möglicherweise schon kommendes Jahr, sollten wir die Corona-Pandemie tatsächlich hinter uns lassen. Dann werden die Studien der Autohersteller wieder in großer Zahl und zudem live gezeigt. Dieses Jahr gab es dazu allerdings selten Gelegenheiten. Lediglich ein knappes Dutzend Studien schaffte es ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Fünf davon hatten besondere Symbolkraft.
Mercedes AVTR
Als Corona Anfang Januar 2020 noch ein lokales Phänomen in China war, sorgte Mercedes auf der Technikmesse CES in Las Vegas mit dem AVTR für einen ersten Paukenschlag in Sachen weiter entfernte Autozukunft. Der mit rund fünf Meter opulent dimensionierte Flügeltürer sollte zeigen, dass Luxusmobile von Mercedes auch rücksichtsvoll mit den Ressourcen umgehen und so ein friedliches Miteinander von Auto und Umwelt ermöglichen können. Sein natürlich streng vegan gestalteter Innenraum bietet vier futuristisch geformte Loungesitze und ein paar helle Konsolen, die sich wie eine weite, weiche Landschaft um die Passagiere legen. Die Gäste sollen den AVTR nicht nur als komfortabel, sondern zudem als lebendiges Wesen erleben. Wie von selbst überträgt sich deshalb der Herzschlag des Fahrers aufs Fahrzeug, Lichtblitze zucken im Takt des eigenen Pulses über das, was vom Armaturenbrett noch übriggeblieben ist, und der AVTR wacht auf. Anschließend bringen vier Elektromotoren mit 350 kW/476 PS den Luxusliner standesgemäß in Fahrt. Sein selbstredend ökologisch korrekt erzeugter Strom für mehr als 700 Kilometer wird zudem in neuartigen Bio-Batterien gespeichert.
Elektrozwerg Luca
Deutlich bodenständiger blieb ein 20-köpfiges Team der TU Eindhoven bei dem ebenfalls unter streng ökologischen Gesichtspunkten entwickelten Mini-Elektroauto Luca, das im Januar zunächst virtuell und im Oktober wirklich präsentiert wurde. Anders als der luxuriöse AVTR will der holländische Elektrozwerg maximal minimalistisch sein. Mit seinen Proportionen und der leicht sportlichen Silhouette weckt er Erinnerungen an japanische Kei Cars vom Schlage eines Suzuki Cappuccino. Doch weniger das Design als vielmehr die beim Bau verwendeten Materialien stehen bei dieser Konstruktion im Vordergrund. So wurden recyceltes Aluminium und ebenfalls einem Wiederverwertungskreislauf zurückgeführtes Plastik verwendet. Aus dem weiterverwerteten Kunststoff entsteht zusammen mit Flachs ein zum Chassisbau genutzter Verbundwerkstoff. Die Materialien sind nicht nur ressourcenschonend, sie sparen zugleich bei Kosten und Gewicht. Ohne Akku wiegt der Luca lediglich 360 Kilogramm. Mit 60 Kilo ist zudem die Batterie vergleichsweise leicht. Dennoch soll der Akku über 200 Kilometer Reichweite erlauben, denn für Vortrieb sind zwei je 15 kW/20 PS starke Radnabenmotoren verantwortlich, die einen Wirkungsgrad zwischen Rad und Batterie von 92 Prozent ermöglichen sollen.
Konzeptautos 2020: Autozukunft im Corona-Jahr
BildergalerieHyundai Prophecy
Ohne große Messebühne musste Hyundai im März den ursprünglich zum Genfer Autosalon angekündigten Prophecy vorstellen. Trotz seiner futuristischen Aura war seine eigentliche Mission, auf die seriennahe Elektroplattform E-GMP (Electric Global Modular Platform) neugierig zu machen. Der Unterbau des Prophecy mit 800-Volt-Technik und Heckantrieb wird als Basis für eine Reihe kommender E-Performance-Fahrzeuge dienen, die bis zu 440 kW/600 PS stark und bis zu 260 km/h schnell werden. Sprintzeiten von 0 auf 100 km/h sollen so in weniger als 3,5 Sekunden möglich sein. Trotz der seriennahen Plattform, auf der bereits Anfang 2021 der Ioniq 5 aufsetzen wird, wurde der Innenraum des Prophecy recht futuristisch in Szene gesetzt. Die Gäste können dank gegenläufig öffnender Türen und dem Verzicht auf B-Säulen besonders bequem einsteigen. Statt über ein Lenkrad gibt der Fahrer per Joystick in der Mittelkonsole die Richtung vor. Das dadurch den Blicken freigegebene Armaturenbrett wird von großen Displays beherrscht.
Renault Mégane eVision
Renault hat im Herbst mit der Studie Mégane eVision Ausblick auf eine neu entwickelte, modulare Elektro-Plattform gegeben. Das mit 4,2 Meter Länge kompakt dimensionierte Fahrzeug, das Elemente von SUV und Schrägheckmodell in sich vereint, steht zugleich für eine neue E-Antriebsgeneration. Im Fall des eVision bietet diese einen 160 kW/217 PS starken Asynchronmotor, der das 1.650 Kilogramm schwere Konzeptauto in unter 8 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigen soll. Die 60 kWh große Batterie ist dank besonders schlanker Zellen sehr kompakt, ihr Gehäuse fungiert zudem als integraler Bestandteil der Fahrzeugstruktur. Außerdem haben die Franzosen ein neuartiges Thermomanagement der wassergekühlten Batterie vorgestellt, das eine Schnellladung mit bis zu 22 kW Wechsel- oder alternativ mit 130 kW Gleichstrom erlaubt. Innerhalb von 30 Minuten lässt sich Strom für 200 Kilometer nachladen. Bereits kommendes Jahr will Renault ein elektrisches Kompaktmodell mit entsprechender Technik auf den Markt bringen. Der Mégane eVision soll zu 95 Prozent diesem Serienfahrzeug entsprechen, welches zunächst mit 450 Kilometer und später auch mit größeren Reichweiten erhältlich sein wird.
Nissan Z Proto
Kyocera Moeye, Mini Vision Urbanaut, Canyon Future Mobility oder Renault Morphoz sind weitere in diesem Jahr gezeigte Studien, die alle eines mit den vier bereits genannten Konzepten eint: ein E-Antrieb. Mit dem Z Proto hat ausgerechnet Elektropionier Nissan hingegen als einziger in diesem Jahr ein Konzept mit Verbrennermotor vorgestellt. Doch der Antrieb, ein nicht näher spezifizierter 3,0-Liter-V6-Turbobenziner, war ohnehin nachrangig, denn primäre Aufgabe dieses Konzepts war es, einen konkreten Ausblick auf das Design der 2021 startenden Neuauflage des Sportcoupés Z zu wecken. Die wird mit ihrer flachen sowie langen Schnauze und den schrägen, tropfenförmigen Scheinwerfern nämlich stärker als bisher an das Urmodell Datsun 240Z von 1969 erinnern und damit vielleicht ein letztes Mal den guten alten Zeiten des Autobaus huldigen.