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Das Auto, der Dackel und das Pferd

02.11.2016 06:00 Uhr
Das Auto, der Dackel und das Pferd

Bei einem Mangel haben Käufer das Recht auf deren Beseitigung oder Kaufpreisminderung. Über Nacherfüllung, Neulieferung und das Gewährleistungsrecht.

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_ Verärgerte Autokäufer vergleichen Autoverkäufer gern mit Pferdeverkäufern. Aber vielleicht hat dies seinen Ursprung ja doch nicht allein in der Enttäuschung, sondern in der Rechtsprechung zum Gewährleistungsrecht. Diese hat nämlich einige erhellende Aussagen zum Vorrang der Nacherfüllung im Kaufrecht im Speziellen und zum Gewährleistungsrecht im Allgemeinen getroffen, und dies sozusagen rechtsvergleichend zum Tierkauf. Es geht dabei auch um vertragliche Vertrauensgrundsätze.

Wo aber ist die Verbindung zur aktuellen VW-Abgasaffäre? Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus 2008 zu einem Pferdekauf (Urteil vom 9.1.2008, Az. VIII ZR 210/06, NJW 2008, 1371) macht das deutlich: Der Käufer ist im Regelfall berechtigt, den Preis sofort - ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung - zu mindern, wenn der Verkäufer ihm einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat. Die für die Beseitigung des Mangels erforderliche Vertrauensgrundlage ist in der Regel auch dann beschädigt, wenn die Mangelbeseitigung von einem vom Verkäufer beauftragten Dritten vorzunehmen ist.

Klären: Wann liegt Mangel vor?

Einige Anwälte argumentieren nun unter anderem mit dieser Entscheidung im aktuellen VW-Streit. Dabei sind Fragen zu klären wie etwa: Wann liegt überhaupt ein Mangel vor, was wurde als Beschaffenheit der Kaufsache vereinbart, hat die Nacherfüllung grundsätzlich Vorrang, und was geschieht, wenn das Nacherfüllungsverlangen versäumt wurde, oder welche Arten der Nacherfüllung gibt es überhaupt? Damit befasst sich auch die aktuelle Rechtsprechung zum VW-Skandal - mit bisher höchst widersprüchlichen Ergebnissen. Zurück zu Pferd und Dackel. Mit genau diesen Fragen hatte sich der BGH zu befassen. Bei Ersterem ging es um die Kaufpreisminderung, bezogen auf einen Wallach, mit der Begründung, das Pferd sei "mangelhaft", weil es sich um ein Pferd handele, dem bei der Kastration das Hodengewebe nicht vollständig entfernt worden ist. Das Pferd zeigte bei Dressurakten noch "hengstisches Verhalten" und sei daher für den gedachten Zweck weniger geeignet (quasi ein "halber" Wallach; daher vielleicht auch das Begehren des Käufers 50 Prozent des Kaufpreises zurückerstattet zu bekommen).

Bereits in einer früheren Entscheidung vom 22.06.2005 (Az. VIII ZR 281/04, NJW 2005, 2852) hat der BGH ebenso für den Autokauf geltende bahnbrechende Schlüsse gezogen. Es ging dabei um einen Dackel mit O-Beinen, bei dem das Gericht, obwohl der Mangel nicht vollständig behoben werden konnte, eine schlichte Ersatz- oder besser Nachlieferung (soll bedeuten: einen neuen Dackel) "aufgrund der emotionalen Bindung des Besitzers" abgelehnt hatte. Stattdessen wurde die kostspieligere Nachbesserung in Form von (erfolglosen) Operationen gewählt.

Bedeutung für aktuelle Rechtsfragen

Beide Entscheidungen haben erheblichen Einfluss auf die aktuelle Diskussion über die jeweils bestehenden Ansprüche, deren Reihenfolge und Geltendmachung durch geschädigte VW-Käufer.

Abgesehen vom immensen Streitpotenzial bei der Mangelbestimmung in Tierfällen, ist eine gekaufte Sache (ein VW) nur dann frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Wenn keine besondere Vereinbarung dazu getroffen wurde, ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn der Kaufgegenstand eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art und Güte üblich ist. Spätestens jetzt dämmert das Unglück beim Tierkauf und der Beschaffenheitsdefinition eines "nicht hengstischen Verhaltens". Der Käufer benötigte das Pferd zu Dressurzwecken, wofür es nur teilweise geeignet war. Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen, den Mangel konnten die Beteiligten bestimmen.

Neue Sache oder nachbessern?

Nun stellt sich aber die Frage, ob die Nacherfüllung (erneute Kastration beim Hengst, Einbau einer funktionierenden Abgasreinigung beim VW) regelmäßig den Vorrang hat. Bei einer mangelhaften Sache hat der Käufer zunächst grundsätzlich die Wahl, die Lieferung einer neuen Sache oder die Beseitigung des Mangels zu verlangen. An dieser Stelle wird gestritten. Nach wohl überwiegender Meinung ist die Nacherfüllung (Nachbesserung) grundsätzlich vorrangig.

Dies liegt daran, dass es sich dabei nicht nur um einen Anspruch des Käufers handelt, sondern auch um ein Recht des Verkäufers, das diesem als eigenes Recht zusteht. Es wird mit gesetzestechnischen Argumenten begründet, dass es dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entspreche, dass das "Recht der zweiten Andienung" dem Verkäufer die Möglichkeit eröffnen solle, seiner Leistungspflicht - trotz des vorliegenden Mangels - doch noch nachzukommen. Argumentativ kommt noch hinzu, dass bei Minderung und Rücktritt immer (in der Regel) eine gesetzte angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos verstrichen sein muss.

Hervorzuheben ist an dieser Stelle die deutliche Feststellung des BGH, dass das Recht, wegen eines behebbaren (!) Mangels zurückzutreten oder den Kaufpreis zu mindern, eine verstrichene Nacherfüllungsfrist voraussetzt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verkäufer die Nacherfüllung (Nachbesserung) ausdrücklich verweigert, sie fehlgeschlagen ist oder sie dem Käufer nicht zumutbar ist.

Bezogen auf die VW-Situation vertritt das OLG Oldenburg (a. a. O.) die Auffassung, dass der Verkäufer "nicht sicher sagen kann, ob die geplanten technischen Maßnahmen tatsächlich erfolgreich und ohne Nebenwirkungen sein werden (...), derzeit noch nicht absehbar ist, ob und in welchem Umfang sich aufgrund des Mangels beziehungsweise des sogenannten Abgasskandals ein merkantiler Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs realisieren wird". Es ist somit zu befürchten, dass der Mangel als nicht behebbar anzusehen ist. Der befürchtete merkantile Minderwert wäre dann ein nicht behebbarer Mangel.

Ist der Mangel behebbar?

Da dies derzeit aber niemand belastbar feststellen kann, wäre es vom Gericht konsequent gewesen, diesen Gedanken zu Ende zu denken - also gemäß § 440 BGB die Frage zu stellen, ob nicht ein sofortiger Rücktritt wegen Nichtbehebbarkeit des Mangels in Frage käme. Dieses Dilemma "umgehen" aber bislang die Gerichte, indem sie sich auf die angemessene Fristsetzung stürzen - wohl wissend oder hoffend, dass die Zeit zeigen wird, ob der Mangel tatsächlich zu beseitigen ist oder nicht.

An der Fristfrage scheiden sich nun wiederum die rechtlichen Überzeugungen der einzelnen Gerichte. Die einen sprechen davon, dass kurze Fristen "nicht angemessen sein dürften", die anderen verlangen kurze Fristen und vertreten die Ansicht, ein Zuwarten bis Ende 2016 aufgrund der Nachrüstungsprobleme bei VW sei unzumutbar. Wieder andere Gerichte gehen gleich ganz allgemein von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit bei einem Nachbesserungsangebot durch VW aus, auch wenn dies zeitlich noch sehr vage beschrieben wird.

Nach Auffassung des OLG Oldenburg ist festzuhalten, dass allein aus dem Umstand eines "naheliegenden Risikos eines bleibenden merkantilen Minderwerts der Mangel nicht als unerheblich angesehen werden kann". An die Stelle einer streitigen "kurzen" habe eine "objektiv angemessene Frist" zu treten. Eine solche stellt auf den Sinn und Zweck einer Fristsetzung ab, nämlich den Umstand, dass der Schuldner eine letzte Gelegenheit erhalten soll, den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen. Anders als das Landgericht Frankenthal (Entscheidung vom 12.05.2006, Az. 8 O 208/15) meint, ist es dem Kläger nicht zumutbar, bis Ende 2016 zu warten. Nebenbei ist anzumerken, dass die Ausführungen des OLG Oldenburg zur Fristsetzung ihren argumentativen Ursprung wahrscheinlich schon in der BGH-Entscheidung zum bereits erwähnten Wallach haben. Dieser hatte bereits ausgeführt, dass eine erfolglos verstrichene Frist zur Nacherfüllung auch beim Tierkauf beachtet werden müsse.

Arglistige Täuschung

Zurück zum nur unzureichend kastrierten Hengst: Hier ging der BGH davon aus, dass der Käufer vom Verkäufer über die "Hengstigkeit" arglistig getäuscht wurde. Ist damit aber nun eine Nacherfüllung (Nachbesserung des Hengstes) für den Käufer unzumutbar geworden? Die Frage ist also, ob jede arglistige Täuschung immer zu einem vollständigen Vertrauensverlust des Käufers führt, der dann eine Nacherfüllung unzumutbar macht. Ganz klar lehnt der BGH das in dieser Generalisierung ab.

Was, wenn die Nacherfüllung (Nachbesserung) durch einen Dritten durchgeführt wird? Es kommt nicht allein darauf an, wer die Nacherfüllung vornimmt, sondern für die Vertrauensfrage auch darauf, wer sie beauftragt. Erst recht gilt dies, wenn die Nacherfüllung auf der Anleitung des Verkäufers im Wege einer Mängelbeseitigung beruht. Wieder die Verbindung zu VW: Wenn der Hersteller dem Händler (und Vertragspartner) die Anleitung zur Mängelbeseitigung diktiert, würde der BGH - parallel zu dem Pferdefall - von einer gestörten Vertrauensgrundlage ausgehen und die Nacherfüllung als unzumutbar erachten.

So weit erscheint das Ergebnis auf den ersten Blick klar und eindeutig. Aber die Rechtslage ist bei genauerem Hinsehen verschachtelter, als sie zunächst zu sein scheint.

Dogmatisch hat der BGH damals begründet, dass der Verkäufer das "Recht zur zweiten Andienung" nur dann verdiene, wenn ihm der Mangel bei Abschluss des Vertrages nicht bekannt war. Man kann erahnen, dass an dieser Stelle die Frage auftaucht, ob das Wissen um die Arglist des Herstellers dem Händler als Verkäufer ohne weiteres zuzurechnen ist.

Vielleicht auch um all diesen Fragen aus dem Weg zu gehen, kommen einige Anwälte zu dem Schluss, sich auf das Wahlrecht zwischen Nacherfüllung und Ersatzlieferung zu berufen und - mit Hinweis auf den nicht behebbaren Mangel (sei es auch in Form eines merkantilen Minderwertes, der zurzeit ja nicht einmal zu beziffern, geschweige denn zu beweisen ist) - den Weg der Ersatzlieferung zu beschreiten - natürlich ohne Anrechnung eines Gebrauchsvorteiles beim Käufer. An dieser Stelle angekommen, unterscheidet sich der Fall mit dem Hengst doch deutlich vom VW-Kauf. Die Möglichkeit einer Ersatzlieferung beim Pferd ist allein deshalb schon an sich streitig, weil es sich regelmäßig um einen Stückkauf handeln wird - wegen der Einzigartigkeit der gekauften Sache.

Allerdings auch hier keine Regel ohne Ausnahme. Kann die mangelhafte Sache durch eine gleichwertige und gleichartige ersetzt werden, handelt es sich gerade nicht um einen Stückkauf. Für Pferde hat bereits das LG Hildesheim entschieden, dass eine Ersatzlieferung bei Schulpferden sehr wohl möglich sei (LG Hildesheim, Entscheidung vom 27.04.2007; Az. 7 S 21/07). Bei Dressurpferden geht es jedoch vielmehr um die persönliche Bindung des Käufers, um den Eindruck "seiner emotionalen Zugewandtheit" zum Tier. Einen solchen Ausschluss der Ersatzlieferung aus genau diesem Grund hat der BGH bereits bei dem zu Beginn erwähnten o-beinigen Dackel angenommen.

Zurück zum mangelbehafteten VW: Auch wenn einige Besitzer glauben, eine enge "emotionale Zugewandtheit" zu verspüren, so handelt es sich dabei dennoch (in der Regel) nur um einen Gattungskauf. Eine Ersatzlieferung ist damit grundsätzlich denkbar - vorausgesetzt, die Fragen der Behebbarkeit des Mangels und die Zurechnungsprobleme werden zuvor geklärt.

Unverhältnismäßigkeit?

Zuallerletzt muss jedoch auch noch durch die Gerichte geklärt werden, ob die einzelne Nacherfüllungsvariante in Form einer Ersatzlieferung nicht aufgrund absoluter Unverhältnismäßigkeit ausscheidet. Anders ausgedrückt: Ist es verhältnismäßig, wegen eines am Gesamtwert des Fahrzeugs gemessenen geringen Mängelbeseitigungsaufwandes sofort ein ungleich teureres Ersatzfahrzeug zu verlangen? Auch diese Frage obliegt derzeit noch der konkreten Beantwortung.

Auch bei Pferd und Dackel stellte sich diese stets im Einzelfall zu beantwortende Frage; natürlich nicht in der Variante eines Ein- oder Ausbaus von Ersatzteilen, sondern vielmehr wegen Behandlungs- und Heilkosten.

Zu ersehen ist am Beispiel dieses Fallvergleichs, dass zahlreiche Rechtsfragen zum VW-Skandal derzeit durchaus kontrovers diskutiert werden können und dass es durchaus wirtschaftlich sinnvoll ist, wenn einzelne Rechtsschutzversicherer nicht gleich massenhaft für alle denkbaren Fälle Deckungszusagen erteilen, sondern mit Bedacht die zu deckenden Konstellationen abwägen und zunächst den Ausgang einiger repräsentativer Rechtsstreitigkeiten abwarten.

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