Verkannte Klientel
Nach den Ergebnissen einer Studie der defacto.gruppe gibt es in Deutschland rund zwei Millionen User-Chooser-Fahrzeuge, 700.000 davon sollen in den nächsten zwölf Monaten ausgetauscht werden. Und die meisten dieser Fahrer haben ihren Dienstwagen höherwertiger ausgestattet, als sie es bei ihrem Privatwagen getan hätten. In dieser Kundengruppe schlummert den Studienmachern zufolge ein enormes Potenzial.
Wie gut, dass die „Abwrackprämie“ ausgelaufen ist, denn vielleicht richtet sich der Blick der Automobilhersteller und Importeure nun verstärkt auf eine andere bedeutende und vor allem zyklisch wiederkehrende Klientel: die Flottenkunden oder, genauer gesagt, die User-Chooser.
Die aktuelle Studie „User Chooser 2009“ der Dialogmarketing-Agentur defacto.gruppe aus Erlangen, für die 375 Dienstwagenfahrer, darunter 205 User-Chooser, online befragt wurden, verdeutlich einmal mehr, welches Potenzial sich hinter dieser Kundengruppe, die bei der Anschaffung mitentscheiden kann, verbirgt: Rund zwei Millionen Firmenfahrzeuge werden nach Angaben der defacto.gruppe derzeit in Deutschland von User-Choosern gefahren. Und mehr als zwei Drittel (69 Prozent) werden in den kommenden zwei Jahren eine Anschaffungsentscheidung tätigen, weil der Dienstwagen in diesem Zeitraum ausgetauscht wird. Bei gut einem Drittel (34 Prozent) der Befragten soll sogar innerhalb der nächsten zwölf Monate das alte gegen ein neues Firmenfahrzeug ersetzt werden (siehe Grafik „Geplanter Ersatzzeitpunkt“ auf S. 28). Das wären auf die Gesamtzahl der User-Chooser-Autos hochgerechnet knapp 1,4 Millionen Neubestellungen innerhalb der nächsten zwei Jahre, rund 700.000 davon schon in den kommenden zwölf Monaten.
Überraschend sind diese Ergebnisse auch vor dem Hintergrund der aktuellen Haltedauern. Denn danach befragt, wie lange sie ihren gegenwärtigen Dienstwagen bereits fahren, gaben nur drei Prozent „mehr als drei Jahre“ an, 14,1 Prozent „25 bis 36 Monate“ und 25,4 Prozent „zwölf bis 24 Monate“. Die Mehrheit aber (57,6 Prozent) fährt ihren aktuellen Dienstwagen erst weniger als zwölf Monate. Angesichts der „klassischen“ Laufzeit von 36 Monaten – die Fahrzeuge sind zu 75,6 Prozent geleast – und des aktuellen Trends der Vertragsverlängerungen umso bemerkenswerter, dass mehr als zwei Drittel in den nächsten zwei Jahren ein neues Firmenfahrzeug bekommen sollen.
Mehr Extras als im Privatwagen
Die meisten User-Chooser (61 Prozent) gaben an, dass ihr aktueller Dienstwagen eine höherwertigere Sonderausstattung hat, als wenn sie das Fahrzeug privat gekauft hätten (siehe Grafik „Sonderausstattung“ unten). Als Privatkunden würden sich die meisten also bescheidener verhalten. Oder andersherum: Wenn der Arbeitgeber (zu-)zahlt, sind für die Mehrheit mehr Extras drin. Die Ausstattung war für 62,9 Prozent ohnehin das wichtigste Auswahlkriterium bei der Anschaffung des aktuellen Dienstwagens (siehe Grafik „Die wichtigsten Kaufgründe“ auf S. 29). An zweiter Stelle folgt das Design (55,3 Prozent) und erst an dritter die Qualität (50,2 Prozent), noch vor dem Hersteller und der Sicherheit (44 respektive 41 Prozent).
In Zeiten des Sparkurses in den Flotten und der viel propagierten „Green Fleet“ überraschend: Umweltfreundlichkeit war beim aktuellen Dienstwagen nur für 15,6 Prozent ein Kaufkriterium, was daran liegen könnte, dass viele Fuhrparks, wenn überhaupt, erst in der jüngsten Vergangenheit CO2-Restriktionen eingeführt haben oder dies gegenwärtig planen.
Der zeitliche Vorlauf für die Fahrzeugwahl ist relativ gering. Bei den meisten Befragen (66,5 Prozent) sind vom ersten Gedanken oder ersten Gespräch mit dem Vorgesetzten über den neuen Dienstwagen bis zum Abschluss des Vertrages nur maximal drei Monate vergangen, bei 22,8 Prozent ist bis zu einem halben Jahr verstrichen. Der Anteil derer mit einem Vorlauf von bis zu einem Jahr ist mit 2,9 Prozent dagegen verschwindend gering. Die Entscheidung für eine bestimmte Marke und das präferierte Modell wird also überwiegend kurzfristig getroffen.
Die wichtigste Entscheidungshilfe bei der Dienstwagenauswahl ist bei knapp zwei Drittel der Befragten (63,9 Prozent) der Online-Fahrzeugkonfigurator. Erst danach werden die konventionellen Verkaufsinstrumente wie Probefahrt (45,5 Prozent) und Katalog (40,9 Prozent) genannt (siehe Grafik „Entscheidungshilfen der User-Chooser“ auf S. 30)
Entscheidungsfreiheiten
Immerhin hatte knapp ein Sechstel der User-Chooser (13,2 Prozent) keinerlei Restriktionen und somit freie Hand bei der Auswahl seines aktuellen Dienstwagens. Die Übrigen mussten sich in der Fahrzeugklasse (43,9 Prozent), bei der Höhe der Leasingrate (41,5 Prozent), Marke oder Motorisierung (39 respektive 34,6 Prozent) einschränken. Bei einem Fünftel gab es Vorgaben in puncto Motorleistung und Hubraum (siehe Grafik „Restriktionen in der Fahrzeugwahl“ auf S. 30). Weniger ins Gewicht fallen mit 8,3 Prozent der Antworten – wie schon bei den Kaufkriterien – Bestimmungen zu Verbrauch und Schadstoffemissionen.
Loyalität der Nutzer
Die überwiegende Mehrheit der User-Chooser ist mit dem derzeitigen Dienstfahrzeug mindestens sehr zufrieden (57,6 Prozent), wenn nicht sogar begeistert (26,3 Prozent). Folglich würden 96,1 Prozent der Befragten diesen zumindest „wahrscheinlich“ weiterempfehlen, davon 61 Prozent sogar „auf jeden Fall“.
Die Kundenloyalität wird der Studie zufolge insbesondere von drei Faktoren bestimmt: Den größten Ausschlag, ob ein Dienstwagenfahrer seiner Automobilmarke die Treue hält, gibt mit 58,5 Prozent das Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber auch der Service und die Beratung des Herstellers oder Händlers (44,9 Prozent) sowie Image und Design des Fahrzeugs (40 Prozent) bestimmen häufig darüber, ob ein User-Chooser die Marke wechselt. Doch fasst man die rein subjektiven Faktoren „emotionale Verbundenheit“ (26,3 Prozent) und „positive Einstellung gegenüber der Marke“ (23,9 Prozent) zusammen, zeigt sich, dass auch das persönliche Empfinden gegenüber einem Hersteller jeden zweiten User-Chooser zu einem treuen Kunden macht (siehe Grafik „Gründe für Markentreue“ links).
Diejenigen, die schon einmal die Marke gewechselt haben, taten dies aus so unterschiedlichen Gründen, dass diese in der Studie nicht im Detail genannt wurden. 13,7 gaben an, mal etwas anderes fahren zu wollen. Für 8,3 Prozent gab ein besseres Design den Ausschlag, für 5,9 Prozent das Preis-Leistungs-Verhältnis. Nur 4,9 Prozent entschieden sich für einen anderen Hersteller, weil sie mit ihrem alten Fahrzeug unzufrieden waren (siehe Grafik „Gründe für den Markenwechsel“ links).
Vernachlässigte Zielgruppe
Die Studienmacher leiten aus ihren Befragungsergebnissen ab, dass für die Hersteller und Importeure ein bislang unentdecktes Potenzial in den mitentscheidenden Dienstwagenfahrern schlummert, das es jetzt zu erschließen gilt. „Mit einem jährlichen Absatz von zirka 700.000 Einheiten in Deutschland stellt die Kundengruppe der User-Chooser quantitativ wie qualitativ eine höchst attraktive Zielgruppe dar – und bleibt bisher in der spezifischen Betreuung von Herstellern und Handel dennoch weitgehend unbeachtet“, sagt André Lutz, Geschäftsführer der defacto kreativ GmbH. Als Gründe dafür sehen die Erlanger Marketingexperten zwei entscheidende Hürden: Zum einen seien die User-Chooser den Herstellern und Importeuren nur selten bekannt, weil die Fahrzeuge entweder durch den Fuhrparkleiter oder die Leasinggesellschaft bestellt würden. Zum anderen stellen sie fest, dass es – anders als bei den Flottenkunden – keine Verantwortlichen für User-Chooser bei den Herstellen und Importeuren gibt, da sie noch nicht als strategisch wichtige Zielgruppe erkannt wurden.
Die Befragung zeigt auf, dass neben kurzfristig nicht veränderbaren Faktoren wie das Markenimage auch operativ steuerbare Parameter über einen Wiederkauf entscheiden: Preis-Leistungs-Verhältnis, Umfang und Qualität von Service und Beratung sowie die Betreuung durch Hersteller und Handel. Auf Herstellerseite sehen die Marketing-Experten aber noch einen akuten Entwicklungsbedarf für proaktive Betreuungskonzepte – gerade auch angesichts der hohen Zahl an Neubestellungen in den nächsten zwölf Monaten, die die Befragung ermittelt hat.
Die Botschaft dieser Studie könnte also lauten: Nachdem die staatliche Umweltprämie für die Privatkunden ausgelaufen und für 2010 ein starker Einbruch im Neuwagengeschäft zu erwarten ist, sollten sich die Akteure der Branche nun verstärkt um die Gunst einer anderen wichtigen – und bislang stark vernachlässigten – Zielgruppe konzentrieren: der gewerblichen Kunden mit ihren in puncto Dienstwagen entscheidungsberechtigten Mitarbeitern. Denn diese begeistern sich für vielerlei Sonderausstattungen, sind ihrer Automobilmarke oft treu und kommen – anders als das Gros der Privatabnehmer – schon nach wenigen Jahren als Kunde wieder.
mireille pruvost
User-Chooser
Hintergründe zu den User-Choosern
Für die Untersuchung der defatco.gruppe wurden 375 Dienstwagenfahrer online befragt, 205 von ihnen sind User-Chooser. Hinsichtlich ihrer Position im Unternehmen sind sie eine heterogene Gruppe. Unter den Befragten dominieren die Führungskräfte: 27,8 Prozent sind Geschäftsführer/Eigentümer, 10,2 Prozent Direktoren, 16,6 Prozent Abteilungsleiter und 8,8 Prozent Bereichsleiter. Im Vertrieb arbeiten knapp ein Sechstel der Studienteilnehmer, davon 13 Prozent im Außendienst und zwei Prozent im Innendienst. Neun Prozent sind als Berater und acht Prozent im Projektmanagement tätig.
Das Gros (57,8 Prozent) ist zwischen 37 und 48 Jahre alt, knapp ein Drittel (29,3 Prozent) zwischen 29 und 36 Jahre alt. Nur jeweils gut drei Prozent sind älter als 49 oder jünger als 28 Jahre. Gut drei Viertel der Probanden sind männlich, ihr Automobilinteresse mehrheitlich sehr hoch.
Mehr als 85 Prozent fuhren vor ihrem jetzigen Dienstwagen bereits einen anderen. Fast alle (99 Prozent) dürfen diesen auch für private Zwecke nutzen. Der Anteil der Privatfahrten liegt bei 71,2 Prozent der Befragten unter 50 Prozent. Die Gesamtfahrleistung für private und dienstliche Fahrten beläuft sich bei jedem Zweiten auf maximal 35.000 Kilometer pro Jahr. Das Segment der Vielfahrer (ab 50.000 Kilometer p. a.) beträgt deutlich weniger als 25 Prozent.
- Ausgabe 12/2009 Seite 26 (1.5 MB, PDF)