Sollte 2020 für die Kurier-Express-Paketdienst-Branche, kurz KEP, hinsichtlich alternativer Antriebskonzepte tatsächlich zum Wahljahr werden? Zurzeit sprechen alle Zeichen dafür. Die etablierten Hersteller haben die letzten Jahre dazu verwendet, ihre leichten Nutzfahrzeuge einerseits entsprechend gesetzmäßig vorgeschriebenem Euro 6d-Temp aufzurüsten, dabei aber alternative Antriebe aus der Warteposition geholt und zahlreiche serienreife Fahrzeugkonzepte präsentiert.
So etwa der VW-Konzern, der den Zwilling des E-Crafter, den MAN TGE, seit Spätsommer mitten in Paris im Kundeneinsatz hat. Der Elektrotransporter ist im Fuhrpark des Standorts "DistriGreen" von DHL Express France integriert. Seine Nutzlast beträgt 950 kg bei 10,7 m³ Ladevolumen. Die permanentmagneterregte Synchronmaschine im Motorraum leistet 100 kW. Im Einsatz in der Stadt oder unter stadtähnlichen Bedingungen kommt der E-TGE auf eine realistische Reichweite zwischen 120 und 140 km - auch wenn nach dem Pkworientierten Prüfzyklus WLTP lediglich 114 km ausgewiesen werden.
Kälte fürs frische Gemüse
Mercdes-Benz hatte für seine Platzhirsche Sprinter und Vito zur Digitalisierung, Elektrifizierung und Nachhaltigkeit ein völlig anderes Case-Study-Szenario gewählt. Gemeinsam mit dem Aufbauhersteller Kerstner wurde auf Basis des E-Vito der "Polarfuchs", ein perfektes E-Grocery-Fahrzeug für den urbanen Raum, entwickelt. Es verfügt über einen elektrischen Antrieb und eine elektrisch betriebene Kühlanlage, sodass Lebensmittel lokal emissionsfrei ausgeliefert werden können. Clever: Die Kühlanlage wurde an das Fahrzeugbordnetz angeschlossen, wodurch sich der Bedarf an Zusatzbatterien minimieren lässt. Im September stellte der "Polarfuchs" in einem vierwöchigen Pilotprojekt mit dem Kochbox-Anbieter "HelloFresh" in Belgien seine Alltagstauglichkeit unter Beweis. Der E-Vito konnte die Temperaturen im Laderaum (Frischedienst) trotz bis zu 50 Belieferungen pro Tour zuverlässig halten und erfüllte damit erfolgreich den Einsatzzweck. "Das Konzept für die lokal emissionsfreie Lieferung von temperatursensiblen Produkten soll künftig auch auf andere Branchen und Baureihen erweitert werden" - schreibt die Daimlerpresse zurecht. Was letztendlich aber nichts grundlegend Neues ist - auch nicht für Renault. Deren kleinstes Nutzfahrzeug, der Cityvan Kangoo Z.E. - im Autoflotte FuhrparkMonitor 2019 übrigens auf Platz 3 im Elektro- Segemnt -, bevölkert bereits seit 2017 auch deutsche Straßen. Seit Herbst gibt es den rein elektrischen Master Z.E. im frischen Look. Von den Schwestermodellen mit Verbrennungsmotor übernimmt er die modifizierte Front und das neu gestaltete Interieur mit vielen Komfortdetails. Dank Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 33 kWh und einem Elektromotor mit 76 PS sollen Reichweiten über 190 Kilometer möglich sein. Kann man aber die zentrale Funktion der Batterie bei BEV-Fahrzeugen der KEP-Branche entschärfen oder beeinflussen? Batteriekapazität und die Lade-Infrastruktur, um den Stromspeicher "just-in-time" zu befüllen, sind grundlegende Kriterien im Liefergeschäft. Interessant hierzu ist der Ansatz von Ford:
Dem neuen PHEV-Transit wurde der Stromspeicher aus den SUV-/Pkw-Modellen E-Explorer und E-Kuga eingesetzt. Knapp 60 km kommt er damit, dann schaltet sich ein Ein-Liter-Benzinmotor zu - allerdings als reiner Genrator und vergrößert die Reichweite auf bis zu 500 Kilometer.
Andere Wege geht der französische PSA-Konzern: Das ab dem kommenden Jahr angebotene Variantentrio Opel Vivaro, Peugeot Expert und Citroën Jumpy wird mit zwei Akkugrößen (50 und 75 kWh) geliefert und soll damit Reichweiten von 200 bis 300 WLTP-Kilometer erreichen. Auch der kleinere Opel Combo soll als Elektroversion verfügbar sein, aber erst 2021.
Aus dem PSA-Standort Valenciennes kommen aber nicht nur Citroën Jumpy und Peugeot Expert, sondern seit 2016 auch ein Toyota: Gemeinsam mit dem PSA-Konzern soll daher ab nächstem Jahr auch der Toyota Proace als BEV-Version gebaut werden. Das sogenannte "Badge-Engineering" hat sich ja auch im italienischen Altessa bestens bewährt, wo im Fiat-Werk Sevel eineiige Zwillinge entstehen - Fiat Ducato und Citroën Jumper laufen dort vom gleichen Produktionsband.
Im Spätsommer zeigte Fiat Professional in Turin erstmals den fertigen Ducato Electric - zusammen mit dem erdgasbetriebenen Ducato 140 Natural Power. Der dort verbaute Drei-Liter-Methanmotor leistet 136 PS und entwickelt 350 Newtonmeter bei 1.500 Umdrehungen pro Minute, was laut Fiat die Führungsrolle des Herstellers bei der Entwicklung dieser alternativen Fahrzeuge unterstreicht. Der Ducato 140 Natural Power ist Teil einer kompletten Serie von methangetriebenen Nutzfahrzeugen, die von Personenwagen bis hin zum Fiorino und dem Doblò reicht - in Italien sind CNG-Fahrzeuge bereits seit Langem weit verbreitet und reduzieren Kosten und Umweltbelastung.
Der Ducato Electric hingegen basiert auf einer detaillierten, einjährigen Studie über die kundenspezifischen Einsatzzwecke der Fahrzeuge. Auch hier sollen modulare Batteriegrößen für verschiedene Reichweiten sorgen. Damit sind dann 220 respektive 360 Kilometer (NEFZ-Zyklus) möglich, ebenso verschiedene Ladekonfigurationen. Kombiniert werden Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zur Optimierung des Energieverbrauchs, maximale Leistung von 122 PS und maximales Drehmoment von 280 Newtonmetern. Geplant sind Ladevolumina bis 17 Kubikmeter sowie Zuladungen bis maximal knapp zwei Tonnen (1.950 kg).
Konkurrent Nissan setzt beim E-NV 200 auf neue Batterietechnologie: Mit 40 kWh Speicherkapazität verspricht der Importeur mit einer einzigen Ladung bis zu 275 km (ebenfalls nach NEFZ) im Stadtverkehr zu fahren - das sind rund 60 Prozent mehr als mit der Vorgänger-Batteriegeneration. Zum Erreichen dieser neuen Höchstreichweite müssen "B" und "Eco"-Modus kombiniert werden.
Neue Ausbauten-Mitbewerber
Beim Ausbau wollen drei Neue auf dem KEP-Markt mitmischen. Während Hersteller Orten für seine beiden mit Kastenaufbau ausgestatteten Fahrzeuge mit kurzen Ladezeiten (vier Stunden) und patentierter (EFA-S) Elektrifizierung wirbt, punktet der Maxus EV 80 mit seinem Preis. Rund 100 Fahrzeuge des chinesischen Herstellers sind bereits bei uns unterwegs. Unter dem Firmennamen "I See" haben sich drei Akteure zusammengefunden, die über Erfahrung in den Bereichen Elektromobilität, Produktion und Vertrieb verfügen: Der hessische Hersteller fertigt auf Opel-Basis eigene Elektrofahrzeuge, die durch ausgewählte Opel-Händler verkauft und gewartet werden.
KEP-Fahrzeuge (3,5-Tonner) mit alternativen Antrieben
- Citroën Berlingo- Citroën Jumpy- Citroën Jumper- Fiat Fiorino- Fiat Doblò Cargo- Fiat Ducato CNG- Fiat Ducato Electric- Ford Transit PHEV- I See E-Vivaro- I See E-Movano- Iveco Daily NP- Iveco Daily Electric- Maxus EV 80- Mercedes-Benz E-Vito- Mercedes-Benz E-Sprinter- MAN E-TGE- Nissan E-NV 200- Opel E-Vivaro- Opel E-Movano- Orten ET 35 EFOrten ET 35 M- Peugeot Partner- Peugeot Expert- Peugeot Boxer- Renault Kangoo Z.E.- Renault Master Z.E.- Streetscooter L/XL- Volkswagen E-Transporter- Volkswagen E-Crafter
Die E-Lastesel packen kräftiger zu und Spezialausbauer helfen dabei.
- Ausgabe 12/2019 Seite 72 (413.8 KB, PDF)