_ Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden erhält der Geschädigte bekanntlich vom Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes, das heißt den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes.
Hier ist seit Jahren ständige Rechtsprechung, dass sich der Geschädigte auf den im Sachverständigengutachten kalkulierten Restwert verlassen und die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornehmen darf, den der von ihm eingeschaltete Sachverständige als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Dies so lange, bis der Versicherer ein höheres Restwertangebot vorlegt, dann ist dieses im Rahmen der Schadenminderungspflicht zu berücksichtigen.
Bereits im Jahre 2005 hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 12.07.2005, Az. VI ZR 132/04) entschieden, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, den Haftpflichtversicherer über den beabsichtigten Verkauf seines beschädigten Fahrzeuges zu informieren oder ihm vorab das Gutachten zur Prüfung zu übersenden, weil anderenfalls die ihm nach § 249II 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, die ihm die Möglichkeit der Schadenbehebung in eigener Regie eröffnet und deshalb auf seine individuelle Situation und die konkreten Gegebenheiten des Schadenfalls abstellt.
Doch hier weht nun für Flotten ein schärferer Wind, denn die ersten Gerichte bejahen nunmehr eine Vorlagepflicht des Sachverständigengutachtens vor dem Restwertverkauf des Unfallwagens.
Vorlagepflicht vor Restwertverkauf
Als eine der ersten Entscheidungen erging ein Beschluss des Oberlandesgerichtes Köln (OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2012, Az. 13 U 80/12), das einem "vorschnellen Verkauf" eine Absage erteilte und im Rahmen der Schadenminderungspflicht verlangt, dass dem gegnerischen Haftpflichtversicherer durch Vorlage des Gutachtens die Möglichkeit gegeben werden muss, höhere Restwertangebote zu unterbreiten. Dieser Rechtsprechung schlossen sich bisher unter anderen das AG Herford mit Urteil vom 27.07.2015 (Az. 12 C 223/15), das LG Itzehoe mit Urteil vom 07.01.2015 (Az. 6 O 248/14), das LG Aachen mit Urteil vom 07.05.2015 (Az. 3 S 40/15, als Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils des AG Jülich), das AG Deggendorf mit Urteil vom 19.01.2015 (Az. 3 c 802/14) sowie das AG Emmerich mit Urteil vom 18.11.2015 (Az. 2 C 216/15) an.
Keine Vorlagepflicht vor Restwertverkauf
Die überwiegenden Gerichte bleiben jedoch der bisherigen Linie des Bundesgerichtshofes treu und sprechen sich gegen eine Vorlagepflicht aus.
Selbst andere Senate des OLG Köln stellten sich gegen die obige Entscheidung des OLG Köln. In dem Terminprotokoll eines anderen Senates des OLG (Az. 3 U 46/15) lautet es wie folgt: "Der insoweit vom 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln im Hinweisbeschluss vom 16.07.2012 - 13 U 80/12 - geäußerten Auffassung folgt der Senat nicht; sie dürfte die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht hinlänglich berücksichtigt haben."
Auch die meisten anderen Gerichte folgen nach wie vor dem BGH, der bereits 1992 (Urteil vom 21.01.1992, Az. VI ZR 142/91) entschieden hat, dass sich der Geschädigte auf die Restwertangabe im Gutachten verlassen und das Fahrzeug ohne Rückfrage bei der eintrittspflichtigen Versicherung zu dem genannten Betrag veräußern darf (so zum Beispiel auch aktuell LG Stralsund, Urteil vom 12.05.2015, Az. 1 S 55/14; LG Stuttgart, Urteil vom 3.09.2015, Az. 19 O 84/15; Kammergericht Berlin, Urteil vom 6.08.2015, Az. 22 U 6/15).
Fazit
Die Entscheidungen, die sich für eine Vorlagepflicht vor der Veräußerung des verunfallten Fahrzeuges aussprechen, stellen sich aktuell als Ausreißerurteile dar. Dennoch sollte diese rechtliche Thematik bekannt sein und im Auge behalten werden.
Inka Pichler-Gieser Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verkehrsrecht, Partnerin der Kanzlei Kasten & Pichler in Wiesbaden
- Ausgabe 02/2016 Seite 55 (118.4 KB, PDF)