Oliver Zipse ist eigentlich keiner, der auf die Pauke haut. Doch wenn es um die Neue Klasse geht, greift auch der BMW-Chef ins oberste Verbalregal. "Ende des Jahres fällt der Startschuss für unsere Neue Klasse. Ein Projekt, das in dieser Form und Bedeutung in der Geschichte der BMW Group einzigartig ist", lässt Zipse verlauten. "Die Neue Klasse ist unser Jahrhundertprojekt", ergänzt der neue BMW-Technikchef Joachim Post.
Ziemlich dick aufgetragen. Könnte man meinen. Doch für den Autobauer ist die nächste Generation der BEV-Modelle tatsächlich ein entscheidendes Unterfangen. Denn es geht nicht nur um die reine E-Mobilität, die gesamte BMW-Produktpalette soll von der neuen Technik profitieren. Das ergibt Sinn, denn Elektrifizierung, Batterietechnik, Software und Antrieb sind Schlüsselkomponenten für die Automobilität der Zukunft. Egal, ob mit E-Auto, Phev-Modell oder Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.
BMW Vision Neue Klasse X

Zunächst will BMW Ende des Jahres mit dem iX3, dem ersten Modell mit der neuen Technik, für einen Aha-Effekt bei den Konkurrenten sorgen. Die Kernthemen bei jedem neuen Stromer sind die Batterie, der Antrieb und die Software. Die Modelle der Neuen Klasse sollen rund 20 Prozent effizienter sein, circa 30 Prozent schneller laden, das elektrische Antriebssystem etwa 50 Prozent weniger kosten. Ebenso wichtig ist, dass die Reichweite um 30 Prozent steigt. Wenn man sich vor Augen hält, dass der iX xDrive 60 mittlerweile bis zu 701 km weit kommt, kratzt ein Plus von knapp einem Drittel an der Tausend-Kilometer-Marke.
Spätestens dann sollte die "Reichweitenangst" der Vergangenheit angehören. Allerdings sollte man sich von diesen Zahlen nicht zu sehr blenden lassen, da auch andere Hersteller ihre Batterien sowie Steuergeräte weiterentwickeln und Sprünge hinlegen können.
BMW Neue Klasse: Neues Zellendesign
Trotzdem fallen solche Werte nicht einfach so vom weißblauen Himmel. Dafür sind einige grundlegende Veränderungen nötig. Nicht nur an der Batterie und den Motoren, sondern am ganzen Auto. Also auch an den Steuergeräten und der Software. BMW wechselt bei den Energiespeichern auf selbstentwickelte zylindrische Zellen. Zwei Varianten stehen zur Wahl: eine mit 95 Millimetern und eine mit 120 Millimetern Höhe. Der Durchmesser bleibt mit 46 Millimetern gleich.
Also sind die Akkus ziemlich flach, mit dem "Pack-to-open-Body-Konzept" Teil der Karosserie und schließen das Auto nach unten ab. Das spart Gewicht und Kosten. Bei der Montage gilt "local-to-local", also in den wichtigsten Absatzregionen und nahe an den Fahrzeugfabriken: Irlbach-Straßkirchen (Niederbayern), Debrecen (Ungarn), Shenyang (China), San Luis Potosí (Mexiko) und Woodruff bei Spartanburg (USA).
Die Akkus beherrschen die 800-VoltTechnik und die Bidirektionalität. Da bei BMW auch in Zukunft die Technologieoffenheit eine Leitmaxime sein wird, können diese Batterien auch mit 400 Volt laden. "Je nach Marktanforderung", heißt es in München. Letztendlich könnte es aber bedeuten, dass die Modelle der Kompaktklasse oder Minis mit 400-VoltStrom tanken, da dies günstiger ist.
BMW 120d

Der sogenannte Energy Master steuert diese Funktionalitäten und ist gleichzeitig die Schnittstelle für das 12-Volt-Netz. Getreu dem Motto: "Alles in bayerischer Hand" hat BMW sowohl die Soft- als auch die Hardware dieses Dirigenten selbst entwickelt. Das erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit bei neuen Entwicklungen und senkt die Kosten. Aus diesem Grund wird der Energy Master auch in Landshut mit einem hohen Automatisierungsanteil von mehr als 80 Prozent produziert. "Wir sind im Hochlohnland Deutschland", erklärt der verantwortliche Techniker. Die Roboter sind flexibel, haben selbstentwickelte Greifer, um mehrere Aufgaben zu erfüllen, und können anders als herkömmliche Maschinen auf einer Schiene vor- und zurückfahren und sind in der Lage, das Bauteil zu drehen und zu wenden, falls erforderlich.
BMW Neue Klasse: Viel Roboter, wenig Mensch
KI hilft bei der Auswahl der richtigen Schrauben, Kameras stellen die Qualität sicher. Aus Angst vor "Killerpartikeln" (BMW), die zu Fehlfunktionen führen können, läuft die Herstellung der Power-Unit für die Hochvoltelemente in einem Sauberraum ab. Ganz ohne Menschen und deren Tastsinn geht es jedoch nicht. Sobald Kabelbäume und Stecker montiert werden, greift der Homo sapiens ein, da er ein Gefühl dafür hat, ob eine Verbindung richtig sitzt. Allerdings tüfteln die Techniker bereits daran, dass Roboter auch diese Aufgabe übernehmen.
Die Neue Klasse ist für BMW ein großer Schritt zum Software-defined Vehicle. Auch hier soll die Eigenleistung möglichst groß sein. Vier leistungsfähige Rechner haben künftig das Sagen: Einer ist für die Fahrdynamik zuständig, einer für das gesamte Infotainment inklusive dem BMW- Panoramic-Vision-Display, der dritte steuert die Assistenzsysteme und die autonomen Fahrfunktionen und der vierte grundlegende Funktionen wie die Klimatisierung des Autos und das Datenmanagement.
BMW Vision Driving Experience (2025)

Zur Freude am Fahren gehören natürlich auch die entsprechenden Motoren. Auch da legt die Neue Klasse zu. Statt wie bisher bis zu zwei EESM-Maschinen (elektrisch erregte Synchronmaschine) können es in Zukunft maximal vier Elektromotoren sein, die sowohl leichter als auch effizienter und günstiger sind als bisher. "Wir haben die E-Drive-Einheiten in jedem Detail verbessert", erklärt Techniker Michael Salmansberger und deutet auf die E-Maschinen der sechsten Generation. Die technischen Details sind spannend. BMW plant aktuell mit vier Varianten der EESM-Motoren, die jeweils rund 125 Kilogramm wiegen und zwischen 272 PS und 408 PS leisten. Zwei Untersetzungen mit drei Zahnrädern machen ein Zweigang-getriebe überflüssig.
BMW Neue Klasse mit bis zu 1.000 PS
Damit sind bei den M-Modellen locker 1.000 PS drin. Dass dies kein Fabelziel ist, haben die Münchner mit der Studie BMW Vision Driving Experience unlängst angedeutet. Vermutlich wird der iM3 mit vier EESM-Motoren die 1.360 PS knacken. In Bayern lässt man sich ungern von einem Tesla auf der Nase herumfahren. Am Anfang backt man aber kleinere Brötchen.
BMW i5 Test (2024)

So startet der BMW iX3 mit einem EESM-Motor an der Hinterachse, ergänzt durch einen E-Motor an der Vorderachse, der zwischen 163 PS und 245 PS leistet und rund 75 kg auf die Waage bringt. Die Vorderachse greift nur bei Bedarf in das Geschehen ein. Das spart Energie und Kosten. "Dieser BMW fährt sich wie keiner zuvor", schwärmt Joachim Post. Bis 2030 sollen rund 50 Prozent der verkauften BMWs reine E-Modelle sein. Was fehlt noch? Die Kostenparität zum Verbrenner.
Miljan