Von Mario Hommen
Die Designabteilungen der Autohersteller entwickeln weit mehr Autos und Konzepte als die Öffentlichkeit je zu sehen bekommt. Vieles dient den Verantwortlichen dazu, frei zu experimentieren und in Gedankenreisen die Zukunft der Mobilität zu erkunden. So auch bei Porsche in Weissach, wo mehr als 120 Designer, Experten für Interieur, Exterieur, Farben und Materialien und Modellbauer arbeiten. Die Mitarbeiter dort genießen viele Freiheiten und probieren vieles aus. Morgens wird an einem Derivat für den Porsche Macan gefeilt, nachmittags eine Vision für das Jahr 2050 entwickelt – ein steter Wechsel zwischen Evolution und Revolution. Etliche der dabei entstehenden Entwürfe erblicken nie das Licht der Öffentlichkeit. Manche der Visionen bleiben Skizzen oder Maßstabsmodelle. Andere Autos wiederum sind verblüffend seriennah und scheinen nur darauf zu warten, auf die Straße zu kommen.
Die Entwürfe dienen dazu, Potenziale und neue Nischen auszuloten und das Marktpotenzial von Derivaten zu testen. Ein solcher Testballon war zum Beispiel der 911 Vision Safari aus dem Jahr 2012, der sich an Elfer-Umbauten anlehnt, die Porsche in den 70er-Jahren auch im Rallye-Sport einsetzte. Auf Basis der Elfer-Reihe 911 wurde eine entsprechende Neuinterpretation mit verstärkten Radhäusern und hochgebockter Karosserie aufgelegt. Der fahrbare Prototyp hat zudem ein spartanisches Rallye-Cockpit, Rennsitze und Überrollbügel erhalten.
Eine ähnliche Rallye-Variante hat Porsche 2013 auch vom Macan gebaut, allerdings nicht in fahrbarer Ausführung, sondern als dreitüriges Hartmodell im Maßstab 1:1. Wie die historischen Vorbilder 911 Safari und des 959 Paris-Dakar steht der Macan leicht erhöht auf grobstolligen Rädern und gibt sich mit einer Schutzbeplankung betont robust.
Wiederum als fahrbaren Prototypen hat Porsche den 981 Bergspyder auf Boxster-Basis im Jahr 2014 gebaut, der Bezug auf die im Rennsport in den 50er- und 60er-Jahren erfolgreichen Bergspyder nimmt. Der einsitzige Umbau mit 393 PS starkem Sechszylinder brachte dank Leichtbaumaßnahmen nur 1.130 Kilogramm auf die Waage. Seit 2019 steht das Einzelstück im Porsche-Museum.
Ebenfalls auf Boxster-Basis war das 1:1-Tonmodell des Porsche Le Mans Living angedacht, der mit Rennsportaufmachung und Achtzylinder als eine Art Vorgänger für den heutigen 718 Cayman GT4 diente.
"Little Rebels"
Häufiger machen sich Porsche-Entwickler auch Gedanken über puristisch-sportliche Fahrzeuge. Unter der Rubrik "Little Rebels" gruppieren sich drei bislang nicht gezeigte Konzepte wie etwa der 904 Living Legend aus dem Jahr 2013, bei dem es sich um ein 1:1-Hartmodell handelt. Auf die Idee brachte Porsche das Carbon-Monocoque-Chassis des VW XL, mit dem das Designteam zu experimentieren begann. Der daraus entwickelte Wagen war ähnlich proportioniert und dimensioniert wie eine der Leichtbau-Rennlegenden aus dem Werksmuseum: der Porsche 904. Eine entsprechend fahrfertige Variante der Neuzeit hätte 900 Kilogramm gewogen, als Antrieb wäre ein hochdrehender V2-Motorradmotor in Frage gekommen.
Ein weiterer kleiner Rebell ist der Vision Spyder aus dem Jahr 2019. Das 1:1-Hartmodell soll an den 50er-Jahre-Porsche 550 Spyder sowie dem Rennwagen 550-1500 RS erinnern. Dem Spyder-Segment entsprechend gibt es kein festes Fach und nur eine flache Windschutzscheibe. Der Innenraum ist sportlich-spartanisch. Porsche hat hier zudem einige Ideen einer künftigen Formensprache der Marke entwickelt, wie sich etwa an dem aerodynamischen Überrollbügel, vertikal angeordneten Frontscheinwerfern oder dem durchgehenden Rücklicht zeigt.
Designer loten Potenzial von Hypercars aus
Vision 916 heißt ein 1:1-Tonmodell, das Porsche als Konzept für einen minimalistischen Sportwagen mit elektrischen Radnabenmotoren erdacht hat. Vorbilder für diese Vision waren der 70er-Jahre-Prototyp 916, der nie in Serie ging, sowie der Lohner-Porsche aus dem Jahr 1900, der bereits über einen elektrischen Radnaben-Allradantrieb verfügte.
Häufig loten die Porsche-Designer auch das Potenzial von Hypercars aus. Dazu gehört das im Jahr 2019 bereits öffentlich vorgestellte 1:1-Tonmodell einer 917-Designstudie aus dem Jahr 2013 in moderner 918-Optik mit rotweißer Lackierung als Referenz an den ersten Le-Mans-Sieg 1970 mit dem Rennwagen 917.
2017 wurde zudem ein Tonmodell im 1:1-Format des 919 Street aufgelegt. Dieses Fahrzeug verfolgte die Idee einer Kleinserie von Kundenfahrzeugen ohne Straßenzulassung, die über den rund 900 PS starken Hybrid-Rennantrieb des drei Mal in Le Mans siegreichen Porsche 919 Hybrid verfügt.
Porsche Designzentrum Konzeptstudien
BildergalerieBereits 2005 baute Porsche das Hartmodell des 906 Living Legend, dem als Vorbild unter anderem der 1966 bei der Targa Florio eingesetzte Porsche 906 diente. Design-Besonderheiten sind hier der Eindruck zweier ineinandergeschobener Körper, in den Luftöffnungen integrierte Mini-Scheinwerfer oder das rundliche, von zwei steil aufragenden Finnen flankierte Heck mit vertikal angeordneten Leuchtstreifen.
Zu den extremsten Konzepten der vergangenen Jahre zählt der Vision 920 aus dem Jahr 2019, der als Supersportwagen für die Straße oder möglicher Rennwagen für den Kundenmotorsport konzipiert wurde. Im gleichen Jahr wurde der Porsche Vision 918 RS aufgebaut, der als Nachfolger des legendären 918 Spyder gedacht war. Schließlich hat Porsche mit dem Vision Formula E einen elektrischen Rennwagen mit 800-Volt-Technologie für den Kundensport angedacht.
Unbekannte Studien dienen als Modellkonzepte
Auch gibt es einige unbekannte Studien, die als Modellkonzepte der Zukunft dienen. Zu diesen gehört der Porsche Vision Turismo. Der ebenfalls als 1:1-Hartmodell ausgeführte Viertürer aus dem Jahr 2016 hat den Weg zum Taycan geebnet. Im Kern handelt es sich um einen viersitzigen Supersportwagen mit Heckmotor, der als Blaupause für ein erstes Modell mit Elektroantrieb diente. Die Studie wies bereits das bei vielen Porsche-Modellen heute übliche, durchgehende Leuchtenband am Heck auf.
Die wohl auffälligste Kuriosität in dem großen Strauss unbekannter Konzepte ist das 1:1-Hartmodell des Porsche Vision "Renndienst" aus dem Jahr 2018. Es handelt sich um ein Fahrzeug wie aus einem Guss, das mit kraftvoll ausgestellten Radhäusern und asymmetrischer Fenstergestaltung alle konventionellen Kategorien vergessen lässt. Der Fahrer des Porsche Vision "Renndienst" nimmt auf einem zentralen Loungesessel Platz. Der Einzelsitz bietet ein sportliches Fahrerlebnis, gewährt den Fondpassagieren freie Sicht nach vorn – und nimmt im autonomen Fahrmodus weniger Raum ein als eine konventionelle Sitzreihe. Auch die vollelektrische Antriebstechnologie befindet sich platzsparend im Unterboden. Es handelt sich leider nur um eine experimentelle Vision, die aber dabei helfen kann, gewohnte Konventionen und Denkmuster zu hinterfragen, um eines Tages Porsche neu zu erfinden.