_ Als Inhalte einer Unterweisung nennt die DGUV-Regel 100-001 die konkreten arbeitsplatz- und arbeitsaufgabenbezogenen Gefährdungen, die dagegen getroffenen und zu beachtenden Schutzmaßnahmen, das Verhalten sowie Notfallmaßnahmen. Was bedeutet das konkret für die Inhalte einer Unterweisung, wenn es um Personenkraftwagen als Arbeitsmittel geht?
Der Pkw ist - bezogen auf die Beschäftigtengruppe, die wir heute betrachten - tatsächlich als Arbeitsmittel zu bezeichnen. Ich vermute, dass viele Leserinnen und Leser in erster Linie an Unterweisungsthemen denken, wie besondere oder spezifische Fahrzeugausrüstungen und deren Bedienung, Funktionsprüfungen vor Fahrtantritt oder auch Ladungs- beziehungsweise Gepäcksicherung. Das ist gut und richtig, fokussiert aber zunächst "nur" die technischen Aspekte. Mindestens genauso relevant und wichtig sind diejenigen Themen, die auf das Verhalten der Beschäftigten beim Führen von Pkw insgesamt abzielen und im besten Sinne des Wortes der Gesunderhaltung dienen. Dazu zählen für mich beispielsweise das richtige Verhalten bei Unfällen oder Pannen, die Bewusstseinsschärfung für kritische Fahrsituationen, Vermeidung oder Abbau beziehungsweise Milderung von Stress und Termindruck sowie die Förderung einer professionellen, souveränen und defensiven Fahrstrategie. Das Ziel für den Betrieb muss lauten: Sichere und gesundheitsgerechte Ausführung aller Tätigkeiten, die mit dem Führen von Pkw zu tun haben.
Die BG Verkehr hat zum Thema "Unterweisung" übrigens ein Printmedium entwickelt: Unsere "Unterweisungskarten". Eine Karte widmen wir beispielsweise der "Aufmerksamkeit im Straßenverkehr". Es lohnt sich daher, in unserem Internetauftritt im Medienkatalog zu schmökern.
_ Die Unterweisung soll ja am Arbeitsplatz respektive Arbeitsgerät durchgeführt werden. Heißt das in der Praxis, wieder bezogen auf Firmenwagen, dass zum Beispiel der Fuhrparkleiter als Unterweisender sich mit jedem seiner Fahrer ins Auto setzt?
Das würde ich ihm jedenfalls nicht verbieten wollen und kann im Einzelfall sogar erforderlich sein. Aber wenn wir uns die soeben skizzierten Themen vor Augen führen, so wird klar, dass viele Unterweisungsinhalte üblicherweise in Kleingruppen - erforderlichenfalls am Fahrzeug - vermittelt werden können und vielleicht auch sollten. Das unterstützt nämlich den kollegialen Austausch untereinander und bindet die Beschäftigten und ihre Erfahrungen mit ein. Das kann manchmal mehr wert sein, als ein isoliertes Vier-Augen-Gespräch.
Ich will an dieser Stelle aber auch hervorheben, was Unterweisung bedeutet: Erläuterungen, Informationen plus Anweisungen! Soll heißen: Ein ausschließlich gruppendynamischer Diskussionsprozess ohne fachkundige Unterstützung und ohne Einbindung des Vorgesetzten ist nicht ausreichend. Wertvolle Unterstützung bieten in diesem Zusammenhang die bestellten beziehungsweise die beauftragten Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte.
_ Eine Frage zu den Firmenwagenfahrern selbst: Wer muss regelmäßig unterwiesen werden? Unterscheiden die Berufsgenossenschaften hier zwischen Mitarbeitern oder, wie Sie sie nennen, "Versicherten", denen ein Dienstwagen als Gehaltsbestandsteil zur Verfügung steht und diesen überwiegend privat nutzen, und Mitarbeitern respektive Versicherten, die ausschließlich dienstlich mit einem Firmenfahrzeug unterwegs sind? Oder gilt die Unterweisungspflicht für beide Nutzergruppen gleichermaßen?
Wir nähern uns der Antwort, indem ich das entsprechende Regelwerk, das heißt das Arbeitsschutzgesetz beziehungsweise die Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention", sinngemäß widerspiegeln darf: Es geht um die entsprechende Pflicht des Unternehmers, die Versicherten über die mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen und die Maßnahmen zur ihrer Verhütung zu unterweisen. Das hört sich zwar sperrig an, aber aus meiner Betonung erkennen Sie die Antwort zu Ihrer Frage: Die Unterweisungspflicht gilt insofern für beide genannten Nutzergruppen gleichermaßen.
Ein Unterweisungsanlass ist laut der DGUV-Regel 100-001 die Einführung neuer Arbeitsmittel. Wenn ein Mitarbeiter mit fest zugeordnetem Dienstwagen seinen bisherigen Pkw abgeben muss und einen neuen erhält, gegebenenfalls sogar ein anderes Modell oder einen einer anderen Marke, zählt das als Einführung eines neuen Arbeitsmittels, was eine weitere Unterweisung nach sich zieht?
Modellwechsel oder Marke sind nicht die entscheidenden Aspekte. Es muss auf Basis der Gefährdungsbeurteilung die Frage beantwortet werden: Sind durch das neue Arbeitsmittel oder den neuen Pkw neue oder veränderte Gefährdungen zu erwarten und ist - darauf bezogen - eine Anpassung der Arbeitsschutzmaßnahmen erforderlich? Bei einem neuen Pkw können beispielsweise Fahrerassistenzsysteme vorhanden sein, über deren Handhabung und Wirkungsweise der Mitarbeiter informiert sein muss. Darüber hinaus möchte ich hervorheben, dass es neben der Einführung neuer Arbeitsmittel eine ganze Reihe von weiteren Anlässen gibt, die zu einer"unterjährigen Unterweisung" führen.
_ Welche Anlässe wären das?
Beispielsweise bei der Einstellung neuer Mitarbeiter: Die Unterweisung hat in jedem Fall vor Aufnahme der Tätigkeit zu erfolgen. Oder Veränderungen im Aufgabenbereich: Bitte stellen Sie sich vor, dass es im Rahmen einer veränderten Tätigkeit, zum Beispiel Außendienst, erforderlich ist, technische Ausrüstungen mitzuführen, die sperrig und unhandlich sind und ein hohes Gewicht mit sich bringen. Hier werden doch andere Anforderungen an das Be- und Entladen oder an die Ladungssicherung gestellt, als wenn ich nur mit einem"Klemmbrett" im Gepäck unterwegs bin. Ein Punkt, der mir besonders wichtig erscheint sind Unterweisungsanlässe, die sich aus Unfällen, Beinaheunfällen oder Schadensereignissen ergeben. Hier ist nämlich der direkte Bezug zur Gefährdungsbeurteilung herzustellen und letztendlich zu prüfen, inwieweit die dort beschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen anzupassen sind.
_ Wie muss eine Unterweisung dokumentiert werden, damit der Fuhrparkbetreiber auf der sicheren Seite ist?
Es geht im Falle der Dokumentation um das Ziel, den Nachweis über die Erfüllung der betrieblichen Unterweisungsverpflichtung erbringen zu können. Wenn Sie mit Ihrer Frage also auf Rechtssicherheit abzielen, so müssen alle relevanten Bezugsdaten abgebildet sein. Dazu gehören insbesondere Angaben zum Betriebsteil/Arbeitsbereich, Datum, Thema beziehungsweise Inhalte der Unterweisung sowie Namen der Beschäftigten und des Unterweisenden. Die Unterschriften, die von den Teilnehmern zu leisten sind, bestätigen übrigens nicht nur, dass Informationen geflossen sind, sondern auch, dass diese verstanden worden sind. Die Unfallversicherungsträger haben hierzu ein Muster erarbeitet, das in der DGUV Regel 100-001 "Grundsätze der Prävention" zur Verfügung steht.
_ Wann fliegt es meistens auf, wenn die Unterweisung der Beschäftigten gar nicht oder nicht korrekt vorgenommen wurde? Bei einem Unfall? Oder bei Stichproben?
Um bei Ihrer Wortwahl zu bleiben: Eigentlich sollte es gar nicht"auffliegen" müssen, weil wir präventionsseitig anstreben, dass im Rahmen einer gut funktionierenden Arbeitsschutzorganisation innerbetrieblich spätestens die Fachkraft für Arbeitssicherheit und/oder der Betriebsarzt diesem Thema zugeneigt sind.
Ich formuliere mal anders: Wenn es keine innerbetrieblichen Mechanismen gibt, wie beispielsweise im Rahmen von Arbeitsschutzmanagement-Systemen, wird spätestens bei der stichprobenartigen Überwachung oder Kontrolle durch den Aufsichtsdienst dieser Mangel festgestellt. Denn neben der Gefährdungsbeurteilung zählt die Unterweisung zu den wesentlichen Unternehmeraufgaben im Rahmen einer funktionierenden Arbeitsschutzorganisation, die von den Aufsichtsdiensten bei Betriebsrevisionen hinterfragt wird. Sollte sich tatsächlich aber ein Unfall ereignen, möglicherweise mit Personenschaden, so stellen die zuständigen Ermittlungsbehörden in jedem Fall die Frage, ob und inwieweit die Beschäftigten angemessen unterwiesen worden sind.
_ Mit welchen Strafen hat ein Unternehmen zu rechnen, wenn dieses nicht oder nicht ausreichend unterwiesen hat?
Als Präventionsexperte mag ich eine solche Frage gar nicht beantworten. Es verleitet dazu, Pflichtverletzungen und mögliche Sanktionen oder Strafen - wie Sie sagen - gegeneinander aufzurechnen. Im schlimmsten Fall resultiert ein Unfall mit Personenschaden, weil die Beteiligten nicht oder nicht ausreichend unterwiesen worden sind. Wie würden Sie an dieser Stelle menschliches Leid beziffern wollen? In jedem Fall aber wird unser Aufsichtsdienst eine Auflage erteilen. Ich hoffe nicht, dass die Erteilung einer solchen Auflage als "Strafe" interpretiert wird?!
_ Sehen Sie bei der Praxis der Fahrerunterweisung in deutschen Unternehmen noch Nachholbedarf?
Als Mitarbeiter der Prävention sehe ich stets Verbesserungsmöglichkeiten. Selbst wenn, was ich hiermit nicht bestätigen kann, 100 Prozent der Unternehmen 100 Prozent ihrer Beschäftigten unter formalen Gesichtspunkten unterweisen würden, so sagt das noch nichts über die Qualität aus. Worauf ich hinauswill, möchte ich mit folgenden Fragen verdeutlichen: Wurde die Unterweisung nicht nur durchgeführt, sondern von den Teilnehmern auch verstanden? Wurde das Gehörte nicht nur verstanden, sondern wird es bei der Tätigkeit im Betrieb auch gelebt? Das Ziel, den Transfer in die betriebliche Praxis zu festigen, muss uns auf lange Sicht vor Augen bleiben.
_ Welche Form der Unterweisung empfehlen Sie Ihren versicherten Betrieben? Und was ist bei Unterweisung mit einem Online-Tool zu beachten?
Ich hoffe, dass wir durch unser Gespräch für Ihre Leser herausarbeiten konnten, dass das Thema wichtig, interessant und vielfältig ist und dass es keinen beziehungsweise nicht nur einen Königsweg für Arbeitsschutzunterweisungen gibt. Begreifen wir aber bitte - unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung - genau diesen Umstand als Chance, um die unterschiedlichen Themen und Tätigkeiten mit praxisbezogenem Arbeitsschutz zu verquicken, die unterschiedlichen Menschen und Gruppenbeteiligten sowie die unterschiedlichen Führungskräfte im Sinne der Prävention zu sensibilisieren und fit zu machen. Die elektronische Unterweisung mit einem Online-Tool kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten, darf aber dabei nicht für sich allein stehen und muss im Gesamtkonzept des Unternehmens gemanagt werden. Es muss eine arbeitsplatzspezifische Ausrichtung unterstützen und die Chance zur persönlichen Rückkopplung zwischen Versicherten und Unterweisenden ermöglichen.
_ Herr Patorra, vielen Dank für das informative Gespräch.
Interview: Mireille Pruvost
- Ausgabe 05/2015 Seite 46 (463.2 KB, PDF)