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Sommerreifen im Winter

01.03.2017 06:00 Uhr

Nach einem Unfall an einem trockenen Wintertag nahm die Kaskoversicherung der Verursachers eine Kürzung vor und fand, dass gar keine Leistungspflicht bestünde. Das Gericht sah das anders.

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_ Über die "Winterreifenpflicht" gibt es ebenso viele Mythen wie auch Gerichtsverfahren. Es gibt keine generelle "Winterreifenpflicht". Die Straßenverkehrsordnung, um genauer zu sein § 2 Abs. 3a StVO regelt, dass bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte Kraftfahrzeuge nur mit bestimmten wintergeeigneten Reifen geführt werden dürfen.

Der Fall

Der Versicherungsnehmer fuhr an einem Samstag, um 5 Uhr morgens, mitten im Januar mit Sommerreifen, geriet von der Fahrbahn ab, in den Seitenraum neben der Straße und prallte mit seinem Fahrzeug gegen einen Baum. Es herrschten 1,8 Grad, 87,1 Prozent relative Luftfeuchtigkeit, weder Schnee noch Regen. Er wartete zehn Minuten, stellte keinen Kratzer am Baum fest und fuhr, die abgefallenen Teile seines Autos im Kofferraum verstaut, weiter. Die Polizei verständigte er nicht. Er meldete diesen Schaden seiner Kaskoversicherung, die einen Abzug in Höhe von 50 Prozent vornahm, da er zum Schadenzeitpunkt mit Sommerreifen gefahren ist. Damit lägen die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) vor, wonach der Versicherer zu quotalen Leistungskürzungen berechtigt ist. Von 5.388,16 Euro bekam er mithin nur 2.694,08 Euro und zog vor Gericht.

Schwere des Verschuldens

Wer noch das "Alles-oder-nichts-Prinzip" kennt: Das wurde 2008 mit der VVG-Reform abgeschafft. Der Einwand der groben Fahrlässigkeit fällt zwar nicht weg, die Leistungspflicht des Versicherers ist jedoch von der Schwere des Verschuldens abhängig. Während früher gar nicht gezahlt wurde, bekommt der Versicherte nunmehr anteilig eine Entschädigung.

Im Prozess schob der Versicherer noch nach, dass eigentlich gar keine Leistungspflicht bestanden hätte, da er aufgrund der Unfallflucht - da er die Polizei nicht gerufen hat - gegen die Aufklärungspflichten des zugrundeliegenden Versicherungsvertrages verstoßen habe, was zur gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers führe.

Das Urteil

Es ist nach Ansicht das Amtsgerichts Papenburg (Urteil vom 10.3.2016, Az. 20 C 322/15) nicht grob fahrlässig im Sinne der Vollkaskoversicherung, bei 1,8 Grad Celsius und weitgehend schnee- und eisfreier Straße auf Sommerreifen zu fahren. Es wäre zwar geboten gewesen, mit Winterreifen zu fahren und die Geschwindigkeit anzupassen, sodass ein objektiv verkehrswidriges Verhalten naheliegt. Allerdings fehle es an einem für die Leistungskürzung erforderlichen subjektiven Verschulden. Selbst wenn sich der Unfall an dieser Stelle eventuell auf "Glatteis" ereignete, wie in dem Unfallfragebogen angegeben, lässt dies noch nicht den Schluss zu, dass der Fahrer bereits während der Fahrt vor dem eigentlichen Unfall wusste oder damit gerechnet hatte, dass Glatteis herrscht. Im Verfahren erläuterte der Kläger, dass die Angabe "Glatteis" eine bloße Vermutung von ihm darstellte. So konnte das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen, dass ihm ein erheblich gesteigertes Verschulden vorzuwerfen ist, sodass es unter Berücksichtigung der gesamten Umstände an einem grob fahrlässigen Verhalten fehlt. Letztlich sei nicht auszuschließen, dass der Pkw mit Winterreifen von der Straße abgekommen wäre, sodass die Kausalität zwischen Unfall und Sommerreifen nicht gesichert sei.

Fazit

Der Anspruch gegen seinen Kaskoversicherer auf Leistung blieb in diesem Falle wegen fehlender objektiver Erkennbarkeit und Anzeichen für den Versicherungsnehmer von Wettervoraussetzungen (Eis, Schnee, Rutschen usw.) für Winterreifen bestehen. Doch Vorsicht! Es ist nicht klar, dass dies jedes Gericht so sehen würde. Bei einem derartigen Fall empfiehlt es sich in jedem Fall, die Kürzung zu hinterfragen und dieses Urteil zu kennen.

Ansonsten gilt: Die Reifen müssen den Witterungsverhältnissen angepasst sein. Zu den Winterreifen zählen übrigens auch Ganzjahresreifen respektive Allwetterreifen. Gemäß § 31 StVZO sind Flottenmanager für den vorschriftsmäßigen Zustand des Dienstfahrzeugs verantwortlich, hierzu gehört auch die Bereifung. Verstöße können nicht nur zu versicherungsrechtlichen Konsequenzen führen, sondern auch zu Bußgeldern.

Inka Pichler-GieserRechtsanwältin und Fachanwältin für Verkehrsrecht, Partnerin der Kanzlei Kasten & Pichler in Wiesbaden

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